Etwas schwärzer als andere: Kim Rossi Stuart

Das Dunkle in mir

Biografie eines Berufsverbrechers: Engel des Bösen von Michele Placido

Wer morgens gegen halb acht an Mailands »Opera«-Gefängnis vorbeispaziert, trifft vielleicht Renato Vallanzasca, der auf dem Weg zur Arbeit in einer Recyclingfirma ist. Grüßte man ihn mit »Ciao, bel René«, sprängen bestimmt Funken aus seinen Augen. Vallanzasca hasst diesen Spitznamen, der ihm seit den frühen 70er Jahren anhängt. Damals war er jung und zu allem bereit, ein aggressiver Aufsteiger in der berüchtigten Unterwelt von Mailand. Ein Skrupelloser auf dem Weg ganz nach oben, wo er auch ankam und lange blieb.

 

Mittlerweile ist er eine lebende Legende, verurteilt zu viermal Lebenslänglich plus 260 Jahre für eine Vielzahl von Verbrechen. Insgesamt beging er ca. 200 Raubüberfälle, rund ein halbes Dutzend Entführungen, diverse Morde, in den allermeisten Fällen mit seiner »Banda della Comasina«, deren Wurzeln bis zu seinem ersten nachweisbaren Verbrechen reichen. Er beging es im Alter von acht Jahren – damals wollte der kleine Renato einen Zirkustiger aus seinem Käfig befreien.

 

Zum ersten mal verfilmt wurde das Leben Renato Vallanzascas 1977, billig und blöd, als »La banda Vallanzasca« von Mario Bianchi, der bald beim Porno landete und auch da nichts Erinnerungswürdiges zu Stande brachte. Damals scherte sich kaum jemand um den Film. Vallanzasca selbst war flüchtig und hielt das Land in Atem. Den Wettbewerb mit dem täglichen Schlagzeilen-Thrill verlor der Film. Michele Placidos in Aufbau und Drive an Carlo Lizzanis Klassiker »Feuertanz« (1966) orientierter »Engel des Bösen« sorgte hingegen für allerhand Geschrei in den Medien nach seiner Aufführung letztes Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig: Die Tugendhüter eines mittlerweile moralisch verrotteten Italiens erregten sich darüber, dass Vallanzasca nicht böse genug dargestellt sei.

 

Und was sollten überhaupt die Opfer denken? Falsche Frage. Die richtige und von Placido subtil gestellte ist: Warum scheren sich einige Menschen null um soziale Kontrakte? Die Antwort: Die Vallanzascas dieser Erde sind ein inhärenter Bestandteil der Gesellschaft, ein radikales Element, das aufwirbelt, was in Erstarrung verharrte, und dabei das gewöhnliche Böse offen legt. In ihren Taten spiegeln sich die Zweifel, die wir alle über die Wirklichkeit des gesamtgesellschaftlichen Normzustands haben.

 

Vallanzasca selbst – gespielt von einem wieder ein mal formidablen Kim Rossi Stuart – formuliert es simpler, seinem Charakter entsprechend egozentrisch: Er habe, sagt er, etwas mehr Schwärze in sich als andere.

 

Engel des Bösen (Vallanzasca – Gli angeli del male) I/F/RO 2010, R: Michele Placido, D: Kim Rossi Stuart, Filippo Timi, Moritz Bleibtreu, 125 Min.