Das hassten die Modernen: Cabanel-Gemälde, Geburt der Venus«, 1863, courtesy: Musée d’Orsay, Paris?/?Wallraf-Richartz-Museum, Köln

Es riecht nach Auslegeware

Der Salonmaler, die Haute Couture und das Parfum einer Ausstellung: Das Wallraf-Richartz-Museum zeigt »Cabanel by Christian Lacroix«

Die Schrecken des »Halo-Effekts«: Diesen Begriff erfand William Thorndike Ende des 19. Jahrhunderts für die plötzliche, alles überstrahlende Macht einer einzelnen sinnlichen Wahrnehmung. Die selbstbewussten, feinen Damen auf den Porträts von Alexandre Cabanel (1823-1889) würden stattdessen vielleicht von der sprichwörtlichen Unmöglichkeit einer »zweiten Chance auf einen ersten Eindruck« sprechen. Leider ist jener erste Eindruck beim Betreten der großen Cabanel-Retrospektive im Wallraf ein olfaktorischer: Es riecht nach Auslegeware. Die Konsequenz des Experiments, die Räume im Basement erstmals mit Teppich auszulegen. An sich eine gute Idee, insbesondere, wenn ein Star der Salonkunst gezeigt wird. Doch leider sucht von nun an der Blick nach jedem Detail, was der repräsentativen Klasse eines Schauraums des 19. Jahrhunderts nicht genügt.

 

Das Gegenteil war geplant, immerhin ist der Teppich ein Entwurf von Christian Lacroix. Der in den letzten Jahren arg gebeutelte Modemacher (2009 ging Christian Lacroix Couture in Konkurs) gestaltete die Kostüme für die aktuelle »Aida«-Inszenierung der Oper Köln, noch prominenter sollte seine Arbeit für das Wallraf werden. »Cabanel by Christian Lacroix« heißt der offizielle Ausstellungstitel, der den klangvollen, aber längst nicht mehr zugkräftigen Künstlernamen zu einer Parfümkreation des Designers mutieren lässt. Dabei geht es um eine erstklassig bestückte Schau! Die Pressekonferenz vermittelte gar den Eindruck, Direktor Andreas Blühm müsse sich für diese Ausstellung rechtfertigen. Vielleicht fürchtet er den Halo-Effekt des schlechten Leumunds einer als steif, inhaltsleer und vor allem anti-modern bewerteten Malerei.

 

Tatsächlich kreidet die Kunstgeschichte Cabanel an, als Jury-Mitglied Édouard Manet und andere Frühmoderne vom Pariser Salon des Jahres 1863 ausgeschlossen zu haben. Also ein Spießer? Keineswegs! Elemente der deutschen und vor allem britischen Romantik sind unübersehbar, der Aufbruch zu einer neuen Kunst zeigt sich auch in ungewohnten Themen: gefallene Engel, selbstbewusste Verführung. Es ist Zeit für einen genaueren Blick, gar eine Würdigung des Beiläufigen: Die Moderne hatte eh bald gesiegt, die Schlacht ist geschlagen und heute im Angesicht einer aktuellen, allgegenwärtigen Salonkunst längst wieder so fern, dass wir uns jegliche Überheblichkeit sparen können.

 

Sparen können hätte man sich auch die Arbeit von Christian Lacroix. Dessen krankheitsbedingtes Fehlen auf der Pressekonferenz erstaunte nicht. Was von seiner Arbeit blieb, kann ihn kaum zufriedenstellen. Nicht, dass es ihm an Ideen fehlte, erste Entwürfe, in einem Nebenraum ausgestellt, zeigen oplulente Sitzgruppen im Stil der Zeit, Vorhänge, Kleider, ja Palmblätter! Doch es scheint, als hätte die Verantwortlichen auf halbem Weg der Mut verlassen. Lacroix´ postmoderne Salon-Vision war angetan, eine publikums­trächtige Ausstellung zu schaffen, über die geredet und gestritten worden wäre. Nun blickt man auf seltsam unentschlossene Fototapeten, für jeden Raum in einer geschmackvollen, durchaus passenden Farbe. Ihre schemenhaft erkennbaren Szenerien klassizistischer Ausstellungen wirken weder elegant noch funktionieren sie als Kommentar. Unzureichend farblich abgestimmte, aufgeklebte Label sowie Info-Texte in typischer Wallraf-Typo tun ihr übriges.

 

Bald entdeckt man den Versatz einzelner Teppichbahnen und – da wird´s ernst – eine Ausleuchtung, welche Details überstrahlt: hier mit einem Messer aufgetragene Wolkenschichten, dort komplette Gesichter. Bedauerlich, da Cabanels detailreiche Bilder zu Entdeckungen einladen – die Katze auf dem Schoß, deren Haare im Halbdunkel des Raumes aufgehen; manche so gar nicht akademischen Proportionen; das ex­klusive Ensemble an Stoffen und Kleidern. Das einzige mitausgestellte Kleid belegt Cabanels Detailkunst und wird prompt auf einer zu kurzbeinigen Puppe vorgeführt, so dass es auf dem Boden schleift.

 

Ein Abstecher in die vierte Etage zeigt, dass Cabanel die feine Linie eines Wilhelm von Harnier fehlt, auch Courbets oder Leibls Lebendigkeit, seine Portraits erreichen nicht die Präsenz der Friedrich von Amerlings. Dennoch kehrt man fasziniert zu Cabanels Figuren zurück. Da ist etwas im selbstbewussten Blick der weiblichen Portraitierten, was er in Bildern literarischer Figuren noch weiter akzentuiert: Victor Hugos »Albaydé« ziert mit ihrem so melancholisch-strengen wie leicht entrückten Antlitz zu Recht Plakat und Katalog. »Die Geburt der Venus« wird bei Cabanel zum Auftakt eines Kampfes mit Cupido. Aus pastellenen Tönen blitzen ihre dunklen, nur halb geöffneten Augen. Der Effekt des zweiten Eindrucks: Cabanels dezente Kunde vom Ende akademisch-chauvinistischer Herrlichkeit.