Kein Gedanke ans Publikum: Nora Mansmann, Foto: Nora Mansmann

Der Holocaust als Spiel-Figur

Nora Mansmann war für das Düsseldorfer Schauspielhaus in Israel. Hier erzählt sie, wie sie daraus ihr neues Stück gemacht hat

Die Idee: ein Austausch zwischen jungen Autorinnen und Autoren aus Israel und Deutschland. Der Wunsch: Eindrücke aus dem jeweils anderen Land sammeln und überprüfen, wie es um das besondere Verhältnis dieser beiden Länder steht. »Reality Check« heißt das Projekt, eine gemeinsame Initiative des Düsseldorfer Schauspielhauses mit dem Habimah Theater in Tel Aviv. Nora Mansmann, John Birke und Thomas Melle, Teilnehmer des Düsseldorfer Autorenlabors am Schauspielhaus, besuchten Israel. Vier Studenten des Drama Departement der Universität Tel Aviv reisten nach Deutschland. Alle sieben Autoren haben ihre Eindrücke zu szenischen Momentaufnahmen verarbeitet, die – verschieden kombiniert – jeweils vor Ort auf die Bühne gebracht werden. Zugleich werden die Inszenierungen auf Gastspielreise in das jeweils andere Land geschickt. Da scheint es nur konsequent, dass Nora Mansmann (Jahrgang 1980) ihren Beitrag »meeting people« genannt hat: Splitter von Begegnungen, subjektiv, surreal und collagiert mit Passagen aus dem Buch Hesekiel.

 

StadtRevue: Frau Mansmann, hatten Sie bestimmte Fragen, die Sie nach Israel mitgebracht haben?

 

Mansmann: Eher Assoziationen. Ich habe Geschichte studiert, da hat man ja viele Themen. Und ich war vorher schon einmal in Israel, insofern kannte ich das Land ein bisschen.

 

Was ist Ihnen bei der zweiten Reise besonders aufgefallen?

 

Das Land ist sehr gespalten. Israel ist klein und trotzdem sind die verschiedenen Gruppen, die dort leben, so gegensätzlich und zum Teil zerstritten. Für uns deutsche Autoren war die Reise auch ein wenig anstrengend. Man konnte kaum durchatmen. Gleich nach der Ankunft haben wir jemanden getroffen, der sofort erzählt hat: »Meine Familie ist damals noch rechtzeitig rausgekommen, vor dem Holocaust.«

 

Ist der Holocaust ihrer Erfahrung nach bestimmend für die heutige Begegnung von jungen Deutschen und Israelis?

 

Der Holocaust wurde während der Reise häufig thematisiert. Wir wussten nicht genau warum: Ist das eine Beschuldigung? Da dies einer der stärksten Eindrücke war, habe ich eine israelische Freundin danach gefragt. Sie meinte, das sei eine affirmative Geste des Teilens, die nicht feindlich gemeint sei. In Israel interessierten sich die Leute nicht so für Geschichten aus dem Holocaust. Aber es würde  vermutet, dass sich Deutsche dafür interessierten und deshalb würde davon erzählt. Das war eine neue Perspektive für mich.

 

Was haben Sie von Israel gesehen?

 

Wir waren zuerst eine Woche in Tel Aviv, dann über das Wochenende in einer Siedlung. Dort war jeder von uns in einer orthodoxen Familie und hat Shabbat gefeiert. Dann waren wir  noch eine Woche in Jerusalem. Am Schluss haben wir  in Yad Vashem besucht, die Holocaust-Gedenkstätte. Da hat es uns dann irgendwann gereicht mit dem Thema.

 

Hat der israelisch-palästinensische Konflikt bei Ihrem Aufenthalt eine Rolle gespielt?

 

Wir waren mit zwei tollen, israelischen alten Ladys von einer Menschenrechtsorganisation an einem Checkpoint für die Palästinenser, die morgens zur Arbeit nach Jerusalem müssen. Zwei kleine resolute Damen, die sich um die Beschwerden der Palästinenser gekümmert haben. Dieser »Ausflug« war sehr beeindruckend. Wir haben zwar nicht verstanden, was gesagt wurde, aber es wurde gelacht und gescherzt – irgendwie. Das war total seltsam. Man denkt ja immer, wie können die Leute mit dieser Situation leben? Da hat man ein Gefühl dafür gekriegt, wie das funktioniert. Es ist eben Alltag, und da macht man dann Scherze auf dem Weg zur Arbeit.

 

Wie ist nun aus der Reise ihr Theaterstück »meeting people« geworden?

 

Ich arbeite immer so, dass ich sammle. Wenn mir etwas begegnet oder einfällt, schreibe ich es auf. Das sind oft nur einzelne Sätze. Die Geschichte und die Form ergeben sich aus dem Material. Es war das erste Mal, dass ich ein Thema vorher hatte. Also musste ich nur alles, was ich in Israel aufgeschrieben hatte, zusammenbringen. Ich erinnere mich, dass ich einen Block mit ganz vielen Notizen hatte und dann dachte: Was mache ich denn jetzt damit? (lacht) Ich habe dann Sätze oder Ideen, die ich gut fand, in ein Computerdokument getippt und angefangen, sie hin und her zu schieben. Daraus hat sich wieder etwas Neues ergeben – es ist wie ein Puzzle. Und sehr assoziativ.

 

Wie kamen Sie auf die verwegene Idee, den Holocaust als Figur, also als Personifikation auf die Bühne zu bringen?

 

Ich mag es, seltsame Figuren zu haben. Ich habe auch schon »Herrn Tod« in einem meiner Stücke auftreten lassen.

 

Gab es zu der Holocaust-Figur Diskussionen mit den israelischen Kollegen oder mit anderen Leuten?

 

Darauf hat mich noch keiner angesprochen. Zwischendurch habe ich beim Schreiben überlegt, ob sich jemand gekränkt fühlen könnte. Aber Schreiben ist für mich erst mal ein Spiel. Etwas, was ich zu meinem Vergnügen mache. Ich überlege mir nicht, wie das Publikum das interpretieren könnte. Aber ich reise mit der deutschen Inszenierung ja nach Tel Aviv. Da werde ich dann sehen, wie die Israelis das Stück aufnehmen.

 

»meeting people« von Nora Mansmann, R: Kerstin Krug, im Rahmen von
»Reality Check. Szenische Momentaufnahmen aus Deutschland und Israel«,
Spielort: Central, Worringer Str. 140, 27.2. (P), 28.2., 11., 14., 15., 24., 25., 26.3., 20 Uhr. Aufgeführt werden pro Abend sechs weitere (Kurz-)Stücke deutscher und israelischer Autoren. Gesamtleitung: Amèlie Niermeyer (D), Dedi Baron (IL).