Wann wird es endlich wieder Sommer? Der Produzent als nachdenklicher junger Mann

Zur Verfeinerung freigegeben

James Blake lässt die Dubstep-Szene mit viel Melan­cholie hinter sich

 

Die Aufregung ist enorm, die Zeichen stehen auf Umbruch – und auf Charts-Erfolg. Blutjunge Medienlieblinge wie Nicolas Jaar und James Blake werden vom Publikum als neue Helden der elektronischen Musik gefeiert. Mit Werken allerdings, für die Tanzmusik vor allem eine verblassende Erinnerung ist: Jaar und Blake zeigen sich zwar beeindruckt von den Impulsen, die sie als Teenager von Techno und Dubstep empfangen haben, aber mit Anfang zwanzig fühlen sich nun beide künstlerisch dem Regelkorsett der Genres entwachsen.

 

Ein Beat ist nichts, was bei ihnen als Voraussetzung für einen Track gilt, überhaupt schreiben sie hauptsächlich kunstfertige, das Große wollende Songs, die sie auch explizit so nennen: Lieder. Diese tragen sie mit viel Mut zur Entblößung und Reduktion vor, sie lieben die dramatische Stille, die zugleich viel Pomp ausstrahlt. James Blake landete seinen bis dato größten Hit mit »Limit To Your Love«, der Interpretation eines Songs der kanadischen Popsängerin Feist. Derzeit macht er mit einem Stück Furore, das sein Vater geschrieben hat, vom Sohn zu einem waidwund sich winden­den Ohrwurm umgemodelt: »I’m falling, falling, falling...«

 

Dubstep zum Heulen. So lautete das Stichwort, das schon vor zwei Jahren im Zusammenhang mit dem Berliner Trio Moderat und dessen Albumdebüt ins Spiel gebracht wurde: Hier legte sich eine weiche Klangschicht elegisch um die bösen Bässe, es wurde im weinerlichen Tonfall eines Emo-Boys zu den Beats gesungen. Blub­step heißt das englische Pendant: Der Kritiker Simon Reynolds prägte den Begriff für die derzeit letzte Manifestation des Hardcore Continuums, jener Mu­sikwelle aus Bass und Breaks, die seit den späten 80er Jahren in immer neuen Mutationen über den Ärmelkanal schwappt. Reynolds hatte bei der Blubstep-Taufe vor knapp einem Jahr Interview-Aussagen der Londoner Produzentin Ikonika sowie die ers­ten Veröffent­lichungen von James Blake im Ohr. Er brachte den Begriff mit durchaus kritischer Absicht ins Spiel, um dem von ihm ausgemachten Gegensatz Tanzen vs. Weinen zu widersprechen. Reynolds ergriff Partei für das Tanzen, für die Euphorie auf dem Dancefloor. Aber man muss verschieden temperierte Gefühlsäußerungen ja nicht gegeneinander ausspielen. Denkwürdig wird es, wenn in glückenden Momenten beides zugleich geht: Genau dafür wurden die ersten Platten von James Blake gefeiert.

 

Blake wurde 1988 im Norden Londons geboren. Der Vater Musiker, Klavierunterricht von Kindesbeinen an, Absolvent des renommierten Goldsmiths College in London. Blakes erste Platte erscheint 2009 beim Label Hemlock, das man noch ohne allzu große Verlegenheit ins Dubstep-Fach sortieren kann. Dennoch verwundert, wie reflexhaft auch die Musik auf seinem im Februar erschienenen ersten Album über den Dubstep-Leisten gebrochen wird. Das selbstbetitelte Werk hat damit nur noch in Bezug auf einzelne ästhetische Mittel zu tun – analog dazu, wenn etwa ein Rock-Musiker angibt, sich seine erste Stromgitarre wegen der Begeisterung für AC/DC angeschafft zu haben. Blakes Biografie nennt Gospel und Soul als die prägendsten Einflüsse, mit 18 folgt auf einer Dubstep-Party ein Erweckungserlebnis durch das Duo Digital Mystikz: der erste, äußerst körperliche Kontakt mit elektronischer Musik. Bemerkenswert, dass Blake schon diesen ersten Moment – dem gängigen Topos entgegengesetzt – als eine Implosion beschreibt. Niemals zuvor in seinem Leben habe er sich dermaßen auf sich selbst zurückgeworfen gefühlt wie durch die Basswucht dieser radikal nach außen gewandten Feiermusik, erklärt er im Rückblick.

 

Das ist gefundenes Fressen für seine Kritiker: Wieder einmal paradiert eine neue Innerlichkeit in des Kaisers neuen Kleidern über den Pop-Boulevard. Aber jemandem, der nie behauptet hat, ein extrovertierter Berserker zu sein, sein präzises Studium der Musik und einen Hang zu Formvollendung und Seelenbespiegelung vorzuwerfen, ist freilich etwas hasenfüßig. James Blake ist ein einfaches Ziel für Nörgler, gerade weil bei ihm alles so perfekt geordnet ist. Sein Album markiert den konsequenten Rückzug der neueren Clubmusik ins Jugendzimmer, wo ein paar Tränen auf die Tastatur des Powerbooks (und des Pianos) geweint werden. Burial, lange Zeit ein Name ohne Gesicht, ein Mythos, der sich hinter den verwaschenen Schlieren seiner Musik verbarg, hatte Mitte des letzten Jahrzehnts den Anfang gemacht und die Bassmusik weg von der Tanzfläche hinaus in den weiten urbanen Raum geholt. In seiner Nachfolge bemühen sich heute Acts wie Mount Kimbie oder Darkstar um die Verkuppelung von Dubstep und Popsong. Der Absturz-Soundtrack der Stra­ßenjungs ist zur Verfeinerung frei­gegeben.

 

Ein Wort wie Formverliebtheit taugt also kaum als Vorwurf an Blakes Album, es ist viel mehr eine genaue Beschreibung der Essenz dieser Musik. Stille, sparsame Akkorde, weißes Rauschen und jene Gänsehautmomente, in denen die Songs kippen, sind mit atemberaubender Präzision gesetzt. Beim konstanten Spiel mit seinem Gesang ist zu spüren, wie Blake sich beim Vortrag seiner Elegien selbst zuhört – und dabei gefällt. Allerdings erklingt die Stimme stets im Modus der Uneigentlichkeit: teils in seltsam kehligem Falsett vorgetragen, oft stark digital bearbeitet, immer wieder in mehreren Lagen geschichtet. Das lässt sich auch als Einspruch an die Adresse von Simon Reynolds lesen: Emotion erscheint nicht als etwas Voraussetzungsloses, sondern ist immer schon etwas Gestaltetes.
So nah man Blake in seinen Liedern zu kommen scheint, so nackt und schutzlos er sich gibt – sein digitaler Soul lebt nicht durch die Unmittelbarkeit des Ausdrucks, sondern durch die Perfektionierung der Form. Gerade deshalb kann das live  vor Publikum spannend werden.

 

Tonträger: »James Blake« (Polydor/Universal)