Hübsche Menschen, leere Kästen: Roland Schmitz (links) und Boris Witschke, Foto: Manfred Wegener

Und zum Schluss wird der Baum gefällt

Die Papierfabrik, Ehrenfelds wichtigste Off-Loacation, wird Ende März geschlossen: Sie weicht einem Wohngebiet. Im Interview blicken die Betreiber Roland Schmitz und Boris Witschke auf ein bewegtes Jahr zurück

 

StadtRevue: Für alle Leute, die nie dort waren, was ist das Besondere an der Papierfabrik und was haben sie im letzten Jahr verpasst?

 


Roland Schmitz:
Die Papierfabrik ist eigentlich kein Club im klassischen Sinne, weil unser Vertrag von vornherein befristet war. Das heißt, es war eine Off Location. Die Einrichtung war zu Anfang minimal und hat sich dann Stück für Stück weiterentwickelt. Man kann das ganz gut mit einem Baum vergleichen, der seine Zwei­ge ausstreckt. Der Höhepunkt ist jetzt erreicht, der Baum ist voll mit Blüten. Aber schon folgt der Herbst, und zum Schluss wird der Baum gefällt.

 


Heutzutage sind Clubs oft Dis­kotheken, die keine Geschichte haben. Ein Club in einem see­len­losen Neubau hat kaum Charisma, keine Ge­schichte, die irgendetwas erzählt. Die Papierfabrik, und das ist das Spannende, ist in einem alten Gemäuer entstanden, welches früher irgendwann eine Fabrik war. Nun wurde dieses Gemäuer zu einem Club umprogrammiert, das ist etwas Einzigartiges. Man spürt das, wenn man an so einen Ort geht. Viele unterschwellige und undefinierbare Sa­chen, die die Leute nicht beschreiben können, machen die Papierfabrik aus. Wir achten sehr auf mu­sikalische Qualität und arbei­ten eng mit unserer Crew zusammen.

 


Hattet ihr mit dem Erfolg der Papier­fabrik gerechnet?

 


Boris Witschke: Nein. Wir sind da so gar nicht ran gegangen. Wir haben die Hallen entdeckt und haben gesagt, hier kann man was draus machen. Wir haben das Grund­prinzip festgelegt und dann einfach angefangen. Wir hatten so viel zu tun, dass wir vorher überhaupt nicht darüber nachdenken konnten, wie viele Leute wir bräuchten, um Erfolg zu haben. Die Papierfabrik ist nicht nach einem Businessplan entstanden. Wir haben uns überhaupt keine Ge­danken gemacht, in welcher Grö­ßenordnung wir arbeiten wol­len, sondern haben einfach jede Woche weiter gemacht und jede Woche immer mehr Zuspruch von den Besuchern bekommen.

 


Woran, glaubt ihr, liegt es, dass die Leute die Papierfabrik so gut angenommen haben?

 


Roland: Wenn man ehrlich ist, ist das Angebot in Köln nicht so groß. Die Leute lechzen nach guten Sachen. Nach Dingen, die besonders sind. Das Interessante ist auch, dass wir ein Crossover an Publikum haben, weil wir nicht nur eine Stilrichtung bedienen. Viele Leute sagen sich, in die Papierfabrik kann man immer gehen. Das ist das Qualitätsmerkmal eines guten Clubs, dass ich, wie in einem guten Restaurant, eigentlich gar nicht auf die Karte gucken muss, um zu wissen, dass ich dort gutes Essen bekomme. Ich glaube, die Leute mochten auch diesen Crossover.

 


Boris:
Warum das hier so angenommen wird? Ich glaube, dass das überall funktioniert hätte: in Berlin, London oder Braunschweig. Dadurch, dass wir mit Hilfe der Crew immer wieder etwas Neues machen konnten, haben die Leute gemerkt, dass uns das Spaß macht. Stückchen für Stückchen haben wir Gäste immer wieder selbst etwas gestalten lassen. So hat es sich ergeben, dass sich die Leute mit dem Ort identifizieren konnten und angefangen haben, von »ihrer Papierfabrik« zu sprechen.

 


Ihr hatte für das Gelände einen Zwischennutzungsvertrag, was zeichnete den aus?

 


Boris: Durch eine Zwischennutzung kann eine solch große Fläche überhaupt nur finanziert, angemietet und bezahlbar werden. Man hat etwas Neues, was man in der Regel frei gestalten kann. Durch die befristete Zeit musste sich der Club komprimiert und ganz schnell entwickeln. Außerdem können wir aufhören ohne über den richtigen Zeitpunkt nach­denken zu müssen. Der schmerzliche Nachteil ist natürlich, dass Unmengen investierter Arbeit am Ende einfach weg sind und es schwer ist, etwas Neues zu finden.

 


Steht ein neues Projekt denn schon in Aussicht?

 


Roland:
Noch nichts konkretes, aber wir möchten definitiv wieder etwas starten. Das wird jedoch nicht vergleichbar mit der Papierfabrik sein. Im Moment haben wir verschiedene Ideen. Das nächste Projekt soll nicht nur auf das Nachtleben fokussiert sein.

 


Zeitgleich mit der Papierfabrik wird auch der benachbarte Sensor Club schließen. Wo wird sich dann die Partyszene konzentrieren?

 


Roland: Ich kann mir vorstellen, dass sich das in den nächsten Jahren auf die rechte Rheinseite, nach Mülheim und Kalk, verschieben wird, was ich persönlich gut fände. Ich denke, Ehrenfeld wird auf einem hohen Niveau weiter funktionieren, was die Zuschauerzahlen angeht.

 


Boris: Ich gehe auch davon aus, dass Kalk und Mülheim in den nächsten Jahren interessant werden. Dort passiert jetzt schon viel, von dem man wenig mitbekommt. Gerade in Szenen, die eher randständig sind, die aber immer schon den Grundstein dafür legen, dass etwas passiert.  Z.B. das Autonome Zentrum in Kalk und die Punkkneipen, in denen regelmäßig Konzerte veranstaltet werden. Dort beginnt ein Stadtteil langsam mit dem Nachtleben zu fusionieren.

 


Ein Jahr Papierfabrik. Was hat das für euch bedeutet?

 


Boris und Roland: Feiern. Kalt. Heiß. Comedy. Immer beinahe Katastrophe. Stress. Druck. Viel Improvisation. Viele hübsche Menschen. Viele leere Kästen.

 


Abriss-Partys: So 27.3., 15 Uhr.
Die letzte Veranstaltung im Sensor
Club ist die Abschlussparty des
Ehrenfeld Hopping: Sa 2.4., 22 Uhr.