»Versprich mir, dass du überleben wirst«: Zugendliche aus Cork spielen in »Fuck my Life«, ©?Provision BiteDesign

Sex, Abkotzen, Straßenspaß

Das Festival Heimspiel 2011 stellt die programmatische Frage »Wem gehört die Bühne?«. Ein englisches und ein irisches Projekt sagen: Euch da draußen!

 

»Wem gehört die Bühne?« Dem Steu­­erzahler? Der Intendanz? Der Stadt? Die Frage, die sich das Fes­tival Heimspiel 2011 in den Titel setzt, ist weniger auf Besitz- oder Machtverhältnisse aus als auf Zugehörigkeit und Teilhabe. Wer stellt sich da vorne hin und wird gehört und gesehen? Warum? Als was? Die Frage meint vor allem den ungewohnten Bühnenbewohner, nicht die berufsmäßigen Schauspieler, Tänzer, Musiker. Gehört die Bühne also allen? Im Prinzip ja – aber. Das in etwa ist der Horizont, den das Festival, eine Kooperation von Bundeskulturstiftung und dem Kölner Schauspiel, abschreitet.

 

Die eingeladenen Produktionen – insgesamt sechs, dazu kommen ein Symposium, Workshops, Archive, Vorträge  –, geben ihren Kunstbegriff trotz dieser Öffnung nicht auf. Nicht ihren Anspruch auf Struktur und darauf, dass ein Mensch auf der Bühne der Zuschauerschar gegenüber herausgehoben ist. Inwiefern diese Schar mitmischt, ist unterschiedlich. Bei »Fuck my life« aus Irland etwa bleibt sie sitzen, während die Bühne Jugendlichen aus der Stadt Cork gehört. Denn es geht ums Zuhören. Bei »Susan & Darren« von Quarantine & Company Fierce aus Manchester um Zusammenhalt. Deswegen sitzen die Zuschauer um die kleine Bühnenfläche herum, stellen Fragen, verdrehen die Köpfe, wenn die beiden Performer sich zwischen sie quetschen, packen Fressalien aus und machen anschließend genau hier Party. So war es jedenfalls bei Aufführungen in Manchester.

 

Beiden Stücken geht es ums richtige Leben miteinander und ums Sterben. Das verhandelte das Theater schon immer. Wort und Darstellung dieser ganz großen Fragen gehören aber eben jetzt – auch – der englischen Putzfrau und den irischen Jugendlichen. Nicht nur ihren Stellvertretern.

 

Susan und ihr Sohn Darren Pritchard breiten ihr Leben aus. Auf kleinem Raum. In Worten und mit Gesten beschreibt er ihr gemeinsames Wohnzimmer. Geschichten werfen beide dazu. »Dort auf dem Boden hatte ich Sex mit meinem Exfreund«, sagt er. Sie: »Mein Sofa war zuerst grün, dann kaufte ich einen Überwurf«.

 

Darren Pritchard, 31, machte Tanzen zum Beruf; er zeigt es in einigen Szenen, streckt und biegt seine langen Glieder. Auch seine 56-jährige füllige Mum redet nicht von ihrem Putzberuf, sondern sammelt Zeug in eine Müll­tüte und wäscht später mit einem Lappen ihren fast entkleideten Sohn wie einen Leichnam.
Ihr gemeinsamer Tanz ist ein hüftlockerndes Discohoppeln zu wechselnder Musik, ihr Gespräch ein Frage-Antwort-Tänzchen. »Wie sah mein Vater aus, welche Musik mochte er, wie starb er?« »Sehe ich wie er aus?« Sie schweigt, er umarmt sie von hinten, legt sein Kinn auf ihren Kopf, seinen Fuß auf ihre Schulter.

 

Man glaubt ihnen das alles. Dabei kommt es »Susan & Darren«, das 2006 Premiere hatte, nicht auf Wahrheitsfindung an. Sondern ihr Umgang miteinander, das Reden, Reinreden, Nähe, Humor und Ernsthaftigkeit, die sie zeigen, sind ihre message. Deshalb ist die Einladung zu Heimspiel konsequent: Es sind genau diese beiden, um die es geht. Auch wenn alles inszeniert ist. Den Text hat Sonia Hughes geschrieben, dazu kommen Regie und Choreo­graphie von Richard Gregory, Renny O‘Shea, Jane Mason.

 


Pol Heyvaert hat »Fuck My Life« zum Stück gemacht. Der Regisseur und Dramatiker aus Gent suchte im Auftrag des Cork Midsummer Festivals 2009 aus 300 jugendlichen Bewerbern fünfzehn aus, mit denen er ein Jahr lang probte. Sie agieren, indem sie sprechen. Am Mikrofon. Durch ihre Art zu reden und die Positionen, die sie dabei vertreten, werden sie zu Persönlichkeiten, durch die inszenatorische Zuspitzung zu Rollen oder Typen. Damit spielen sie.

 

»Niemand hasst Cork, niemand liebt es. Alle wollen aus Cork weg. Ich auch«, beginnt der dickliche Charlie. Und fortan geht es um Hass, um Liebe, um Happiness, ums Weggehen – um Selbstmord. Charlie bellt Statistiken, die auf flachsinnige Weise von Unglück sprechen. Wie viele Mädchen Ärztin werden wollen und als Krankenschwestern enden. Wie viele irische Jugendliche psychisch krank sind, die hohe Rate der Trinker und der Selbstmorde. »You better listen to us!«,  Colette ruft dazu auf, offener über Gefühle zu sprechen und redet gleich selbst von Tod, Angst, Schmerz und etwas, das man am Ende hinterlässt. Zwei Jungs nehmen gefühlig Abschied: »Versprich mir, dass du überleben wirst.« Kuss. Dann: »I love ›Titanic‹«. Fürs Reden und für die Liebe und das Glück und das Leben gibt es kein Rezept oder zu viele.
Zu sehen sind Dialoge, Monologe. Dazu Videoeinspielun­gen: die Teens selbst als Filmdarsteller, mit Sprühsahne beim Sex-Vorspiel und Kotzanfall, Späße auf der Straße; Erwachsene, als Eltern, schütteln die Köpfe oder reden liebevoll, nachdem ein Mädchen elterliche Verbohrtheit angeprangert hat. Neben dem direkt Gesagten lauert immer etwas anderes. Auch Zuhören will gelernt sein.

 

Am Schluss reihen sich alle auf und sagen Danke: an Papa, Freunde, die Theaterförderer und an den Vermieter eines überteuerten Scheißlochs. Eine der Methoden dem, wovon die Jungs und Mädchen erzählt haben, zu entkommen: Springen. Drei gehen von der Bühne. Das ist die jährliche Rate in Cork. Im Video sprechen Hinterbliebene. Tochter und Bruder sind gegangen, »wir aber müssen unser Leben leben«. Was hinterlässt man? Ein Lebenswerk? Einen Zettel mit »Sorry«.


»Fuck my Life« R: Pol Heyvart, DEA, 31.3., Schauspielhaus, 19.30 Uhr (Festival­eröffnung);
»Susan&Darren« Quarantine &
Company Fierce, 1., 2.4., Halle Kalk,
21 Uhr, 3.4., 19 Uhr.
Beide Stücke mit deutschen Übertiteln
Verlosung > Tageskalender erste Seite
Heimspiel 2011, 29.3.–?4.4. Orte:
Schauspiel Köln, Kölnischer Kunstverein, Antoniterkirche, U-Bahnhof RudolfplatzSymposium 1.-3.4., Kölnischer Kunst­verein. 
Vollständiges Programm: heimspiel2011.de