Beispiel Bogenallee, Hamburg-Harvestehude:

Licht aus, Tür zu: Letzte Chance für die 50er

Man kann darauf warten, bis endlich jemand die leer stehenden Büros ­mietet. Oder man kann sie umnutzen. Hans-Christoph Zimmermann hat sich umgesehen, was möglich ist.

Hell ist es und ruhig auch. Beides vermutet man in der ersten Etage eines 13-stöckigen Bürohochhauses an der Inneren Kanalstraße erst einmal nicht. Im Patrizia-Tower, schräg gegen­über der Ehrenfelder Zentralmoschee, der in den 70er Jahren errichtet und 2004 saniert wurde, entsteht derzeit das Betahaus Köln. Noch liegen die neuen Fensterbänke auf dem Boden, ist die Teeküche noch Rohbau, warten die orangefarbenen Kabel auf der Rolle. Der neue Coworking-Space ist derzeit eine Baustelle.

 

Doch Anu Beck, die das Projekt seit einem Jahr begeistert vorantreibt, hat alles schon klar vor Augen: zunächst 45, später siebzig Schreibtische, dazu zwei »Besprechungs-Cubes«, drei Skype-Kabinen in einer Lounge sollen zur neuen Heimat der digi­talen Bohème werden. W-Lan, Ausdrucke, Scans gibt’s kostenlos. Den obligatorischen Milchkaffee trinken die Nutzer dann im Erdgeschoss, wo ein Café eingerichtet wird. Wie hoch die Investitionen sind, sagt Anu Beck nicht, das Geld stammt von Investoren, aus Crowd-Fundraising in der Online-Communi­ty und den Kollegen des Berliner Betahauses.

 

Dass das Betahaus in den Patrizia­Tower einziehen konnte, hat mit den niedri­gen Mietpreisen für alten Bürobestand zu tun. Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln beobachtet seit 1990 bei diesen Immobilien kontinuierlich steigende Leerstandsraten. Das führt zum Preis­­verfall, teilweise kostet der Quadrat­meter nur sechs, sieben Euro, was dem Niveau mittelmäßigen Wohnraums entspricht. Gleichzeitig halte die Nachfrage nach neuen qualitativ hochwertigen Büroflächen mit Preisen von fünfzehn bis zwanzig Euro pro Quadratmeter unvermindert an, sagt der IW-Experte. Allerdings: »Es kommt mehr Druck auf die Branche.« Angesichts des Bedarfs an innerstädti­schem Wohnraum seien die Bürger nicht bereit, den Büroleerstand zu akzeptieren, glaubt Voigtländer.

 

Das Schlagwort, das nun kursiert, ist »Redevelopment« und bezeichnet das gesamte Spektrum von Umnutzungen. Das kann im Fall einer Büroimmobilie die Nutzung als Büro, als Wohnung, als Hotel, als Ort für kulturelle Events oder auch der Abriss sein. Der Hamburger Architekt Carsten Venus vom Büro Blauraum hat sich intensiv mit der Umwandlung von Büro- in Wohnimmobilien beschäftigt. In mehreren Projekten, aber auch in einer umfangreichen Studie zu »Möglichkeiten und Chancen, unrentabel und unfunktionell gewordenen innerstädti­schen Bürohausbau der Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahre zu Wohnraum umzunutzen«. Dass das Thema so wichtig geworden ist, liegt für ihn am Lebenszyklus der Büroimmobilien, die in immer kürzeren Abständen in Sachen Haustechnik, Energiestandard, Grundriss-Flexibilisierung erneuert werden müssen.

 

Die größten Schwierigkeiten bei einer Umnutzung stellen aufgrund der schlechten technischen Qualität und den Forderungen des Denkmalschutzes Bürogebäude der 50er Jahre dar. Die vorangetriebene Industrialisierung der Bauteile und die Modulbauweise machen eine Umnutzung von Gebäuden der 70er Jahre dagegen recht einfach. So hat das Büro Blauraum in der Hamburger Bogenallee einen viergeschossigen Bürobau zu einem preis­gekrönten Komplex mit Eigentumswohnungen umgewandelt. Das Gebäude wurde bis auf Stützen und Decken entkernt und dann wie ein Neubau behandelt.

 

Für Carsten Venus lag die Herausforderung nicht in der Bautechnik, sondern in der »architektonischen Sprache«. In der Umnutzung sieht er die Chance, »dass wir in der europäischen Stadt die zeitgemäße Architektur im Bestand weiterent­wickeln«. Er ist zwar kein bedingungs­loser Verfechter des Redevelopment, betont aber, dass der Bedarf an billigem Raum zum Beispiel für Coworking-Spaces oder Youth-Hostels wächst. »Die Umnutzung bietet die Chance, in Nischenmärkte reinzugehen, die vom frei finanzierten spekulativen Neubau nicht bedient werden«, sagt Venus.

 

Jede Stadt hat jedoch ihre eigenen Bedingungen. In Frankfurt am Main, wo es zeitweise einen Büroleerstand zwischen 16 und 18 Prozent gibt, will die Kommune im Stadtteil Niederrad die dortige Bürostadt an der Lyoner Straße »aufforsten«. Ein Drittel der rund eine Million Quadratmeter Büro-Bruttogeschossfläche steht in Niederrad leer und soll in Wohnungen umgewandelt werden.

 

Anna Luise Müller, Leiterin des Stadtplanungsamtes in Köln, warnt aber vor Alarmismus. »Das Thema haben wir so nicht«, sagt sie. Als Beispiel, wie »monokulturelle Standorte in urbane Standorte umgenutzt« werden könnten, nennt Müller die Bürobauten des früheren Gerling-Konzerns im Friesenviertel. Die innerstädtische Lage, die besondere Bausubstanz und die Fläche zum Nachverdichten machten das Areal attraktiv für eine Mischnutzung aus Arbeit, Wohnen, Freizeit und Kultur.

 

Die A&O Hotel and Hostels Gruppe wiederum zeigt am Beispiel des früheren BND-Verwaltungsgebäudes am Mauritiuswall, wie sich die Bürozellenstruktur sinnvoll in ein Youth-Hostel umnutzen lässt – mit wenig Anspruch an die Fassadengestaltung allerdings. Um zukünftige Architekten auf Fragen der Umnutzung vorzubereiten, haben inzwischen Hochschulen wie die RWTH ­Aachen und die Fachhochschule Köln Master­stu­dien­gänge in Redevelopment eingerichtet, wo es um Leerstände von Bürobauten, aber auch Militärflächen und sogar Dörfern geht.

 

Zugleich bilden sich in den Städten Initiativen mit sogenannten Leerstandsmeldern. So weisen das Dortmunder »Büro für Möglichkeitsräume« oder die Düsseldorfer »Freiräume für Bewegung« Immobilien für mögliche Um- oder Zwischennutzungen aus. Letztere sind vor allem im kulturellen Sektor begehrt. So sucht derzeit die Kölner Initaitive artrmx für ihr Kunst-Festival Cityleaks im September händeringend leere Büroräume.

 

Dass auch das Theater Gefallen an grauen Bauten finden kann, bewies 2005 das Projekt »Temporäre Theatrale Zone« der Gruppe Drama Köln. Sie zeigte in den beiden oberen Geschossen des Verwaltungsgebäudes der AXA Versicherung im Gereonsviertel eine Modenschau und Schauspielinszenierungen – für einen Tag. Umnutzung ist eben ein dehnbarer Begriff.