Bloß nicht den falschen Schalter umlegen: Detail eines AKW

Verstörende Schönheit der Technik

Ein Gespräch mit Volker Sattel über seine AKW-Dokumentation Unter Kontrolle

StadtRevue: Herr Sattel, Sie sind 1970 geboren. War Tschernobyl ein einschneidendes Erlebnis in Ihrer ­Jugend?

 

Volker Sattel: Meine älteste Schwes­­ter ging auf Friedens­demos, und auf der anderen Rhein­seite gegenüber unserer klei­nen Stadt stand ein Atomkraftwerk. Das gefiel mir alles nicht. Ich habe aber lieber mit einem Freund einen Spielfilm gedreht: ein Roadmovie auf Super 8 in Schwarzweiß.

 

Warum jetzt das Thema Atomkraftwerke?

 

Anfang 2008 begann ich darüber nachzudenken, dass Atomkraftwerke eigentlich ein super Stoff für das Kino sind: die Verheißun­gen der friedlichen Nutzung der Atomenergie, die Risiken, die monumentalen Kulissen und rät­sel­haften Räume, der mythische Schleier, der diese Welt umhüllt, die verschworenen Männerge­mein­­schaften der Techniker und Physiker. Also wollte ich da rein und mir ein eigenes Bild machen.

 

Können Sie Ihre Recherchen beschreiben?

 

Ich bin mehr oder weniger alle Stät­ten des Atombetriebs in Deutschland abgegangen, um dann zu entscheiden, wo wir drehen. Ich habe mir die Orte so ­genau wie möglich angeschaut, um etwa den Sicherheitswahnsinn der Technologie sichtbar zu machen. Mit Gundremmingen hatten wir ein Atomkraftwerk gefunden, das sogar einen eigenen Architekten hatte. Der Kraftwerksdirektor erzählte uns in einem Interview von dessen Design­vorstellungen für das AKW: Es sollte kein monumentales, nach Schmutz und schwerer Industrie aussehendens Gebäude sein. Dafür gab es auch ein speziel­les Farbkonzept. Man wählte Bisonbraun für die Fassaden aus. Dieses Interview hat es aber lei­der nicht in den Film geschafft.

 

Hat man Ihnen an den Drehorten Vorgaben gemacht?

 

Es gab Unterschiede, wobei wir von den AKW-Betreibern oft zu hören bekamen, dass sie »gebrannte Kinder« seien. Es wurde uns immer wieder unterstellt, nur auf Enthüllungen aus zu seien. Das gab sich aber mit der Zeit. Irgendwann erkannten sie, dass wir keine journalistischen Interessen haben und mit dem Film auch niemand denunzieren wollen. Das hieß aber immer noch nicht, dass uns die Konzerne überall hingelassen hätten: »Alt-Reaktoren« wie Biblis A waren tabu. Außerdem wurde uns klar gesagt, dass wir in den AKW das Personal nicht nach persönlichen Meinun­gen fragen sollten.

 

Konnten Sie Unterlagen wie Krankheitsstatistiken von Mitarbeitern einsehen?

 

Wir haben danach gefragt. Daraufhin wurde uns mit einem Grinsen erzählt, dass deutsche AKW-Arbeiter im Durchschnitt gesünder seien als Arbeiter in anderen Industrien –, weil sie öfter und gewissenhafter ärztlich untersucht werden.

 

Warum bleibt der Film im Wesentlichen auf Deutschland beschränkt? AKW werden gerne in Grenznähe gebaut.

 

Zur Recherche war ich auch in Temelín in Tschechien, im umstrittenen AKW an der Grenze zu Deutschland und Österreich. Letztlich erforderte der Blick des Films aber, sich auf Atomstätten zu beschränken, in denen deutsche Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten.

 

Gab es Filme, die für Sie Vorbilder waren?

 

Ich habe eine Menge Archivmaterial gesichtet, meist dokumentari­sches. Da gibt es wirklich groß­artige Sachen. Wir haben erst in der Montage entschieden, darauf ganz zu verzichten. Referenzwer­ke waren auch »China Syndrom« und die Filme von Raymond Depardon. »China Syndrom« und ähnliche Filme gehören im Übri­gen zum Ausbildungsmaterial des Reaktorpersonals. Die zeigt man ihnen im Simulatorenzentrum.

 

Wollten Sie von Anfang mit klar ­kom­­ponierten Einstellungen arbeiten?

 

Ja. Ich wollte das verstörende Element der Schönheit der Technologie, um eine Ambivalenz in den Film zu bringen, die der Komplex­ität des Themas gerecht wird. ­Genauso versuche ich mit der ­Ästhetik des Films über die Realität hinaus, Projektionsflächen zu schaffen, die der Betrachter in seinem Sinne nutzen kann.

 

»Unter Kontrolle« wirkt oft wie ein surrealistischer Science-Fiction-Film. Die Spielfilme, die sie mit Mario Mentrup gemacht haben, haben auch den Hang zu absurd-apokalyptischen Szenarien.

 

Wie bei den Filmen mit Mario entdecke ich Orte, die Ausgangspunkte surrealer Erzählungen wer­den. Als ich die Männer in Badeschlappen und blauen Kitteln über die lange Gangway zwischen dem Kontrollbereich der Reaktoren und dem nicht radioaktiven Bereich schlurfen sah, begann ich natürlich, nach mehr solcher Si­tuationen zu suchen.

 

Und warum Cinemascope?

 

Monumentale Technologie wirkt am stärksten im entsprechenden Format!