Portrait eines vibrierenden Underground: »Microphone« von Ahmad Abdallah

Alles in der Schwebe

Der arabische Raum befindet sich im Umbruch, das Kino hat ­seinen Anteil daran. Ein Blick auf Tunesien und Ägypten

Religion, Sex und Politik sind bislang die drei großen Tabus, die für das Kino der arabischen Welt gelten. Gewichtung und Hand­habung sind jedoch je nach Land unterschiedlich.

 

Während man von einem nennenswerten libyschen oder irakischen Kino nicht sprechen kann, erinnert die – auch sexuelle – Freizügigkeit tunesischer Filme an die des französischen Kinos – und machte sie gerade deshalb für viele einheimische Zuschauer eher unattraktiv. Hamam-Exotik einer­seits, die immergleiche Darstellung unterdrückter Frauen und zu fanatischen Islamisten mutierter Söhne andererseits haben mit der Alltagsrealität wenig zu tun. Eher offenbaren sie eine ganz eigene Form von Zensur – die des europäischen Förder­systems, das Fluch und Segen für das finanzschwache tunesische Kino ist. Westliche Ko­pro­duk­tions-Part­­ner finden gängige Orientklischees oftmals kassen- und quotenträchtiger als eine Darstellung der komplexen arabischen Realität. Im Rückblick erscheint das Islamisten-Bashing vie­ler maghrebinischer Filme eher als Ausrichtung an west­li­chen Stereotypien und Anbiederung an totalitä­re Staaten der Region, denn als Abbild einer ­realistischen Bedrohung.

 

Gegenüber dem Maghreb ver­fügt Ägypten zwar über die größte und traditionsreichste Kinoindustrie der arabischen Welt, doch schon der Umgang mit dem Grand­seig­neur des heimi­schen Films Youssef Chahine, zeugt von wenig Kunstverstand. Dessen überragen­des Meis­­terwerk »Tatort?...?Haupt­bahn­­hof Kairo« von 1958 blieb zwanzig Jahre lang wegen »pornografischer Darstellung« verboten. »Der Emigrant« (1995) hin­ge­gen wurde vordergründig wegen der Darstellung des Heiligen Jo­seph zensiert, tatsächlich aber kon­nte die Beschreibung der pharaoni­schen Herrschaftsstrukturen als aktu­elle Anspielung verstanden werden.

 

Im ägyptischen Kino domi­nie­ren zurzeit mit Stars besetzte Blödelklamotten und auf Leinwandformat aufgeblasene Soap-Geschichten. Doch parallel zur Entwicklung kostengünstiger digi­ta­ler Aufnahme- und Post­pro­duk­tions­techniken kann man in den letzten Jahren neue Bemühungen um ein unabhängiges Filmschaffen ausmachen.

 

Ibrahim al-Batouts mit Minimalbudget gedrehter »Ein Shams« (2008) gilt trotz aller formaler Schwächen als Wegweiser eines neuen Realismus: Die Geschichte der todkranken elfjährigen Shams ist zugleich das Porträt des gleichnamigen ältesten Kairoer Viertels Ein Shams, bekannt als einstige pharaonische Hauptstadt Heliopolis und christliche Heiligenstätte. In einer dokumentarischen Sze­ne, die die brutale Niederschlagung sozialer Proteste durch die Polizei zeigt, scheinen die kommenden Auf­stände schon vorweggenommen.

 

Der 1963 geborene Regisseur al-Batout hat jahrelang Reportagen in Krisenregionen gedreht, auch in Bosnien und im Irak, das prägt seine Haltung und Handschrift: In »Ein Shams« verknüpft er Dokumentarisches mit Inszeniertem, Ägypten mit dem Rest der Welt.

 

Ebenfalls ein Doku-Fiction-Hybrid ist »Microphone« von »Ein Shams«-Cutter Ahmad Abdallah, der am 14. Mai im Rahmen der Veranstaltung »Game Over« seinen Film in Köln präsentieren wird (siehe Kasten). Der aus dem US-Exil zurückgekehrte Khaled verändert sich durch ­Kontakte zur Underground-Mu­sik­szene grundlegend. Auf der Straße, in Hinterhofateliers und abgetakelten Studios trifft er auf eine Parallelgesellschaft – HipHopper, Rockmusikerinnen, Skater, Graffiti-Künstler. In der nonchalanten Darstellung der Künstler, die sich selber spielen, erfährt man vom zermürbenden Alltag der freien Szene, vom Betteln um Konzertgenehmigungen, die dann kurz vor dem Gig wieder zurückgezogen werden.

 

Bewusst ohne narratives Zentrum, mit vielen sich überkreuzenden Episoden – inszeniert, im­provisiert und dokumentarisch – entwirft »Microphone« das Bild eines verschlungenen, geschichts- und geschichtenträchtigen Alexan­­­drias, ganz im Stil von Lawrence Durrells legendärem Romanwerk »Das Alexandria-Quartett«. Und trotz allen Stillstands im System vermittelt sich dem Zuschauer wie der Hauptfigur die Faszi­na­tion eines permanenten Impro­visierens im Untergrund, die vibrierende kreative Energie einer gefesselten Stadt.

 

Die nichtlineare Erzählweise und das Sujet Off-Kultur waren durchaus anstößig für den offiziell verwalteten, inspirationslos reglementierten und bis ins Mark korrupten ägyptischen Kulturbetrieb. Aber offenkundig traf »Microphone« einen Nerv: Kurz vor den Unruhen erhielt der   32-jährige Abdallah Hauptpreise auf den großen Festivals von Kairo, Alexandria und Tunis.

 

Inzwischen sind in Ägypten wie Tunesien wichtige Posten der Filmbranche umbesetzt, Kommissionen und Verbände werden umstrukturiert. Alles ist in der Schwebe, aber eines hat sich bereits geändert: Man kann jetzt drehen, ohne ständig Angst haben zu müssen, verhaftet zu werden. Bis neue substanzielle Werke entstehen, braucht es Zeit und eine sichere Infrastruktur, aber zumindest die junge ägyptische Film­szene hat sich schon vor und während der Unruhen als Einheit im Aufbruch präsentiert.