Nicht eingekerkert, aber eingekreist: Klaus D.

Vergiftetes ­Miteinander

Dokumenta­tion über den Fall Klaus D.:

Auf Teufel komm raus

Als der Europäische Gerichtshof 2009 die deutsche Regelung zur nachträglichen Sicherheitsverwahrung für unrechtmäßig erklärte, stürzte er neben Justiz und Politik zahlreiche Gemeinden in arge Verlegenheit, die sich plötzlich in der Nach­barschaft eines von Gutachtern als akut rück­fallgefährdet eingestuften Sexu­alstraftäters wie­derfanden. Der Fall des wegen Vergewaltigung verurteilten Klaus D. erregte die größte Aufmerksamkeit. Er wurde von seinem im rheinischen Heinsberg lebenden Bruder aufgenommen, woraufhin der Landrat die Öffentlichkeit alarmierte und besorgte Bürger das Haus des Bruders mit Mahnwachen und Demonstrationen regelrecht belagerten.

 

Mareille Klein und Julie Kreuzer haben in ihrem Dokumentarfilm »Auf Teufel komm raus« die Ereignisse in Heinsberg über etliche Monate hinweg beobachtet und können eindrucksvoll belegen, wie ein schlecht verfasstes Gesetz die Gesellschaft überfordern und das soziale Miteinander nachhaltig vergiften kann. Über den etwas reißerischen Titel muss man dabei ebenso hinwegsehen wie über den falschen Ton, den die beiden Filmemacherinnen mit ihrer ers­ten Einstellung anschlagen. Da ist eine im Garten aufgestellte Warnung vor dem »Kinderschänder« zu sehen; unter ihr laufen aufgeregte Gänse durcheinander und eine Gans wird von einer anderen unnachgiebig gepickt.

 

Zum Glück zeigt »Auf Teu­fel komm raus« dann, dass das menschliche Sozialverhalten weitaus komplexer ist. Alle Beteiligten haben gute Gründe: der Bruder, der an Klaus D.’s Unschuld glaubt, und sich einer Treibjagd durch Behörden und Nachbarn ausgesetzt sieht, und die Nachbarn, die um die Sicherheit ihrer Kinder fürchten. Klein und Kreuzer sprechen mit beiden Seiten und finden in einer vierköpfigen Gruppe von Frauen, die sich dazu durchringt, das Gespräch mit den Brüdern zu suchen, so etwas wie die heimli­chen »Heldinnen« des Konflikts.

 

Obwohl die beiden Filmemacherinnen weit davon entfernt sind, sich auf eine Seite zu schlagen, fällt doch auf, dass die Vertreter der ehrbaren Bürger im Laufe des Films immer gesichtsloser werden und hinter anony­men Beschuldigungen verschwinden. Ihnen fehlt zusehends die ausgleichende Stimme der Vernunft – der im Film nicht präsente Landrat wollte sie sich offenbar nicht zu eigen machen. Und auch sonst bleibt die Rolle des Staates prekär. Am Ende sind sich beide Seiten nur darin einig, dass sie von ihm im Stich gelassen werden.

 

Auf Teufel komm raus. D 2010,

R: Julie Kreuzer, Mareille Klein, 82 Min.