»Alles wird gut«: Tatsächlich? Das Ensemble der Niko von Glasow-Produktion bei Sommerblut, Foto: Niko von Glasow

Lahme, Blinde, Narren

Das Festival Sommerblut feiert sein Zehnjähriges.

Mehr denn je stellt es »Anderssein« in der Kultur ins Zentrum

?Filmemacher und Regisseur Niko von Glasow hat so allerhand hinter sich. Als Produktionsassistent für Rainer Werner Fassbinder ließ er sich nach dem Abitur durch die Münchener Bavaria-Studios scheuchen und kochte Kaffee. Für seine Rolle als Mönch in Jean-Jacques Annauds »Der Name der Rose« verpasste die Maske ihm eine Tonsur. »Doch am Ende bin ich praktisch komplett rausgeschnitten worden, weil ich offensichtlich ein miserabler Schauspieler bin«, lacht er, während er auf einer Parkbank neben dem Ehrenfelder Arkadas-Theater seine Zigarette schmaucht. Er hat Probenpause. Ein sympathisch smarter Typ. Studiert hat der 51-jährige von Glasow Film an der New York University und der Filmhochschule in Lodz. Er arbeitete für Regisseure wie Peter Zadek, Georg Stefan Troller und Hellmuth Costard. Drehte Filme wie »Maries Lied« oder »Edelweißpiraten«. Doch richtig bekannt geworden ist von Glasow erst 2008 mit seinem international ausgezeichneten Dokumentarfilm »NoBody’s perfect«, in dem er zwölf Contergan-Geschädig­te überredet, nackt für einen Aktkalender zu posieren. Der Zwölfte ist er selbst

 

Nun ist der Regisseur, der in London lebt, in Köln, um etwas zu machen, was er zuvor noch nie gemacht hat: Theater. Veranstalter Rolf Emmerich hat ihn geholt, für sein Kulturfestival Sommerblut, das dieses Jahr am 7. Mai seine zehnte Ausgabe startet. Seit Mitte März laufen die Proben zu »Alles wird gut«, ein Stück über Menschen mit körperlichen und geistigen Seltsamkeiten, die bei einer Castingshow in den Warteraum abgeschoben werden. Lang- und Kurzarmige, gelähmte Tänzer, Blinde oder Narren sind hier versammelt. Sie sagen die Wahrheit, ihre Wahrheit. Sie wollen ihren großen Traum verwirklichen.

 

Drinnen im Arkada¸s-Theater hat Regieassistent Florian mit dem Ensemble schon das Warm-up gestartet. Auf der Probebühne tummeln sich neben den behinderten auch nicht-behinderte Schauspieler. »Klar beschäftigt die körperliche Fehlerhaftigkeit uns, aber was für eine körperliche Behinderung meine Schauspieler genau haben, weiß ich gar nicht. Ich möchte ran an die wirkliche Behinderung«, beschreibt von Glasow den Probenprozess. »Das Zentrum von innerem Schmerz, Freude – das suche ich.« Den Kern dieser Emotionen herauszulassen, ihn zuzugeben, werde häufig ›behindert‹. Darin unterscheiden sich Behinderte und Nicht-Behinderte wahrscheinlich nicht besonders.

 

Schauspielerei und überhaupt künstlerische Arbeit ist vielleicht immer etwas Therapeutisches zu eigen, doch was der Regisseur und sein Ensemble hier entwickeln, überrascht. »Im Theater haben die Menschen die Chance, uns anzuschauen«, erklärt von Glasow, »aber ohne Scham«. Gezielt bedienen sich die Akteure auf der Bühne der sozialen Hierarchie, also dessen, was als common sense gilt, um ihn zu negieren oder durch Doppelung zu hinterfragen. Aus Jan Dziobeks behindertem Körper im Rollstuhl dringt plötzlich Kraft, die blinde Schauspielerin Leslie Mader bekommt die Anweisung »spiel more blind!«. Die nicht-behinderten Schauspieler müssen sich ganz schön strecken. Nur mit gelernter technischer Brillanz kommt man hier nicht weit. Von Glasow verlangt von jedem, sein eigenes Thema auf der Bühne zu finden, bevor er die Rolle anlegt.

 

Es ist natürlich kein Zufall, dass »Alles wird gut« im Rahmen von Sommerblut läuft. Das Projekt ist mustergültig für das Festival, das sich mit seinem Anspruch ›andere‹ Künstler im professionellen Kontext zu präsentieren, mittlerweile bundesweit etabliert hat. Im Programm findet man alles an literarischen, musikalischen und sonst wie performativen und theatralen Darbietungen. Da ist die Tanzcompany DIN A 13, die Schönheit fern von konventionellen Bewegungsmustern entfaltet, mit ihrem neuen Stück »Terrains Decouverts« oder die Jugendlichen in »Out Trips – unendliche Reise queer durch Raum und Zeit«, die ihre eigene Utopie einer multisexuellen Gesellschaft in 2099 entwickeln. Die Gruppe Dorisdean recherchiert in »Behinderungen I«, wie Desdemona auf Othello reagiert, wenn er im Rollstuhl sitzt. Georgette Dee, Tim Fischer und Romy Haag, die etablierten Glamour-Queens, tref­fen sich auf der »Diven-Gala«. Alle Künstler verbindet in ihren Arbeiten der Bruch mit dem common sense, sei es thematisch, sei es aufgrund ihres eigenen Andersseins.

 

Vielen dieser Acts ist nicht fremd, dass die Bewertung ihrer Kunst nicht nach Inhalt, sondern durch ihre Position in der sozialen Hierarchie und ihre äußere Erscheinung bestimmt wird. Veranstalter Rolf Emmerich kann ein Lied davon singen: »Gerade Behinderten wird oft gar nicht erst zugetraut, die Qualität eines nicht-behinderten Künstlers zu erreichen, überhaupt professionell zu arbeiten.« Ihre Projekte werden oft unter den Generalverdacht ›Reha‹ gestellt. Oder ihnen wird der Exoten-Status verpasst. Jan Dziobek aus der Glasow-Truppe, der die Schauspielschule in Ulm absolviert hat, erzählt von seiner ersten Premiere: »Ich hatte noch keinen einzigen Satz auf der Bühne gesagt und stand schon im Blitzlichtgewitter.«

 

Warum ist das so, warum scheint es so wichtig, ›anders‹ zu labeln, weiter zu markieren? Die Grande Dame der Glitzerwelt Ro­my Haag winkt ab. Das sei ein ty­pisches Mediending. »Ich bin zwar biologisch keine Frau, lebe aber schon immer als eine. Trotzdem wird immer wieder das Thema Trans­sexualität betont.« Allerdings sind es nicht nur die Medien, sondern auch andere Bereiche der Gesellschaft, die der Stigmatisierung Vorschub leisten. Ein Schritt um Wahrnehmung anders zu struk­­turieren, könnte es da doch sein, alle seine Vorbehalte ein­zuladen und bei Sommerblut auszuführen.