Blühende Kreativität, gescheiterte Märkte

Events wie die vom 22. bis zum 26. Juni in Köln stattfindende c/o pop werden längst von Stadt und Land gefördert. Die Tendenzen zur »Verstaatlichung« der Musikszenen sind keine Neuigkeit, haben aber in jüngster Zeit sprunghaft an Dynamik gewonnen. Christian Werthschulte hat sie unter die Lupe genommen.

Merkwürdig wirkt es immer noch, das Wappen von NRW auf den Plakaten der c/o pop. Offizielle Politik und Pop, das scheint nicht so recht zusammenzupassen: Auf der einen Seite strenge Ordnungsämter und moralisierende Jugendschützer, auf der anderen das Versprechen von Transgression und Glück. Und hatte Tobias Thomas, der Programm­leiter des Festivals, nicht letztens im Stadt-Anzeiger noch gemeint, dass etwa die Stadt Köln Freiräume »immer wieder erstickt«?

 

Aber da steht es, kleingedruckt am ­unteren Plakatrand: »Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen«, und zwar nicht zum ersten Mal. Insgesamt erhält die ­c/o pop 240.000 Euro aus öffentlichen Mitteln, das sind etwa 25 bis 30 Prozent der ­Betriebskosten. Diese Förderung hat auch Symbolcharakter. Der Staat ist längst im Pop angekommen, ebenso der Pop im Staat. Letztendlich brauchen sich beide gegenseitig – als Helfer in der Krise.

 

Die »Kreativwirtschaft«, also Musik, Design und all die anderen Branchen, die was mit Pop zu tun haben, ist schon seit längerem das Lieblingswort kommunaler und regiona­ler Wirtschaftsförderer. Auch die Branchenvertreter rühmen sich mit steigenden Umsatz- und Beschäftigungszahlen. Ein Gutachten der NRW-Bank von 2008 spricht von einem »zwei- bis dreifache[n] der Wachstumsdynamik der Gesamtwirtschaft«. Aber eigentlich interessiert sich der Staat erst für die Kreativwirtschaft, seitdem die Blütezeit von Pop vorbei ist. Mitte der 90er Jahre zog Tony Blair mit dem Zukunftsversprechen der »Creative Industries« für die britische Labour Party in den Wahlkampf. Kreativität galt als die Ressource der Zukunft, und das Re-Design des britischen Nationalismus als »Cool Britannia« schuf ein passendes popkulturelles Identitätsangebot.

 

Damit war der Prototyp von »Kreativwirtschaft« geboren, deren Pflege mit klei­neren Variationen auch in Deutschland betrie­ben wird. Sowohl der Berliner Senat als auch die Kulturhauptstadt »Ruhr.2010« wol­lten mit der Förderung der Kreativindustrie einen Wandel von Stadt und Region weg vom Image der großen Industrie hin zu einer Identität als weltoffene Metropole signalisieren. Die Ergebnisse sind unterschiedlich. In Berlin kümmert sich die Wirtschaftsförderung um die Touristenmagneten Berghain und Watergate, im Ruhrgebiet gipfelte das Engagement in ­der Unterstützung der katastophal geendeten letzten Loveparade.

 

Der Staat war der Popmusik aber schon von Beginn an eingeschrieben. Durch das Zusammenspiel von wirtschaftlicher Sozialpartnerschaft, Wohlfahrtsstaat und kostenloser Bildung hatten Jugendliche seit den 50er Jahren zum ersten Mal genügend Geld zur Verfügung, um einer Musikindustrie rasant steigende Gewinne zu bescheren. Dass der Staat auf die neu entstehende Popkultur gerne mit Polizeieinsätzen auf Festivals und in Clubs reagierte, hat diese Rollenverteilung nur zementiert: Pop wurde Träger des Versprechens auf ein lustvolles Leben jenseits der Arbeit.

 

Der Hype um die Kreativindustrie ist exakt in dem Moment entstanden, in dem die­se Gleichung nicht mehr aufgeht. Nicht nur, weil die kulturell ohnehin diskreditierten Indus­trie­­ar­beits­plätze zunehmend in Billiglohnländer abwandern und die Gewerbesteuereinnahmen ausbleiben, son­dern auch, weil die Musik­industrie nicht in der Lage gewesen ist zu begreifen, dass sich der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben nicht mehr in verkauften Tonträgern niederschlägt.

 

Der Staat entdeckt die prekäre Selbständigkeit der »Kreativen« als Modell für Sozialleistungen, während die Musikindus­trie ihrerseits die öffentliche Förderung als Einnahmequelle benötigt. Verwirklicht wird dies in der 2007 gegründeten »Initative Musik«, die vom Bundesministerium für Medien und Kultur, der GEMA sowie der GVL (Gesellschaft für die Verwertung von Leistungsschutz­rechten) getragen wird. Jedes Jahr wird eine Summe von etwa 2,4 Millionen Euro an Bands und Musiker ausgeschüttet, die damit Aufnahmen und Tourneen finanzieren können. Den Großteil dieser Summe trägt das Ministerium.

 

Damit soll eine Situation aus­geglichen werden, die Mark Chung, Vorstandsmitglied der Initiative, im Interview mit SPEX als »failed market« bezeichnet: Plattenfirmen haben nicht (mehr) genügend Kapital, um Nachwuchsbands zu fördern. Der Staat soll aushelfen, indem er einen Markt simuliert. Wer sich als Künstler bei der Initiative um Geld bewirbt, muss ein Bankdarlehen oder einen Plattenvertrag vorweisen, um gefördert zu werden.

 

In dieser Art der Kulturförderung kommt eine zentrale Funktion des Staates zum tragen: Zum einen muss er aufgrund der Krisenhaftigkeit von Märkten permanent investieren, damit sie überhaupt funktionieren. Zum anderen muss er diesen Eingriff ideo­logisch im Sinne einer Politik begründen, die jede staatliche Hilfeleistung an Bedingungen auf Seiten der Hilfesuchenden knüpft. So wird aus einem ökonomischen Stimulus das Markenzeichen »Gefördert durch die Initiative Musik«, das eine Zugehörigkeit zum repräsentativen Kreis förderungswürdiger Künstler garantiert.

 

Damit sind nicht nur rein ökonomi­sche Vorteile verbunden: Bands aus dem Förderprogramm der »Initiative Musik« spielen auf subventionierten Festivals wie der Co­logne Music Week, teilweise gibt es Überlappungen mit dem Programm eher klassisch ausgerichteter Spielstätten wie dem Konzerthaus Dortmund oder der Düsseldorfer Tonhalle. Diese Spielstätten haben ihr Programm in den letzten Jahren stärker in Richtung Pop ausgerichtet, weil sie sich gegenüber einer Generation, die selbst popsozialisiert ist, neu legitimieren müssen.

 

Letztendlich spiegelt sich in beiden Fällen der Geschmack eines jungen Bürgertums: Indierock, Elektronik mit Hang zur ­Sophistication und Homelistening-kompati­bler Jazz. Verglichen mit den musikalischen Entwürfen von Roxy Music oder den Einstürzenden Neubauten, die auf indirekte Weise vom alten Sozialstaatsmodell profitiert hatten, kann man getrost eine gewisse Neigung zur Risikolosigkeit attestieren. Die neuen Kraftwerk werden so nicht entdeckt.

 

Vielleicht ist dies aber auch gar nicht Ziel der »Initiative Musik«. Denn dass GEMA und GVL nur jeweils 180.000 Euro pro Jahr in die Initiative investieren, legt nahe, dass der Hauptschauplatz für zukünftige Gewinne der Tonträgerindustrie nicht in erster Linie die Nachwuchsförderung mit öffentlichen Zuschüssen ist. Gemessen an dem Aufwand, der in Fragen des Urheberrechts getrieben wird, sind diese Summen marginal. Das ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), das u.a. bei Grenzübertritten die Möglichkeit der Durchsuchung von MP3-Playern nach illegal gespeicherten Inhalten erlaubt, wurde von den Unterzeichnerstaaten und der EU-Kommission in dreijährigen Geheimverhandlungen ausbaldowert. Per Gesetzgebung schafft der Staat Eigentum und garantiert seine Durchsetzung.

 

Trotzdem erscheint diese Funktion in Maßen als verhandelbar. Im Moment versuchen die europäischen Grünen zu erreichen, dass über ACTA vor dem Europäischen Gerichtshof gestritten wird. Die Musikindustrie hält mit Lobbyismus dagegen. Seit Mitte April ist Maria Martin-Prat oberste Urheberrechts­juristin der EU-Kommission. Vorher hat sie fünf Jahre lang in ähnlicher Position für den Musikindustrieverband IFPI gearbeitet und sich für eine Verschärfung der Regelungen gegen Tauschbörsenbenutzer eingesetzt, die 2004 in Kraft getreten ist.

 

So zeichnet sich ein widersprüchliches Bild. Selbst in einem verschärften Urheberrechtssystem fällt für Nachwuchsmusiker nicht mal ausreichend Geld zur Herstellung ihrer Produkte ab, so dass der Staat mit ein paar Almosen einspringen muss. Die Debatten über alternative Verwertungsmodelle wie die Kulturflatrate finden jedoch nur auf vorpar­lamentarischer Ebene statt, während sich die Staatsapparate weiterhin erfolglos mit der Eindämmung von Filesharing beschäftigen. Dort, wo der Traum vom selbstbestimmten, kulturell reichen Leben in Warenform gegossen wird, ist der Staat zur Durchsetzung von privatwirtschaftlichen Interessen da.