Melancholisch: Mike Mills

Suche nach der verlorenen Zeit

Der Multimediakünstler Mike Mills und sein neuer Film Beginners

 

Es ist nicht schwer, in Oliver, dem Protagonisten von »Beginners«, Mike Mills selbst wiederzuerkennen, den Regisseur, Drehbuchautor und Ko-Produzenten dieses Independentfilms. Grafikdesigner Oliver (Ewan McGregor) verzettelt sich: Anstatt für ein CD-Cover Porträtfotos der Band The Sads einfach in reduzierte Zeichnungen zu übertragen, macht er sich daran, »Die Geschichte der Traurigkeit« zu erzählen. Um die Skizzen und Fotocollagen als Arbeiten von Mills zu erkennen, muss man nicht wissen, dass der 1966 geborene Kalifornier selbst CDs für The Sads gestaltet hat und seine Arbeiten immer wieder Melancholie umkreisen. Die Ähnlichkeit zu Plattencovern und Motiven, die der Multimediakünstler seit den frühen 90ern für Bands wie Air und Sonic Youth oder Modelabels wie X-Girl und Marc Jacobs gestaltet hat, ist unverkennbar.

 

Das könnte man Mills in seinem zweiten Spielfilm als Narzissmus auslegen, zumal Oliver zu lieben lernt, nachdem alle vorherigen Beziehungen gescheitert sind. Doch der autobiografische Bezug wirkt entwaffnend, weil auch für die zweite Hauptfigur eine reale Person Pate stand. Der von Christopher Plummer verkörperte Hal ist Mills‘ Vater nachempfunden, der sich, als er nach 44 Ehejahren Witwer wurde, zu seiner Homosexualität bekannte und unbekümmert offen bis zu seinem Krebstod noch einmal die Liebe suchte. Nach dem Tod des Vaters habe er aufgehört zu arbeiten, schreibt Mills in einem Buch. Als er die Arbeit wieder aufgenommen habe, sei er bemüht gewesen, kleine persönliche Momente zu dokumentieren. Man spürt, wie sehr der Film davon beseelt ist, diese Zäsur zu verarbeiten und die Zuschauer an einer daraus gezogenen Lehre teilhaben zu lassen – und sei sie ein simples »Carpe diem«.

 

Entsprechend ist der Erzählton wärmer als in Mills‘ Spielfilmdebüt »Thumbsucker«. Darin warf er einen merkwürdig neutralen Blick auf jugendliche Verwirrung, was sowohl Publikum als auch Kritik kalt ließ. Die drei zentralen Figuren von »Beginners« nicht zu mögen, fällt hingegen schwer. Der kultivierte Hal, Olivers Vater, ist Museumskurator im Ruhestand und versprüht unbekümmerte Lebenslust, die selbst dann noch unverstellt wirkt, als er sich und seinen neuen schwulen Freundeskreis über das Fortschreiten seiner Krebserkrankung belügt. Die Vitalität des Vaters lässt die freundliche Zurückhaltung Olivers umso sympathischer hervortreten. Und die französische Schauspielerin Anna (Mélanie Laurent), die Oliver nach Hals Tod auf einer Kostümparty kennenlernt, wirkt zunächst sogar noch unaufdringlicher als er, weil eine Kehlkopfentzündung sie am Sprechen hindert.

 

Weil Anna erst in einem Herrenanzug zu sehen ist und der Soundtrack überwiegend aus altem Jazz besteht, mag man sich an »Der Stadtneurotiker« erinnert fühlen, wobei der Vergleich mit Woody Allen Narzissmusvorwürfe weiter entkräftet – obwohl der Jack-Russell-Terrier, den Mills Oliver an die Seite stellt, der Melancholie seines Alter Ego hemmungslos Niedlichkeit verleiht. Dass der Hund per Untertitel kommuniziert, lässt wiederum an die sprechende Katze in »The Future«, dem jüngsten Film von Mills Ehefrau Miranda July, denken. Aber mit July, betont Mills, habe die Figur der Anna keine Gemeinsamkeiten.

 

Während Olivers scheue Romanze die lockere Handlung bestimmt, geht es jedoch um mehr. Der Film setzt nach dem Tod des Vaters ein, und während Oliver aus dem Off dessen Lebensgeschichte rekapituliert, läuft eine  Sequenz mit Privatfotos und zeitgenössischen Illustriertenbildern. Das hat scheinbar den Effekt, den Wirklichkeitsbezug zu betonen, und doch stellt sich die gegenteilige Wirkung ein. Mills lässt die Bilder schnell aufeinanderfolgen, weil er wohl ahnt, dass ihre Evidenz beschränkt ist, dass sie keineswegs Aufschluss darüber geben, wie etwa 1955, im Jahr der Hochzeit von Mills‘ Eltern, geliebt und geküsst wurde, selbst wenn Oliver das behauptet.

 

Indem der Film auf Olivers Eindrücke von Hals spätem Aufblühen und plötzlichem Sterben zurückblendet und in den sanften Erzählfluss Impressionen aus Olivers Kindheit einfließen lässt, begibt er sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Die muss aber unweigerlich scheitern: So reflektiert Mills in unterschiedlichen Varianten von Hals Coming-out, dass nicht einmal der eigenen Erinnerung zu trauen ist. Trotzdem flüchtet sich »Beginners« nicht in (Selbst-)Ironie. So amüsant der Film ist – man muss ihn ernst nehmen. Darin liegt auch der Schlüssel zu anderen Werken Mills‘, deren Mischung aus Sentiment und Banalität verwirrt: wenn er bei einer Street-Art-Aktion auf eine Plakatwand »Love Is Worth It« sprüht oder in einem seiner Musikvideos für Blonde Redhead über einer tris­ten Straßenkreuzung einen digitalen Regenbogen aufgehen lässt.