Ästhetische Einfachheit: Arrietty und Sho

Herzensangelegenheit

Arrietty – Die wundersame Welt der Borger

von Hiromasa Yonebayashi

Gut zwanzig Jahre lang plagte das Anime-Studio Ghibli ein massives Problem: Es wuchsen keine neuen Regisseure nach. So blieb alles an den Gründern Hayao Miyazaki und Isao Takahata hängen, wobei letzterer auch schon über zehn Jahren keinen Film mehr gedreht hat. Yoshifumi Kondo, der mit dem wunderbaren »Stimme des Herzens« (1995) als Retter erschien, verstarb kurz nach Vollendung des Films. Andere erwiesen sich als Enttäuschungen. Und so musste Mitgründer Miyazaki weiter ran. Jetzt ist anscheinend endlich der Nachwuchs da: Hiromasa Yonebayashi gibt mit seinem Debüt »Arrietty – Die wundersame Welt der Borger« Anlass zur Hoffnung.

 

Wie vieles aus dem Studio Ghibli basiert »Arrietty« auf einem europäischen Kinderbuch, diesmal ist es Mary Nortons »Die Borger«. Der Klassiker wurde schon mehrmals für das britische Fernsehen und das Kino adaptiert. Yonebayashi sowie Co-Autor und Produzent Miyazaki lassen sich nun aber lediglich vom Stoff inspirieren und siedeln ihre Geschichte in Japan an: Sho zieht zu seiner Großtante Sadako nach Tokio, wo er sich in wenigen Tagen einer komplizierten Herz­operation unterziehen muss. Er weiß, dass die Chance, den Eingriff zu überleben, nicht groß ist. Bald nach seiner Ankunft lernt er Arrietty kennen – eine Borgerin. Borger sind winzige, humanoide Geschöpfe, die von dem leben, was die Menschen nicht brauchen – dessen nehmen sie sich dann dankbar an.

 

Arrietty lebt mit ihrer Mutter Homily und ihrem Vater Pod wohl schon seit langer Zeit unter dem Fußboden des Hauses. Schon Shos Eltern und Großeltern wussten um die Gegenwart der Borger. Mit Sho und Arriety treffen und finden zwei äußerlich sehr unterschiedliche, aber herzensgleiche Geschöpfe zusammen, die sich mit derselben Frage beschäftigen müssen: Wie kann ich weiter leben in dieser Welt – und warum?

 

Wer mit dem Studio Ghibli das ausufernd Fantasievolle Miyazakis verbindet, wird von »Arrietty« überrascht sein. Der Film ist über weite Strecken still, delikat, ein wenig nachdenklich, mit einem Zug zur ästhetischen Einfachheit. Yonebayashi versucht, mit möglichst wenigen, genau gewählten Bewegungen auszukommen: Klarheit und Schönheit durch Reduktion der Mittel. Mit Erfolg. Dieser Versuch über den Lebenswillen gehört zum Schönsten, was man dieses Jahr hier im Kino zu sehen bekommen wird.