Haben einen Mordshunger: Barreiro, Gaitan, Chávez

Das große Fressen

Horror-Sozialdrama: Wir sind was wir sind

von Jorge Michael Grau

Mitten im Einkaufszentrum bricht Papa zusammen und krepiert, Schwarzes schwappt ihm aus dem Mund. Kurz zuvor starrte er noch verwirrt sein Spiegelbild in einem Bademoden-Schaufenster an, gleich danach werden seine sterblichen Überreste von einem Säuberungsrollkommando entfernt, so dass Minuten später kein Fleck mehr an den Vorfall erinnert. Woran er starb? Nun ja, woran verenden Menschen, in deren Innereien der Leichenbeschauer abgenagte Frauenfinger findet?

 

Für Patricia, Sabina, Alfredo und Julián bricht eine Welt zusammen: Wer soll nun das tägliche Fleisch auf den Tisch bringen? Das war bislang die Aufgabe des Vaters, der dies nur zu gern mit Nutten erledigte, die er vorher wohl auch vernaschte. Rasch bricht ein Machtkampf aus: Patricia möchte den grobschlächtigen, daueraggrogeilen Alfredo zum neuen Oberhaupt der Familie wählen, während Sabina sich auf die Seite des unscheinbar-umsichtigen, wenig gewaltbereiten Julián schlägt. Alldieweil beginnen zwei tumb dreinschauende, aber immerhin an dem mysteriösen Fingerfund interessierte Polizisten mit ihren Ermittlungen.

 

Jorge Michael Graus Debüt »Wir sind was wir sind« ist ein recht eigenartiges Geschöpf: Immer dann, wenn die Ordnungshüter ins Spiel kommen, hat er was von einer soliden, bodenständigen mexikanischen Genre-Exerzitie: Die Polizisten sind feist, die Witze derb, die Actionversuche etwas grobmotorig. Der Rest verströmt mit tendenziell starrer Kamera, trübem Licht und Zug zum Sepia-Monochromen einen gewissen Arthouse-Charme. In den Familienszenen werden denn auch sämtliche Themen – allen voran: die Geschlechterrollen – durchgearbeitet, während die Polizeiszenen primär Stimmung machen. Das funktioniert gut, besser als bei den meisten Hybriden dieser Art, da die unterschiedlichen Stimmungen ihren jeweiligen Sphären klar zugeordnet sind.

 

Am interessantesten sind dann aber doch genau jene wenigen Szenen, in denen die Familie ihre Freistatt verlassen und auf die Jagd gehen muss, etwa auf Freiwild wie obdachlose Kinder, die unter einer Zubringerbrücke hausen. Brutal ist deren prinzipielle Verfügbarkeit: Wenn sie verspeist werden, dann kümmert das niemanden. Niemanden! Für die Herrschenden ist eine Kannibalistenfamilie nichts anderes als ein Fleckenentfernungsmittel der Sozialhygiene, und dass sich die Polizei dafür interessiert, allein ein Irrtum.