Offene Haare, offene Fragen

Kathrin Rhomberg, von Wien nach Köln gewechselte neue Direktorin des Kölnischen Kunstvereins, startete jetzt ihr Programm mit einer Malereischau von Albert

Oehlen und Künstlerfreunden. Ein Gespräch mit ihr über den Zustand des Provisoriums, den Inhalt von Umzugskisten, Fragen nach Verortung, die aktuelle und geplante Ausstellungen.

Kathrin Rhomberg arbeitete zuletzt für die Wiener Secession, kuratierte neben vielen Einzelausstellungen u.a. freie Projekte in Osteuropa und die »Manifesta 3« in Ljubljana. Projekte der »demokratischen Kuratorin« waren bisher Auseinandersetzungen mit Themen wie westliche Blickgewohnheiten, ästhetische und politische Interessenkonjunkturen, Hoffnung und Scheitern engagierter Kunstpraxen. Welche Pläne hat sie für Köln und den Kölnischen Kunstverein (KKV), der jetzt sein Übergangsquartier im ehemaligen British Council bezieht?

StadtRevue: Entscheidend für Ihre Berufung war, dass Sie den Status des Provisorischen als konstitutiv für Ihr zukünftiges Programm im KKV verstehen. Was reizt Sie am Provisoriumszustand in Köln?

Kathrin Rhomberg: Er entspricht der momentanen Situation. Gesellschaftspolitisch, aber auch kuratorisch und institutionell befinden wir uns seit geraumer Zeit in einer strukturellen Krise, die durch Entpolitisierung, verstärkte Medialisierung und Ökonomisierung geprägt ist. Im Provisorischen sehe ich eine interessante Möglichkeit, die Präsentation, Vermittlung und Diskussion zeitgenössischer Kunst zu überdenken und nach Alternativen zu fragen.

Die neue Generation von KunstvereinsleiterInnen kann und will offenbar nicht mehr mit den übernommenen Vereinsräumen leben. Baustellensituationen gehörten auch für Ihre Kollegen in Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf programmatisch zu ihrem Amtsantritt. Womit sollte Ihrer Meinung nach im Kunstvereinsbetrieb Anfang des 21. Jh. unbedingt aufgeräumt werden?

Die Programme vieler Kunsthallen und Museen sind durch den globalen Informationsaustausch immer einheitlicher geworden. Aufgabe des Kunstvereins ist es, unverwechselbare Programme zu entwickeln, die ortsspezifisch sind, aber trotzdem internationale Perspektiven haben. Die Baustellensituation ist auch eine geistige Situation: Ich habe auch keine Antwort darauf, wie der Kunstbetrieb des 21. Jh. aussehen könnte. Niemand hat sie. Es gibt nur dieses Unbehagen, dass die Modelle der 90er Jahre nicht mehr funktionieren. Und den Wunsch, viel experimenteller, risikoreicher, offener zu arbeiten.

Aber es wird auch Umzugkisten aus Wien und der Cäcilienstraße geben, die Vorhandenes bewahren? Was ist drin?

Schwer zu sagen. Ich bin in einem paralytischen Schwebezustand. Der Ort ist immer wichtig für das Programm. Unabhängig davon werde ich auf jeden Fall osteuropäische Positionen in Köln vorstellen. Das war zuletzt einer meiner Schwerpunkte. Auch an längerfristigen Kooperationen mit Künstlern werde ich weiter arbeiten. Ich möchte ihnen Zeit geben, länger an verschiedenen Projekten für den KKV zu arbeiten. Auch ein Kommunikationsprojekt, an dem ich arbeite, wird sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Thema ist die Migration und der kulturelle Zuwachs, den die Migranten in die Bundesrepublik eingebracht haben, und es wird neben der zeitgenössischen Kunst auch Alltagskultur, Film, Theorie, Literatur, Musik und Theater umfassen. Wir planen auch ein Artist-in-Residence-Programm, dass auswärtigen Künstlern die Chance gibt, sich über längere Zeit mit dem Ort, der Kunstszene und den Diskussionen hier auseinander zu setzen. Dieser Idee ist auch der Central-Kunstpreis verpflichtet, den es weiterhin geben wird.

Wie wollen Sie sich damit auf dem gut abgesteckten Terrain »zeitgenössische Kunst« in Köln zwischen Galerien, nicht-kommerziellen Räumen und Museum Ludwig inhaltlich positionieren?

Das Museum Ludwig und die Galerien decken vieles ab. Durch Kasper König hat sich hier einiges verschoben, was ich mitdenken muss. Ich kann nicht so weiterarbeiten, wie Udo Kittelmann aufgehört hat. Das würde auch er nicht machen. Die große Chance für den KKV ist, dass sich durch die Interimssituation wieder neues Terrain öffnet und er wieder zu einem Ort für Experimente wird.

Zu experimentieren nehmen aber doch auch andere Institutionen und Räume in dieser Stadt für sich in Anspruch.

Es wird nicht nur um Experimente gehen. Man muss sie anbinden an schon etablierte, aber für unsere Zeit bedeutsame Positionen, um durch dieses Wechselspiel jüngeren, unbekannteren Positionen eine bessere Plattform zu geben, damit sie sich auch international behaupten können. Wenn man nur experimentell arbeitet, bleibt man oft in einem kleinen Kreis hängen.

In Wien haben Sie z.B. durch eine Kooperation mit »museum in progress« und der Zeitung Der Standard versucht, Ausstellungen in den Medienraum zu erweitern. Wie sieht Ihre Netzwerkplanung für Köln konkret aus?

Da ich erst seit März richtig in Köln bin, kann ich das noch nicht genau sagen. Gerne würde ich aber auch für Köln Modelle der Kooperation mit Zeitungen und für den öffentlichen Raum entwickeln. Köln stellt sich ja immer als Medienstadt dar. Aber die Zeitungslandschaft ist anders als in Wien. Ich recherchiere noch, und ich bin mit der KHM und der freien Szene in Kontakt, kann mir Kooperationen über die Stadtgrenzen hinaus auch mit anderen Institutionen, Kunstvereinen in Bonn, Düsseldorf und Braunschweig vorstellen.

Die Interimslösung »Brücke« verlangt Umbau. Ist für diese Zeit ein Baustellenprogramm geplant?

Ich will zusammen mit Christian Kravagna aus Wien ein Vortrags- und Diskussionsprogramm zu dieser realen und geistigen Baustellensituation kuratieren und Architekten, Theoretiker, Stadtplaner und Künstler einladen. Aus der inhaltlichen Bearbeitung werden künstlerische Projekte erwachsen. Wir wollen auch Kuratoren einladen, denn es gibt viele Kollegen, die in derselben geistigen Denkphase stecken und Dinge hinterfragen.

Ist der Zustand auch paralytisch, weil Antworten fehlen?

Im Gegenteil. Es ist unglaublich produktiv, Zweifel zuzulassen und aktiv nach Veränderung zu suchen. In meiner letzten Ausstellung »Ausgeträumt ...« in der Wiener Secession habe ich Kollegen und Theoretikern solche Fragen gestellt. »Ausgeträumt ...« hat im Titel diese drei Punkte. Es geht um den Moment der Desillusion in Ost- und Mitteleuropa, v.a. auch in Österreich nach den letzten Regierungsentwicklungen. Aber »Ausgeträumt ...« hat diesen Desillusionsmoment als einen produktiven thematisiert. Nach dem Zusammenbruch kommunistischer Systeme hat man nicht mehr über Alternativen zum westlich-liberalen Demokratiemodell nachgedacht. Das Problem ist der enorme Produktionsdruck im künstlerischen und theoretischen Bereich, mit Verflachung als Resultat. Wir leben in einer Phase totaler Fragmentierung, Orientierungslosigkeit, Rentabilitäts- und Effizienzdenkens und extremer Beschleunigung. Im institutionellen Rahmen müssen wir mit Künstlern Konzepte entwickeln, wie wir damit umgehen. Überlegenswert wäre, weniger zu produzieren, ephemerer, immaterieller zu arbeiten, statt weiter Projekte zu fördern, die kulturindustriellen Anforderungen entsprechen. Der KKV sollte sich wieder enger an Künstler anbinden.

In ihrer ersten Ausstellung in Köln »Offene Haare, offene Pferde - Amerikanische Kunst 1933-45« setzen sie auch auf die Künstler: Vor den Baggern haben sie den Raum Albert Oehlen überlassen, die Ausstellungskonzeption und die Wahl weiterer Künstler an ihn abgegeben. Ein Akt Ihres kuratorischen Selbstverständnisses?

Die enge Zusammenarbeit mit Künstlern war für mich immer das Wesentlichste und wird es auch in Köln sein. Mehrere Punkte waren für die Ausstellung mit Albert Oehlen wichtig: Mit ihm einen Künstler einzuladen, der eine international herausragende und widersprüchliche Position für die Malerei besetzt, der über die Malerei hinausgeht und diese immer wieder demystifiziert und damit ständig ernauert, der an der Düsseldorfer Kunstakademie unterrichtet und mit jüngeren Künstlern zusammenarbeitet. Mit diesem abschließenden Projekt sollte das traditionsreiche Gebäude an Künstler ohne Auflagen zurückgegeben werden.

Qua Manifest behauptet die Ausstellung, sich über die Künstlerperson John Graham an modernistischer Kontinuität, Referenz und Wiedergängertum in der Kunst abzuarbeiten. Deutlich ist vor allem, dass das Ergebnis improvisiert wirkt, hermetisch statt offen, nicht lokalspezifisch und auf den Malereidiskurs beschränkt. Man atmet viel Akademieluft. Was hat Sie an dem Konzept interessiert?

Es ist ein bewusster Bruch mit meinen Projekten der letzten Jahre. Ein Kurator hätte die Auswahl der Arbeiten, ihre Hängung so nie umgesetzt. Das mag Irritationen auslösen, die mir aber wichtig sind, weil sie Denkprozesse initiieren. Das Projekt wird rückblickend interessant sein als Manifest von Oehlen und seinen Freunden, und wird als solches vielleicht sogar eine gewisse Radikalität erfahren. Und es erfüllt Erwartungshaltungen nicht, die man vielleicht hinein projiziert hat.

Erwartungshaltungen an Sie als Kuratorin, die sonst das Verhältnis aktueller Kunstpraxis zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen thematisiert?

Einige, die meine Arbeit kennen, waren vollkommen irritiert. Festlegungen finde ich unproduktiv und langweilig. Ich habe nicht in Köln gelebt, habe die meisten Ausstellungen nicht gekannt, habe kein Gespür für den Ort entwickeln können. Es steht mir nicht zu, diesen Ort zu Ende zu spielen, der 40 Jahre ein wesentlicher Ort für viele Künstler war. Deshalb die programmatische Überlegung, das Konzept denen zu übertragen, die hier ihre künstlerische Entwicklung durchlaufen und den KKV mit seiner Tradition erfahren haben. Wenn man etwas bewegen will, sollte man immer mit vollem Risiko arbeiten. Manchmal funktioniert es phantastisch, manchmal irritiert es oder funktioniert nicht.

»Offene Haare, offene Pferde - Amerikanische Kunst von 1933-45«, Kölnischer Kunstverein, Cäcilienstr. 33, di-so 11-17 Uhr, zum Abschluss am 21.6. Künstlerfest.