Hass und Liebe: Rolf Dieter Brinkmann, © Christa Donner

Subjektivität und Politik

»Ich erkläre, dass ich das 18. Lebensjahr vollendet habe und den Roman von Rolf Dieter Brinkmann, ›Keiner weiß mehr‹, ausschließlich für meinen privaten Gebrauch erwerbe«, so lautete der Verpflichtungsschein, der vor vierzig Jahren der Erstausgabe des Romans beilag und den jeder Käufer unterschreiben musste. Brinkmanns erster und einziger Roman entfachte einen Skandal, der sogar den Staatsanwalt beschäftigte. In radikaler Subjektivität schildert der Erzähler des damals 28-Jährigen seine Lebenssituation mit Ehefrau und Kind in Köln: Leben als Krise zwischen gesellschaftlicher Frustration, sexueller Obsession und künstlerischer Unruhe.

 

Am Kölner Schauspiel bringt Stefan Nagel als seine erste größere Regiearbeit am Haus nun den 1968 erschienenen Roman zur Uraufführung. Dass im Jahr der Studentenrevolution aus einer privaten Haltung heraus über Familie gesprochen wurde, darin liegt für den jungen Regisseur die anhaltende Aktualität von »Keiner weiß mehr«. An ihr will er mit seiner Inszenierung anknüpfen. »Das Subjektive ist der einzige Zustand, aus dem heraus man noch über Gesellschaft sprechen kann«, ist sich Nagel sicher. Zugleich zitiert er dazu ganz ernsthaft den 68er-Slogan, wonach das Private politisch sei.

 

Er nimmt in seiner Generation die Wiederkehr von Konventionen und Werten wie Heirat oder Familiengründung wahr, die aber heute nicht ohne innere Distanz zu haben seien: »Wir kämpfen darum.« Brinkmann sei eben kein RAF-Mitglied geworden und habe sich der damals üblichen politischen Auseinandersetzung verweigert, betont der Regisseur. Legendär das Foto, auf dem Brinkmann und sein Freund Ralf-Rainer Rygalla den Spruch »Proletarier aller Länder zerstreitet euch« in die Kamera halten.

 

Mit der Dramatisierung von »Keiner weiß mehr« setzt das Kölner Schauspiel seine Auseinandersetzung mit Kölner Autoren, Mythen und Themen fort.