Das ewige Hinnehmen ist vorbei: Etienne Minougou, Foto: Manfred Wegener

Europäer, macht es nicht wie Jesus!

Festival africologne: der burkinische Regisseur, Autor und Schauspieler Etienne Minoungou über Theater in Westafrika

Anlässlich der Grundsteinlegung von Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso traf Gerhard Haag, Leiter des Bauturm Theater, im Februar 2010 auf Etienne Minoungou, den Künstlerischen Leiter des dortigen Festivals »Récréâtales«. Gemeinsam mit der Dramaturgin Kerstin Ortmeier entstand eine enge Zusammenarbeit in mehreren Etappen. Eine erste Zwischenstation bildet jetzt das Festival africologne. Es zeigt sieben Produktionen des westafrikanischen Theaters aus Burkina Faso, Kongo, Senegal und aus Haïti. Für 2012 und 2013 sind weitere Kooperationen zwischen Burkina und dem Bauturm ge­plant. Etienne Minoungou lebt in Burkina Fasos Millionenhauptstadt Ouagadougou und in Brüssel. 2000 gründete er seine eigene Gruppe, die Compagnie Falinga. 2002 initiierte er das Festival Récréâtrales. Minoungou, 43, ist Präsident des Internationalen Theaterinstituts in Burkina Faso.

 

StadtRevue: Monsieur Minoungou, wie funktioniert das Theater in Burkina Faso?

 

Etienne Minoungou: Es gibt prinzipiell zwei Richtungen: Die eine ist das soziale Theater, das »Théâtre de Sensibilisation« genannt wird. Seine Themen sind vordergründig Gesundheit, Bildung und Erziehung. Die Gruppen gehen bis in die kleinsten Dörfer, um die Leute zu informieren und aufzuklären. Diese Theaterform geht mehr in Richtung eines Unterrichts. Das andere ist das zeitgenössische Theater. Dazu zähle ich meine Arbeit. Das ist sehr viel politischer, aber auch formal und inhaltlich deutlich kreativer und spannender.

 

Wovon erzählen die Stücke des zeitgenössischen Theaters?

 

Im Autoren- und Regietheater geht es häufig um Freiheit, um Korruption, überhaupt um die politische Situation im Land. Wir leben in einem semiautoritären Regime mit gewaltsamem Hintergrund. Der jetzige Präsident Blaise Compaoré hat seinen Vorgänger Thomas Sankara in einem Attentat ermordet. Compaoré ist seit 25 Jahren an der Macht und hält sich nach wie vor. Die beiden waren zuvor Freunde, muss man wissen. In ökonomischer Hinsicht leben wir in einem neoliberalen System unter maßgeblichem Einfluss der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Die politische und die wirtschaftliche Situation haben im Land sehr viel Elend verursacht. Privatisierungen schrei­ten voran und machen auch vor Wasserversorgung, Gesundheitswesen und Bildungseinrichtungen nicht mehr Halt. Das befördert die Armut weiter. Sie macht sich sowohl in den Städten als auch in den Dörfern bemerkbar. Künstlerisch schlägt sich dieser soziale Druck in allen Genres nieder: im Theater, in der Bildenden Kunst und Fotografie, im Film und in der Musik, vor allem auch im HipHop.

 

Auf welche Weise greifen die Stücke im Festival die politische Situation auf?

 

Nehmen wir »Ziitba ou La Situation« (»Ziitba oder Die Situation«) von Sidiki Yougbaré. Der Autor stammt aus Burkina. Sein Stück ist zweisprachig verfasst, in Französisch und Mooré, der burkinischen Landessprache. Normalerweise wird Mooré im Théâtre de Sensibilisation verwendet, weil nicht alle Burkiner Französisch verstehen. Sidiki hat Mooré absichtlich eingesetzt. Alleine das ist ein politischer Akt. Denn die literarische Sprache bei uns ist eigentlich Französisch. Inhaltlich geht es in »Ziitba« um die Diktatur und die Machtausübung gegenüber den Stimmlosen. Selbst wenn das Recht auf der Seite der kleinen Leute wäre, hat die ausübende Macht, etwa der Staatsapparat, immer die Möglichkeit, dieses Recht zu beugen. Hintergrund des Stückes ist die Ermordung des kritischen Journalisten Norbert Zongo, der 1998 durch Präsident Compaoré umgebracht worden sein soll. Recht und Pressefreiheit sind hier hinfällig. Der Staat stellt eine große Gefahr dar, denn er sorgt für die Berichterstattung im Sinne der Regierung.

 

Sie selbst sind mit ihrem Stück »A la vie à la mort« (»Auf Leben und Tod«)  vertreten. Sie haben es inszeniert und spielen es, zusammen mit einem zweiten Darsteller.

 

»Auf Leben und Tod« dreht sich um zwei Gefangene. Der eine ist des Hochverrats angeklagt, weil er den Präsidenten erschießen wollte und sitzt lebenslänglich, der andere hat bei einem Bank­überfall zwei Menschen getötet und ist zum Tode verurteilt. Die beiden treffen sich kurz vor der Hinrichtung. Es ist ein Stück über Freundschaft und über das Gehenmüssen, den Tod. Ich habe soziales Theater gemacht und politisches, aber für mich ist es genauso wichtig, über den Menschen an sich zu sprechen. In modernen afrikanischen Städten wie Ouagadougou gibt es Fragen, die nichts mit Politik, Freiheit, Hunger oder Bildung zu tun haben. Sondern mit der Existenz, mit der Frage »Wer bin ich?«. Das afrikanische Theater kümmert sich eher wenig um diese Fragen. In diesem Stück waren sie für mich die Hauptmotivation.

 

Es wird eine Diskussion geben im Fes­tival unter dem Motto »Entwickeln heißt sich entwickeln«. Wie verstehen sie das genau?

 

In den letzten dreißig, vierzig Jahren sah die Philosophie der europäischen Politik so aus: Wir kommen und wir bringen euch etwas bei. Also eine Politik der Entwicklungshilfe. Die afrikanische Seite hat dabei immer angenommen – und die Großzügigkeit Europas geradezu erlitten. Wenn man aber von ‚sich entwickeln’ spricht, geht es um etwas Persönliches. Ich selbst weiß in meinem Inneren, wie ich leben möchte. Wenn ich Deutsche, Holländer, Franzosen oder Japaner treffe, können wir zusammen Ideen diskutieren, teilen und einen Weg zusammen gehen. Aber ich selbst bewahre dabei meine eigenen Impulse. So funktioniert es. Aber wenn jemand daher kommt wie Jesus…