Foto: Manfred Wegener

Nase brechen verboten

Vom 26. Juni bis zum 17. Juli findet die Frauen-Weltmeisterschaft im Fußball in Deutschland statt. Christian Steigels schaut genau hin – und stellt fest, dass es für Frauen immer noch ein weiter Weg zur Akzeptanz in der Männerdomäne ist.

An die Zeit, als sie mit Fußballspielen begann, kann sich Tanja Walther-Ahrens noch genau erinnern. »Wir hatten damals zwei Sportplätze im Dorf. Es war klar: Der gute Platz war für uns Mädchen und Frauen Tabu.« Die heute 40-Jährige hat trotzdem weitergemacht. Sie war Stürmerin, ein paar Jahre sogar in der Bundesliga. Heute kickt Walther-Ahrens beim SV Seitenwechsel, einem Frauen-Lesben-Team aus Berlin. Der Fußball hat sich verändert, seit sie das erste Mal vor einen Ball trat. »Es ist normaler geworden, dass Frauen und Mädchen Fußball spielen«, sagt sie.

Die Manifestation dieser Entwicklung ist diesen Sommer zu erleben: Vom 26. Juni bis zum 17. Juli findet erstmals die Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Das Interesse an dem vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) in Anlehnung an die Männer-WM 2006 als »Sommermärchen reloaded« hochgejazzten Event ist groß: Partien mit deutscher Beteiligung und Finalspiele sind schon Wochen vor dem Turnier fast ausverkauft. ARD und ZDF übertragen erstmals alle Spiele live. Bücher, Titelgeschichten, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen beschäftigen sich mit der Geschichte des Frauenfußballs.

»Die WM bringt mehr Aufmerksamkeit, als der Frauenfußball jemals hatte«, sagt Nora Kruse vom Frauenfußballblog womensoccer.de. Auch beim DFB freut man sich: »Der Frauenfußball hat eine große Chance, sich weiter zu entwickeln. Es wird einen großen Schub geben«, verkündet Präsident Theo Zwanziger. Auch sonst tut sich was: Die Frauenfußball-Abteilung – bislang mit Ehrenamt und Breitensport zusammengelegt – wird ab September ausgekoppelt. Und mit der Aktion »Team 2011« versucht man, Schulen und Vereine zu vernetzen und so Mädchen den Zugang zum Fußball zu erleichtern.

»Frauenfußball bleibt auch nach der WM eine Randsportart«

 
Doch nicht jeder mag in den Begeis­terungskanon einstimmen. Hans-Jürgen Trit­schoks von der Deutschen Sporthochschule in Köln zum Beispiel. »Die WM wird ein schönes Ereignis. Aber was die Nachhaltigkeit angeht, bin ich skeptisch«, sagt er. Der 55-Jährige arbeitete fast zwölf Jahre als Trainer in der Bundesliga, gewann mit Grün-Weiß Brauweiler und dem 1. FFC Frankfurt vier Mal die Meisterschaft, drei Mal den DFB-Pokal und zwei Mal den UEFA-Cup. Seine These: Wenn es gut läuft, wird die WM den Frauenfußball einen Sommer lang ins Zentrum rücken und beim Titelgewinn der deutschen Mannschaft für temporäre Euphorie sorgen. Das war es dann aber auch.

Denn abgesehen von der Nationalmannschaft ist Frauenfußball in Deutschland eine Randsportart. Mit wenigen Fans. »Dass die Frauen bei der WM vor vollem Haus spielen, ist toll für Sie, täuscht aber darüber hinweg, dass der Frauenfußball insgesamt unter mangelndem Interesse leidet. In der Bundesliga liegt der Schnitt bei unter 1000 Zuschauern«, so Tritschoks. Unter anderem, weil die Liga  sportlich nicht spannend genug ist. Die drei großen Teams Turbine Potsdam, 1. FFC Frankfurt und FCR Duisburg dominieren seit Jahren, es herrscht in punkto Infrastruktur und finanziellen Möglichkeiten eine riesige Diskrepanz zwischen den Vereinen.

Bundesliga wird auch weiterhin medial nicht vorkommen


Das Gefälle in der Liga spiegelt sich auch in der Nationalmannschaft wider. 15 der 21 WM-Teilnehmerinnen spielen bei den Top drei. Wenn die WM überhaupt mehr Menschen langfristig für Frauenfußball begeistern wird, dann bei den Vereinen, die das am wenigsten brauchen. »Lira Bajramaj könnte sicherlich ein Grund dafür sein, dass mehr Leute zu Frankfurt kommen werden. Aber Frankfurt hat eh relativ viele Fans. Kleine Vereine wie der Herforder SV werden weiterhin schwer zu kämpfen haben,« sagt Rosa Wernecke, die zusammen mit Mayte Zimmermann den Frauenfußballblog spielfeldschnitte.de betreibt.
 
Auch am medialen Desinteresse am Frauenfußball jenseits der Nationalelf werde sich durch die WM nichts ändern, vermutet Hans-Jürgen Tritschoks. Zwar haben die Öffentlich-Rechtlichen im Paket nicht nur die Frauen-Länderspiele bis 2016, sondern ab der Saison 2012/13 auch die Spiele der Bundesliga erworben. Mit regelmäßiger Berichterstattung ist aber trotzdem nicht zu rechnen, wie eine Befragung von Sportjournalisten und Sponsoren durch die Medienwissenschaftlerin Daniela Schaaf von der Sporthochschule Köln zeigt. »Die Bedeutung des Frauenfußballs wird aufgrund der WM kaum gesteigert werden. Jenseits der Nationalmannschaft bleibt Fußball eine nahezu bedeutungslose Randsportart, die um mediale Beachtung kämpfen muss«, so Schaaf.

Die Sexualisierung ist überall

 
Um wenigstens Sponsoren langfristiger zu binden, hat man sich in den Marketing-Abteilungen des DFB etwas ausgedacht: die individuelle Vermarktung von einzelnen Spielerinnen, die klassische Schönheitskriterien erfüllen und ihren Körper durch Make-Up, Nagellack oder Schmuck konsequent gendern. Getreu dem WM-Slogan »20elf von seiner schönsten Seite«. Die Sexualisierung ist überall: Die Auslosung der Gruppen nahm das Ex-Model Adriana Karembeu vor, das außer einer gescheiterten Ehe mit einem Ex-Fußballer nicht viel Bezug zum Sport vorzuweisen hat. Ein Spielzeugkonzern brachte Barbie-Puppen von Rekordnationalspielerin Birgit Prinz und Nationaltrainerin Silvia Neid heraus. Und in Werbefilmen legen die DFB-Role-Models Kim Kulig, Lira Bajramaj, Simone Laudehr und Celia Okoyino da Mbabi unmittelbar vor dem Torschuss eine Schminkpause ein. Auf die Einhaltung der Marketing-Ettikette wird strikt geachtet: »Wenn Lira Bajramaj sagt, sie möchte gerne mal einer Gegnerin die Nase brechen, dann wird das aus dem Interview herausgestrichen, weil es nicht passt,« meint Mayte Zimmermann.

Ein riskanter Ansatz, findet Nora Kruse: »Viele Medien interessieren sich im Vorfeld der WM sehr stark für den Boulevardfaktor. Aber der Sport braucht auch die sportlichen Meldungen.« Es droht, was Wissenschaftlerinnen wie Daniela Schaaf in Anlehnung an die ehemalige Tennisspielerin als den Kournikova-Effekt beschreiben. Einzelne Sportlerinnen werden herausgegriffen, nicht wegen ihrer sportlichen Leistungen, sondern wegen ihres Aussehens. Sex sells eben.

Rezeption und Inszenierung von Frauenfußball wird nicht diskutiert

Dabei galt Fußball lange Zeit als Sport für Mannsweiber und Tomboys. »Diese alten Klischeebilder, dass nur Lesben Fußball spielen, wird der Frauenfußball nicht los. Oder dass Frauen automatisch lesbisch werden, wenn sie Fußball spielen. Natürlich spielen auch lesbische Frauen Fußball, aber es gibt eine breite Palette«, sagt Walther-Ahrens. Doch statt diese Vielfalt an Geschlechterrollen abzubilden und die Chance zu ergreifen, die Rezeption und Inszenierung von Frauenfußball zu diskutieren und zu hinterfragen, setzen der DFB und die Sponsoren auf heterosexuelle, junge und dem Mainstream-Geschmack entsprechende Spielerinnen.

»Eine Katastrophe«, finden Mayte Zimmermann und Rosa Wernecke. »Der DFB nimmt klare Ausschließungsmechanismen vor, wer im Mittelpunkt stehen darf. Und wer da nicht zugehört, hat auch weniger Chancen, sich zu vermarkten, auch finanziell.« Die Trennlinie laufe dabei entlang der sexuellen Orientierung. »Die Sexualität spielt eine große Rolle auf der Vermarktungsebene. Eine lesbische Spielerin kommt für Sponsoren nicht unbedingt in Frage, da das anscheinend den Konsumenten abschrecken würde. Das ist extrem diskriminierend«, sagt Wernecke. Auch Walther-Ahrens kritisiert die Strategie: »Man muss sehr vorsichtig sein, wie weit man diesem »Wir-sind-alle-heterosexuell-und-schön-Klischee« entsprechen will.

Die alten Vorbehalte sind immer noch existent


Die Marketing-Strategie verdeutlicht eines der Hauptprobleme des Frauenfußballs: die Akzeptanz in einer Männerdomäne. Aus Sicht der vornehmlich männlichen Entscheider in Verbänden, bei Sponsoren und in den Medien ist die sportliche Dimension schlicht sekundär  – das Frausein ist der interessantere Aspekt. »Der richtige Fußball ist der Männerfußball. Was wir Frauen machen, ist nur eine ärmere Variante des richtigen Spiels«, sagt Walther-Ahrens. Welchen Stellenwert der Frauenfußball in den traditionellen Männervereinen hat, zeigt das Beispiel des Hamburger SV. Nach der enttäuschenden vergangenen Saison der Männer muss gespart werden. Eine Maßnahme: Die zweite Frauenmannschaft wurde vom Spielbetrieb abgemeldet – am Tag, nachdem sie Zweitligameister geworden waren.

Auch die alten Vorbehalte sind immer noch existent, wenn auch weniger offen. »Der Sexismus ist eher zwischen den Zeilen«, sagt Walther-Ahrens. So wie bei FIFA-Präsident Sepp Blatter, der kurz vor der WM lobte: »Ich sehe gerne Frauenfußball, wenn er gespielt wird mit den Qualitäten einer Frau. Wenn das Tänzerische, und nicht das kämpferische Element überwiegt.« Zum Vergleich: Im DFB-Protokoll von 1955 hieß es als Begründung für das Verbot des Frauenfußballs: »Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut.« Und bisweilen bricht sich der Sexismus noch ganz ungehindert bahn. So wie bei Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler, der nach der Niederlage in Köln im Mai dem Schiedsrichter empfahl, doch lieber Frauenfußball zu pfeifen.

Tanja Walther-Ahrens freut sich trotzdem auf die WM. »Der große Effekt wird der sein, dass mehr Frauen auch selber spielen wollen«, sagt sie. Zudem sei auch das große Medieninteresse zumindest für alle Fußballerinnen eine tolle Sache, auch wenn es kurzlebig sei. »Ich weiß noch, wie wir 1989 das EM-Finale im Fernsehen geschaut haben. Das war für uns ein Riesen-Event, dass dieses Spiel überhaupt übertragen wurde. Wir saßen in großer Gruppe vor dem Fernseher und haben das Spiel geguckt.« Auch 2011 wird Walther-Ahrens sich die Spiele im Kreise von Freundinnen anschauen. Beim Public-Viewing und möglichst oft im Stadion. Immerhin dürfen da auch die Frauen mal wieder auf den guten Platz.