These machines kill fascists – die Edelweißpiraten, Foto: privat

»Millowitsch war eher bourgeois«

Der Historiker Klaus Schmidt hat mit »Kölns kleine Leute« eine Geschichte Kölns von unten veröffentlicht

 

Stadtrevue: Herr Schmidt, was sind kleine Leute?

 

Klaus Schmidt: Das sind Menschen, die weder durch Reichtum noch durch gering organisierte Macht wie in Gewerkschaften oder Zünften an der Macht derer da oben partizipiert haben. Das Thema hat mich aus politischen Gründen immer schon beschäftigt. Als Subjekte der Geschichte spielen die »Kleinen« doch eine wichtige Rolle. Aufstände, Proteste, Revolten – da sind sie die Handelnden.

 

Sonderlich erfolgreich sind die kleinen Leute in ihrem Buch allerdings nicht.

 

Das stimmt. Das Buch könnte auch den Titel tragen »Eine Kette von Niederlagen«. Martin Stankowski fragt in seinem schönen Nachwort geradezu verzweifelt: Sind die denn immer nur niedergeschlagen worden?

 

Aber es gibt ja auch ein paar Erfolgsgeschichten. Trude Herr und Günter Wallraff zum Beispiel.

 

Ich wollte auch »Aufsteiger« einbeziehen. Wobei ich mit dem Begriff vorsichtig sein muss. Mein Freund Wallraff ist allergisch gegen die Feststellung, dass er nicht mehr zu den armen Leuten gehört: »Ich bin kein Aufsteiger«, hat er mich fast angefallen. Aber es geht mir ausschließlich um solche, die sich weiter ihrer Herkunft bewusst sind, die denen da unten treu geblieben sind. Willy Millowitsch zum Beispiel war eher bourgeois. Von einer weiteren Verankerung mit denen da unten ist mir nichts bekannt.

 

Welche Schicksale berühren Sie am meisten?

 

In punkto Zivilcourage zweifellos die namenlose Hebamme, die im Mittelalter einen Ehrenmord aufdeckt. Natürlich auch die Edelweißpiraten, die ragen raus. Erschüttert hat mich das Schicksal von Albert Richter, dem Radrennfahrer, der für sein resistentes Verhalten im Dritten Reich büßen musste.

 

Man merkt, dass Sie klar mit den »kleinen Menschen« sympathisieren. Sind »kleine Menschen« für Sie besser als große?

 

Empathie ist da, ja. Aber eine Verherrlichung liegt mir fern. Das wäre eine sentimentale Geschichtsblindheit. Nicht nur jeck sind wir alle, sondern auch durchtrieben und auf den eigenen Vorteil bedacht. Klar ist die Korruption der Großen auf der gesellschaftlich-ökonomischen Ebene verheerender. Aber wenn sie wie 1933 in Scharen zu den Nazis überlaufen, richten auch die Kleinen großen Schaden an.

 

In ihrem Buch nehmen Widerstandskämpfer wie die Edelweißpiraten oder die Navajos sehr viel Raum ein. Man könnte Ihnen eine Verherrlichung der kleinen Leute im Dritten Reich vorwerfen, die doch das System, auch hier in Köln, entscheidend mitgetragen haben.

 

In der Tat war der Widerstand in der Arbeiterschaft nicht sehr erheblich. Das trifft aber noch mehr auf die bürgerlichen und die kirchlichen Kräfte zu. Aber ich nenne ja neben den Edelweißpiraten auch Gegenbeispiele. Josef Grohé zum Beispiel, ein Mitbegründer der Kölner NSDAP und späteres Stadtratsmitglied aus ärmlichen Verhältnissen. Oder den Bahnarbeiter Norbert Hoffmann, der den jüdischen Frisör Moritz Spiro erschlug. Oder widersprüchliche Figuren wie den »Bombenhans«, der nicht nur im Widerstand war, sondern auch ein Totschläger. Das war kein Held.

 

Ihr Buch reicht vom Mittelalter bis zum Ende des vergangenen Jahrtausends. Wer sind die Marginalisierten heute?

 

Heute sind das klassischerweise Hartz-IV-Empfänger. Die Leute in HöVi-Land, in Höhenberg und Vingst, und anderen Kölner Brennpunkten. Viele Frauen. Das ist mir bei der Recherche aufgefallen, dass man beim Thema »kleine Leute« häufig über Frauen stolpert. Die psychisch Kranken, die Migranten. Die Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, aber auch das zunehmende akademische Proletariat. Interessant in dem Zusammenhang ist auch das Autonome Zentrum in Kalk. Das ist ja auch ein Angebot von kleinen Leuten für kleine Leute.

 

Gegen Ende des Buchs wird es weniger deskriptiv, dafür kämpferischer. Fast liest es sich wie ein Aufruf, dass die »kleinen Leute« mehr Hilfe benötigen.

 

Ich erwähne am Schluss auch einige Initiativen, die sich um »kleine Leute« kümmern. Wie die Emmaus-Gemeinschaft oder die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM). Aber kämpferisch? Defensivkämpfe trifft es eher. Franz Meurer aus Vingst, den ich ja auch erwähne, sagt, er mache soziale Ausbesserungsarbeiten. Es gibt nur noch wenig Emanzipationsvorgänge, auf der Basis von viel Flickwerk.

 

Sie verweisen gegen Ende auf Albert Camus und den Mythos des Sisyphos. Müssen wir uns den kleinen Kölner trotz aller Niederlagen als einen glücklichen Menschen vorstellen?

 

Sagen wir so: Es hat hier zu allen Zeiten Leute gegeben, die sich durch Leid, Enttäuschung und Entbehrung nicht haben niederdrücken lassen, sondern ihren Mutterwitz erhalten und gepflegt haben. So gesehen ist dieser Satz vielleicht auch ein Kölner Satz. Kein kölscher, aber ein Kölner.