Die Stimme hören wir nicht mehr, aber die Texte sind noch da

Als wäre Phil Collins nicht Strafe genug gewesen

Ein Auswahlband versammelt noch einmal die besten Texte Martin Büssers

»Seine Stimme legt sich sanft, manchmal auch laut, beinahe vorwurfsvoll über Autobahnen, Bade­zimmer, Küchen, Restaurants und Supermärkte.« Und: »Er ist der ers­te Mensch, dem es gelang, allei­ne über die Erzeugung von völli­ger Interesselosigkeit zum Milliardär zu werden.« Der Mensch, dessen Lieder uns bis heute penetrant aus jedem Radio entgegendudeln, des­sen Stimme sich seit Jahrzehnten wie ein klebriger Film über alles legt und dem es durch das Hervorrufen von Interesselosig­keit ge­lang, ein Millionenpubli­kum einzulullen, heißt Phil Collins.

 

Die eingangs zitierten Sätze über den Schlagersänger wurden im Jahr 1998 geschrieben, sie stam­men von dem Verleger, Kritiker und Journalisten Martin Büsser. In einer Zeit und einer Gesellschaft wie der unseren, in der die Redaktionen von Musik- und Kultur-Zeitschriften jeden Rotz, der in die Warenhäuser kommt, frenetisch bejubeln und dem Kulturwarenkonsumenten jede exaltierte Hupf­dohle als »das neue heiße Ding« verkaufen, ist man dankbar für jede Stimme, die anders klingt als der Chor der Werbetrommler und PR-Journalistinnen. Eine solche Stimme war Martin Büsser, der im vergangenen September im Alter von nur 42 Jahren starb.

 

»Music is my Boyfriend« heißt ein soeben erschienener Band, der ei­ne Auswahl seiner Texte aus den letzten zwanzig Jahren versammelt, in denen vielerlei Themen verhandelt werden. Ob Büsser nun über John Cage schrieb, über irgendeine abseitige Avantgarde-Noise-Combo, über Ge­schlech­ter­verhältnisse im Pop, über die Bestrebungen, Popmusik zu natio­­nalisieren – er hatte zeit seines Le­bens Vorbehalte gegenüber dem deutschen Durchschnittsbürger und gegenüber einer industriell ge­fertigten Massenkultur, die nichts anderes im Sinn hat, als die Menschen »mit Lebenshilfe und damit letztendlich mit penetranter Lebensfreude zu bombardieren«.

 

Kritik, die verdient, so genannt zu werden, ist selten geworden. Dort, wo sie noch hie und da aufblitzt, wird sie nur von wenigen zur Kenntnis genommen. Was jedoch für einen uneitlen und an Freud, Marcuse und der Kritischen Theorie geschulten Autor wie Büsser, für den Begriffe wie Aufklärung und Emanzipation noch etwas bedeuteten, zweitrangig war. Er kritisierte die antiamerikanische deutsche Linke ebenso wie den deutschen Nationalismus und die rot-grüne Kriegspolitik. Er war nicht nur ein scharfsinniger Musik- und Kunstkritiker, er war auch einer der letzten verbliebenen Linken in diesem Metier, in dem sich heutigentags überwiegend politisch ambivalente Flachpfeifen tummeln, deren Texte sich zumeist lesen wie Reklame: ein atemberaubendes Album, eine spannende Serie, ein fesselndes Buch, ein bildgewaltiger Film, eine nachdenklich machende Ausstellung, ein mitreißender Thriller. Blablabla. Stunde um Stunde und Tag für Tag erklingt unerbittlich das nie verstummende Leierkastengeleier des sich selbst beweihräuchernden Kulturbetriebs und seiner willigen Zeilenknechte.

 

Büsser, für den die Beschäftigung mit Popmusik und Kunst jeder Art immer auch eine politi­sche Auseinandersetzung mit dem jeweils vorliegenden Kulturer­zeug­nis und der Gesellschaft war, die es hervorbrachte, konnte und wollte nicht schreiben wie all die unterbelichteten Kultur­be­triebs­nu­deln, weswegen er die allermeis­ten seiner Texte nicht für die gelangweilten Kulturverwaltungsbeamten in den Redaktionen von taz und Spiegel verfasste, sondern für Publikationen und Blätter, die sich der Linken zurechneten, etwa für das heute legendäre Punk-Fan­zine Zap oder das Magazin Konkret (seit 1999 schrieb er auch für die StadtRevue).

 

Im Zap etwa, das bis Mitte der 90er Jahre existierte und eine Art Zentralorgan der Hardcore-Szene war, kritisierte er 1992 wort­reich eben diese Szene, der er vorwarf, zu einer »totalitären« und struktur­konservativen »Glaubens­gemein­schaft«, einem »drolligen, zotteli­gen Verein von Gleichgesinnten« regrediert zu sein, dem alles zum Ritual geworden sei. Das politi­sche Bewusstsein, das einst unmittelbar mit dem Machen und Hören der Musik einherging, sei verloren gegangen und habe einer ebenso öden wie biederen Vereinsmeierei Platz gemacht, bei der es nur noch um die richtige Vollwertkost-Ernährung ginge oder darum, ob man bereits im Besitz der neuesten, li­mi­tierten Seven-inch-Single sei. »Hu­morlos ist das ganze geworden, so humorlos, wie eine Be­we­gung, ein Denken, auto­ma­tisch wer­den muss, sobald es sich über allgemeingültige Geset­ze definiert hat und Ideologie geworden ist.« Eine sich stets nur als widerständig und rebellisch gebärdende Popkul­tur aber, die die Gesetzmäßigkei­ten des Kapitalismus nicht zu begreifen in der Lage ist, sei nur das Symptom einer Ge­sellschaft, in der die Verweigerung, die Negation und der Protest nichts weiter sind als eine Mode, ein Trend, ein Style.

 

Auch »alles andere, was sich noch links schimpft, von der taz bis zu den Grünen (…) ist zur feis­ten, institutionalisierten Opposition von Jasagern geworden, die Kritik nur noch im Rahmen des Apparates üben, den sie als Ganzes akzeptieren« Wohlgemerkt: Geschrieben hat Martin Büsser diese Worte, die heute leider keine Gültigkeit mehr beanspruchen dürfen, im Jahr 1992.

 

Liest man nämlich heute etwa die liebedienerischen, von einer dicken Schleimspur durchzoge­nen und pathetischen Kommentare der gegenwärtigen Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, zur Wahl des ersten grünen Ministerpräsiden­ten, Winfried Kretschmann, über­kommen einen Menschen, der noch einigermaßen bei Verstand und nicht bei den Grünen ist, so gewaltige Ekelgefühle, dass man sich von Herzen wünscht, es sei nur so schlimm gekommen, wie Büsser vor beinahe zwanzig Jahren analysierte.

 

Buch: Martin Büsser: »Music is my Boyfriend. Texte 1990-2010«, 255 Seiten, Ventil-Verlag, Mainz 2011, 14,90 Euro