Jenseits von Afrika-Folklore: Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly

»Ich muss keine Lösungen oder Erklärungen liefern«

Verweigerung als Widerstand: Ulrich Köhler über seinen neuen Film Schlafkrankheit, Afrika-Klischees und seine Vorliebe für Phlegmatiker

StadtRevue: »Schlafkrankheit« erzählt die Geschichte eines Entwicklungshelfers in Kamerun. Beruht er wie Ihre anderen Filme auf einem persönlichen Erfahrungs­hintergrund?

 

Ulrich Köhler: Ich bin als Kind von Entwicklungshelfern vier Jahre in Zaire – im heutigen Kongo – aufgewachsen. Die Rückkehr nach Europa war ein Schock, und so begann ich diese glückliche Zeit zu verdrängen. Aber als meine Eltern in den 90er Jahren wieder nach Afrika gingen und ich sie besuchte, hat mich das Thema wieder eingeholt. Einen Film dort zu drehen, konnte ich mir lange nicht vorstellen. Ich dachte, Filme über Afrika sollten Afrikanern überlassen bleiben. Doch nach »Montag kommen die Fenster« bin ich alleine durch Afrika gereist, habe den Ort besucht, an dem ich aufgewachsen bin und mich so dem Film langsam angenähert. Die Lösung lag für mich darin, meinen europäischen Blickwinkel nicht zu verstecken und bewusst von Europäern in Afrika zu erzählen – statt am Schicksal eines kleinen Jungen in den Slums von Nairobi zu scheitern.

 

Was heißt das für diesen Film?

 

So wie ich in Deutschland keine Filme über Arbeitslose in Frankfurt/Oder mache, weil ich aus einem bürgerlichen Elternhaus in Hessen komme, fühle ich mich ebenso wenig in der Lage, filmisch die Perspektive eines Afrikaners einzunehmen. Mich hat die Frage beschäftigt: Was macht das mit einem Europäer, wenn er nach Afrika geht und versucht, dort zu leben? Wie weit kann es ihm gelingen, Teil der Kultur zu werden und inwiefern muss er daran scheitern?

 

Sie verzichten bewusst auf Afrikafolklore, trotzdem geht es im Film um Vorurteile und kulturelle Stereotypen: Europäer agieren im Kolonialherrenstil, afrikanische Polizisten sind korrupt ...

 

Das Merkwürdige ist, dass der Klischeevorwurf fast immer von Menschen kommt, die Afrika nicht kennen. Entwicklungshelfer und Afrikaner, mit denen ich mich über ihn unterhalte, empfinden ihn als sehr realistisch. Natürlich sind nicht alle Afrikaner korrupt und nicht alle Weißen benehmen sich wie Kolonialherren. Aber die große kulturelle, ökonomische und soziale Differenz führt ganz automatisch zu bestimmten Verhaltensmus­tern. Selbst mit den besten Absichten geraten Entwicklungshelfer in unauflösliche Widersprüche, weil sie nicht alle Erwartungen der Menschen vor Ort erfüllen können. Ein strukturelles Problem.

 

Also geht es nicht um die Frage, inwieweit man überhaupt nur in Vorurteilen vom Anderen erzählen kann, sondern um Erfahrungswerte?

 

Wenn ich mich mit Drehbüchern oder Filmen anderer Regisseure beschäftige, stoße ich immer wieder auf Szenen, bei denen ich denke: Das ist doch ein totales Klischee – obwohl der Andere es genauso erlebt hat. Das ist natürlich ein Grundproblem von fiktionalem Erzählen, dass man Dinge, die man erlebt hat, oft kaum erzählen kann, weil sie so unwahrscheinlich und klischeehaft wirken.

 

Die Figuren Ihrer Filme – Ebbo, der Entwicklungshelfer in »Schlafkrankheit«, Paul in »Bungalow«, Nina in »Montags kommen die Fenster« – rebellieren nicht. Sie verweigern sich.

 

Mich interessieren weniger Tatmenschen, als Menschen, die Dinge in Frage stellen. Vor allem interessiert mich die Verweigerung als passiver Widerstand. Während ich das Drehbuch von »Bungalow« geschrieben habe, habe ich »Konsumgesellschaft« von Baudrillard gelesen. Er schreibt dort, dass die einzig mögliche Systemverweigerung das Phlegma sei, weil es eine Regelverletzung ist, die unsere Gesellschaft nicht integrieren kann. Das war auch der Grundgedanke bei der Figur Paul.

 

Ist auch für Ebbo das Phlegma die einzige Form des Widerstands?

 

Was Ebbo tut, ist wesentlich radikaler: Er verlässt seine intakte Familie, kappt die Wurzeln nach Europa. Er ist eine deutlich dramatischere Figur, aber die Grundhaltung ist die gleiche: dass er einfach nicht das tut, was von ihm erwartet wird.

 

Sie wahren Abstand zu den Figuren. Es gibt keine Bekenntnismonologe, keine Aussprachen, keine Lösungen. Wieweit ist die Grenze von Verstehbarkeit Grundthema Ihrer Filme?

 

Ich bin weder Pädagoge noch Politiker: Ich muss keine Lösungen oder Erklärungen liefern. Ich nähere mich einer Figur, wie ich Menschen im normalen Leben kennenlerne: Ich sehe, wie sie gekleidet sind, ich sehe, was sie tun oder nicht tun, wie sie reden, reagieren, und ziehe daraus meine Schlüsse. Ich mag keine vereinfachenden psychologischen Erklärungen. Ich finde es furchtbar, mir in Fernsehfilmen minutenlange Dialoge anzuhören, die nur dazu dienen, einen Figurenhintergrund zu liefern, den ich sofort verstanden habe, weil er ein komplettes Klischee ist. Zu wissen, ob Ebbo eine glückliche oder schwierige Kindheit hatte, würde aus meiner Sicht nicht helfen. Ich lasse mich von Filmen oder Büchern nicht gerne an der Hand nehmen, ebenso wenig halte ich mich selbst für intelligenter als mein Publikum. Ich stelle Fragen und ich hoffe, dass das, was mich beschäftigt, auch ein paar andere Menschen beschäftigt. Das ist meine ästhetische Grundhaltung.

 

»Schlafkrankheit« ist Ihr düsterster Film, motivisch wie thematisch.

 

Es ist wohl meine dramatischste Geschichte und Ebbo meine dramatischste Figur, die auch durch ihr Handeln am ehesten ihr Leben riskiert. Biografisch gesehen hat mich diese Arbeit vielleicht am stärksten an Abgründe getrieben, allein schon wegen der Auseinandersetzung mit einer unauflösbaren moralischen Konfliktsituation. Insofern ist »Schlafkrankheit« mein düsterster Film. Trotzdem hat der Film Humor und immer wieder auch ein Augenzwinkern – insbesondere am Ende.