Sehnsucht nach einem Mannmassiv: Sandra Hüller, ©FILMLICHTER COIN FILM 2011

Die geliebte Frau

Verstörendes Melodram: Brownian Movement von Nanouk Leopold

Charlotte lebt mit ihrem Mann in Brüssel, wo sie als Medizinerin in Forschung und Lehre tätig ist. Eines Tages mietet sie in der Stadt ein möbliertes Apartment. Die Maklerin lächelt wissend und würde sich wohl doch nicht vorstellen können, wen Charlotte dort für ausufernde, dem Leiblichen gewidmete Nachmittage empfängt: Männer, die auf unterschiedlichste Weise gängigen Schönheitsidealen widersprechen. Sie sind massig und haarig oder alt, kahl und gezeichnet durch beunruhigende Wunden.

 

Wie alle Experimente ist auch dieses zeitlich begrenzt, ob Charlotte das weiß und will oder nicht. Es folgt die Verdammnis durch die Gesellschaft, dann ein anderes Leben – oder auch nicht. Am Ende des so still-melodramatischen wie von Ironie erfüllten Films sagt Charlotte ihrem Mann, dass sie immer noch dieselbe sei wie früher: seine geliebte Frau.

 

Wo auch immer Nanouk Leopolds »Brownian Movement« läuft, sorgt er für Verstörung. Das liegt einerseits an der Geschichte der charmanten, wohlsituierten Frau, die daheim einen perfekten Mann hat und sich nebenher mit Andersgestalteten trifft, und andererseits an der rigorosen Inszenierung, bei der jede Linie, jeder Farbverlauf und selbst die kleinste Falte in einem Teppich wirkt wie eine Entscheidung auf Leben und Tod. Und die Form tut nichts, um den Inhalt verständlich zu machen. Bis zum Ende bekommt man keine vulgärpsychologisch-griffige Erklärung dafür, was Charlotte umtreibt. Sie selbst verweigert jede Auskunft oder Entschuldigung, sagt nur einmal bei einem Therapeuten, dass es zu schrecklich sei, was sie an Gründen anzubieten hätte.

 

Dennoch ahnt man, was sie umtreibt: die Sehnsucht nach einer Weite, einem Reichtum an Eindrücken, den das Leben ihr verweigert. Das dräuende Dröhnen eines Mannmassivs, welches sich vor ihr erhebt, um sie zu nehmen, treibt ihr ähnlich fasziniert-freudige Blitzer in die Augen wie die Textur eines Handtuchs, das sie mit einem raschen Hinternwackler erfühlt.

 

Das ist das eine. Das andere ist dieses Zersplittertsein – das Leben und die Entscheidungen, die sie selbst gefällt hat oder auch nicht, haben Charlotte gezeichnet. Sie möchte wieder eins sein mit sich, mit ihrer Erfahrungslust. Das sieht auch ihr Gatte, als er sie gegen Ende beobachtet, wie sie schweigend im Sonnenlicht sitzt, in dem sie sich aufzulösen scheint.

 

Brownian Movement (dto) NL/B/D 2010, R: Nanouk Leopold, D: Sandra Hüller, Dragan Bakema, Sabine Timoteo, 101 Min.