Der Chef kocht selber: Volker Lippmann spielt Molière, ©?VKKBA-Foto-Weimer

Witzige Schablonen

Volker Lippmann inszeniert im Theater Tiefrot Der eingebildete Kranke

Auf der spärlichen Bühne im Theater Tiefrot ist alles in weiß gehalten. Steril soll es sein. In einem Sessel hockt ein alter Mann, bis über die Ohren in Kissen versunken, der nach seinen Einläufen wimmert.

 

Ohne Arzt und Medikamente werde er die nächsten Tage auf kei­­nen Fall zu überleben, jammert er. Argan ist krank. Zumindest bil­det er sich das ein. Argan ist Hypo­chonder und gleichzeitig Hauptfigur in John Baptiste Molières Komödie »Der eingebildete Kran­ke«. In seinem legendären Stück, uraufgeführt 1673, machte sich der Dramatiker über den naiven Glauben (reicher) Menschen an die Medizin lustig. Aber ebenso ist das Stück eine Gesellschaftskritik an Ärzten, die sich als Halbgötter in weiß über jegliche Selbstzweifel erheben.

 

Der von Argan geliebte Hausarzt ist es auch, der ihn schamlos ausbeutet. Argan wiederum tyran­nisiert seine Umwelt mit seinen Krankheiten. Er plant sogar, seine ältere Tochter mit einem angehenden Arzt zu verheiraten, damit er ihn praktischerweise gleich im Haus hat. Gleichzeitig wartet seine heuchlerische Frau nur darauf, ihn endlich zu beerben. Erst als seine Dienerin Toinette, ein weiblicher Narr mit spitzer Zunge, gemeinsam mit Argans Bruder die Dinge in die Hand nimmt, gibt es ein Happy End.

 

Die Figuren auf der Bühne sind als wandelnde Charakterschablonen angelegt. Es sind weniger Men­schen, die da agieren, vielmehr Stereotype: die böse Stiefmutter, die liebreizende Tochter mit ihrem jugendlicher Verehrer, der habgierige Halbgott in weiß, der nerdige Lehrling, der trottelige Alte. Man kennt sie alle, trotz­dem sind sie witzig. Eben diese Komik bedarf eines flotten Rhythmus, den das Ensemble im Theater Tiefrot nicht ganz durchhält. Die Süffisanz in den Pointen hätte in der Inszenierung von Hauschef Volker Lippmann ruhig noch deut­licher herausgearbeitet werden können – durch präziseres Unterspielen.

 

Lippmann, der selbst den Argan spielt, hat auf aktuelle Zutaten wie Gesundheitsreform oder Pflegedienst verzichtet, was der Inszenierung zugute kommt. Das Stück funktioniert durch sich selbst. Das tut es um so mehr, als die Schauspie­ler den Abend zu tragen verstehen. Ihr Zusammenspiel überzeugt.

 

Molière übrigens hat sein Stück nicht überlebt. Er brach während der vierten Vorstellung zusammen und starb wenig später noch im Kostüm, in dem er selbst den eingebildeten Kranken gespielt hatte.