Nicht zu schade fürs Fernsehen: Oscar-Preisträgerin Kate Winslet, <br>Foto: Home Box Office Inc

Die Frau, die zu sehr liebte

Ein Höhepunkt der 21. Cologne Conference: Todd Haynes hat den Hollywood-Klassiker »Mildred Pierce« als Miniserie fürs Fernsehen neu verfilmt

Seit einigen Jahren fragen sich enttäuschte Filmliebhaber, ob das Fernsehen mittlerweile die besseren Geschichten erzählt – oder zumindest dieselben Geschichten besser. Als Beispiele gelten Serien wie »The Sopranos«, »The Wire« oder »Breaking Bad«, deren Schöpfer die wesentlichen Stärken des Fernsehens auf eindrucksvolle Weise ausspielen: die größere Freiheit hinsichtlich »kontroverser« Stoffe und der lange Atem, der es erlaubt, Figuren und Motive über einen größeren Zeitraum hinweg zu entwickeln. Entsprechend hitzig fiebern gerade passionierte Kinogeher der neuen HBO-Miniserie »Mildred Pierce« entgegen. Über fünf Stunden nimmt sich Todd Haynes, einer der renommiertesten Regisseure des US-Independentkinos, für die melodramatische Geschichte seiner Titelheldin Zeit; Michael Curtiz’ gleichnamiger Hollywood-Klassiker von 1945 dauert hingegen lediglich 107 Minuten. Und da beide Werke auf demselben Roman von James M. Cain beruhen, verrät der Vergleich nicht nur viel über die veränderten Zeiten, sondern auch einiges über den Unterschied, ob eine Geschichte fürs Kino oder fürs Fernsehen erzählt wird.

 

James M. Cains Roman handelt von einer Frau, die in jungen Jahren einen zu Geld gekommenen Mann heiratet und während der Depressionszeit feststellen muss, dass er seine Familie nicht mehr ernähren kann. Sie trennt sich von ihm, nimmt schweren Herzens eine Stelle als Kellnerin an und eröffnet nach kurzer Lehrzeit ein eigenes Restaurant. Als ihre jüngere Tochter stirbt, zählt für sie nur noch das Wohlergehen ihres verbliebenen Kinds. Sie wird durch harte Arbeit reich, doch ihre ebenso hochnäsige wie kaltherzige Tochter straft sie mit Verachtung. Am Ende setzt Mildred Pierce alles aufs Spiel, um Vedas Liebe zu gewinnen, und verliert.

 

Cain wollte vor allem am idealisierten Bild der Mutterschaft kratzen und spart deshalb nicht mit kleinen und großen Bosheiten gegenüber seiner mit blinder Liebe geschlagenen Hauptfigur. Der Grund für diese Blindheit wird im Roman eher nebenbei enthüllt: Mildred sieht in Veda ihr besseres Ich und erlebt jede Kritik an ihrer Tochter als narzisstische Kränkung. Bei Michael Curtiz wird diese Deutung heruntergespielt: Mildred Pierce ist hier eine Mutter, die ihre Tochter zu sehr liebt. Um ihr etwas Heroisches zu verleihen, nimmt sie zu Beginn des Films einen – wie sich am Ende herausstellt – von Veda begangenen Mord auf sich, den es im Buch nicht gibt. Ihre Geschichte wird dann in Rückblenden als Auflösung eines Kriminalfalls erzählt, was nicht nur den Vorlieben des Filmstudios Warner Bros., sondern auch den Einwänden der Zensoren entgegenkam. Weil die beiden moralisch fragwürdigsten Figuren des Buchs mit Tod bzw. Gefängnis bestraft werden, ließ man Mildreds lockere Ehemoral passieren.

 

Solche Rücksichten brauchen Todd Haynes und sein Co-Autor Jon Raymond nicht mehr zu nehmen. Insbesondere in den brillanten ersten beiden (von fünf) Folgen halten sie sich eng an den Roman und kehren im Gegensatz zu Curtiz in die von Cain eindringlich geschilderte Zeit der Depression zurück. Für einen Regisseur, der in Filmen wie »Dem Himmel so fern« oder »I’m Not There« Verfremdungseffekte nur so auf die Leinwand regnen ließ, ist »Mildred Pierce« erstaunlich geradlinig erzählt. Haynes schwelgt in Kostümen und Bauten, als sei das historische Ausstattungskino sein ureigenstes Genre, und wenn er die von Kate Winslet gespielte Titelheldin immer wieder durch Fensterscheiben filmt oder vom Dekor einrahmen lässt, signalisiert er uns einerseits: »Hey, das ist jetzt nicht echt, sondern gemacht.« Aber er zeigt auch, wie gekonnt er und sein Kameramann Edward Lachman die Distanz zwischen Kunst und Leben inszenieren.

 

Die längere Spieldauer der Mini-serie macht sich vor allem bei der Ausarbeitung der Nebenfiguren bemerkbar. Ab der dritten Folge zeigen sich dann allerdings die finanziellen Grenzen der Fernsehproduktion: Vieles, was anfangs ausgespielt wurde, wird nun gerafft, und manches wirkt überstürzt. Zudem setzen Haynes und Raymond zu einer späten und etwas halbherzigen Ehrenrettung Vedas an. Dem Finale rauben sie da-mit die melodramatische Wucht, ohne sie durch etwas Gleichwertiges zu ersetzen. »Zur Hölle mit ihr«, sagt Mildred zuletzt, und doch ahnt man nur entfernt, was dies für sie bedeuten muss.