Arm und glücklich: André Wilms, Kati Outinen<br>Foto: Marja-Leena Hukkanen © Sputnik Oy/Pandora Film

»Mit Geschäftsleuten kann ich keine Witze machen«

Nie war Aki Kaurismäki so optimistisch wie in »Le Havre«: ein Gespräch über Märchen, Nostalgie und die Liebe zum Abwasch

StadtRevue: Herr Kaurismäki, »Le Havre« wirkt für einen Film von Ihnen ungewöhnlich optimistisch und wartet sogar mit einem doppelten Happy End auf. Wie kommt das?

 

Aki Kaurismäki: Ich wollte einmal einen Film mit Happy End machen. Aber ein Happy End kann jeder, deshalb habe ich zwei davon eingebaut. Ich weiß auch nicht warum, aber je pessimis-tischer ich gegenüber der Menschheit bin, desto optimis-tischer scheinen meine Filme zu werden. Als Person bin ich ohne Hoffnung und für diese Krankheit gibt es keine Medizin. Der einzelne Mensch kann sich bessern, aber das System wird sich nie zum Guten verändern.

 

In »Le Havre« erzählen Sie die Geschichte eines Flüchtlingsjungen, der von den Bewohnern des Hafenviertels vor der Polizei versteckt wird. Sehen Sie Ihren Film als politisches Statement?

 

Das Schicksal der Flüchtlinge, die aus Afrika nach Europa kommen, ist ein Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft auseinandersetzen muss. Aber ich bin nicht gut darin, politische Kommentare zu verfassen. Ich wollte ein Statement abgeben, aber eben auf meine Weise. Und so ist dieses Filmmärchen entstanden. 

 

Meist werden solche Geschichten mit den Mitteln des sozialen Realismus erzählt. Warum haben Sie sich für die Form des Märchens entschieden? 

 

Die Menschen gehen ins Kino, um dem Realismus zu entkommen. Aus diesem Grund mag ich Realismus nicht besonders. Im Kino soll sich der freie Moment des Geistes widerspiegeln.

 

Sehen sie ihren Film als eine Hommage an Regisseure wie Jean-Pierre Melville und Marcel Carné?

 

Einerseits hatte ich Le Havre und andererseits das alte französische Kino in meinem Kopf. Eigentlich wollte ich einen Film wie Melville drehen. Aber diesen Stil kann man nicht kopieren. Und so habe ich angefangen zu schreiben, was mir in den Kopf kam, eine Szene nach der anderen und am Ende war es ein Märchen. Und da war ich mir sicher: Ich bin kein Melville.

 

Woher kommt Ihre Faszination für Le Havre?

 

Im Zweiten Weltkrieg haben die Alliierten Le Havre in Grund und Boden gebombt, ohne die Bewohner vorzuwarnen. Le Havre ist die einsamste Stadt in Frankreich, weil sie sich von ihrem eigenen Land und von den Briten betrogen fühlt. In einer normalen Stadt kann der Wind aus vier Himmelsrichtungen kommen, aber in Le Havre weht der Wind aus fünf Richtungen. Es ist im Winter eine kalte, verregnete Stadt und deshalb machen viele Leute Musik. In Le Havre ist jeder Mensch Schauspieler oder macht in irgendeiner Band Musik. Um Paris kümmern sie sich nicht weiter.

 

Mit André Wilms als Marcel Marx treffen wir einen alten Bekannten aus ihrem Film »Das Leben der Bohème« wieder.

 

Ja, Marcel Marx ist dieselbe Figur, die in Paris versucht hat, Schriftsteller zu sein. Er musste aber feststellen, dass er nicht schreiben kann, weil er zu viele Gedanken im Kopf hat. Im Film sagt er, dass seine Erfolge rein moralischer Natur waren. Danach wollte er den Menschen so nah wie möglich sein und ließ sich zu ihren Füßen nieder, um ihre Schuhe putzen.

 

Fast alle Ihre Filme sind in der
Arbeiterklasse angesiedelt. Woher kommt Ihre Vorliebe für das Proletariat?

 

Ich bin nie auf die oberen Stufen der Leiter geklettert. Da wollte ich nie hin. Ich komme aus der Arbeiterklasse und fühle mich dort zu Hause. Das sind die Leute, mit denen ich gerne Witze mache. Mit Geschäftsleuten kann ich keine Witze machen. 

 

Wird man jemals einen Computer in einem Ihrer Filme sehen?

 

Nicht solange ich am Leben bin. Aber immerhin ist in diesem Film ein Mobiltelefon zu sehen.

 

Als Erkennungsmerkmal für den Bösewicht, der den Jungen bei der Polizei denunziert. Woher kommt Ihre Abneigung gegen alles Moderne?

 

Wer will nicht lieber im Gestern leben? Ich mag einfach alte Autos, alte Häuser, alles was alt ist, außer natürlich mein eigenes Alter. Ich wollte schon als Kind in den Zwanzigern leben, obwohl das damals der reinste Horror war und ich wahrscheinlich ohne Penicillin an irgendeiner spanischen Grippe gestorben wäre. Ich war schon immer ein altmodischer Romantiker.

 

Fühlen Sie sich mit Ihrer unkonventionellen Art Filme zu machen als Rebell?

 

Als ich noch jung war, habe ich mich als Rebell gefühlt. Aber jetzt bin ich einfach ein alter Mann, der macht, was er will. Ich war schon immer ein einsamer Wolf. Ich mache, was mir gefällt, und der Rest macht den Rest.

 

Welchen Ihrer Filme mögen Sie am meisten?

 

Ich hasse sie alle. Aber »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik« hasse ich am wenigsten. Es ist der schlichteste meiner Filme.

 

Welche Art von Filmen schauen Sie sich zu Hause an?

 

Hauptsächlich Schwarz-weiß-Filme. Ich gehe immer weiter zurück in die Filmgeschichte. Ich bin noch nicht beim Stummfilm angekommen, aber es kann nicht mehr lange dauern.

 

Sie haben viele Berufe ausgeübt, bevor Sie Regisseur wurden. Was hat Sie am Filmemachen gereizt?

 

Ich hatte nicht genug Talent, um Schriftsteller zu werden. Aber ich habe das Kino immer geliebt, weil es alle Künste in sich vereinigt.

 

Welchen Beruf würden Sie ausüben wollen, wenn Sie das Regiehandwerk an den Nagel hängen?

 

Ich würde Häuser bauen. Ich interessiere mich für Architektur, aber ich sehe nur wenige Häuser, die mir gefallen. Oder Tellerwäscher in einem Restaurant. Ich wasche sehr gern ab.