Making of: Herakut, Venloer Str. 430, Sandra Gronwald<br>Foto: cityleaks

Schlangen zu Zapfhähnen

Das CityLeaks-Festival macht Köln zur Bühne für Street Art-Künstler

Plötzlich und über Nacht erscheint auf der bisher kahlen Abbruchfassade an der Ecke Am Kümpchenshof/Hansaring, ganz in der Nähe des kühlen Mediaparks, ein riesiges Medusenhaupt. Statt von einer züngelnden Schlangenbrut ist es von ebenso bedrohlich sich aufbäumenden Zapfhähnen umrahmt, auf denen die Embleme der großen Ölimperien deutlich sichtbar abgebildet sind. Das beeindruckende Kunstwerk mit der klaren politischen Botschaft stammt von dem italienischen Street Art-Künstler BLU. Auf Einladung der Kölner Gruppe Captain Borderline entstand es im Vorfeld des 1. CityLeaks Festival, das die Kunst diesen Monat in Köln für drei Wochen zur öffentlichen Angelegenheit macht.

 

Tatsächlich kann man sich kaum eine bessere Marketingstrategie vorstellen. BLUs Beitrag macht neugierig. Er stellt die Street Art als eigenständige Kunstform vor, bei der Allgemeinverständlichkeit durchaus zusammen geht mit hohem künstlerischem Anspruch. Die geschickte Platzierung ist die halbe Miete, die sowohl das Werk als auch den Ort, an dem es erscheint aufwertet. Zweifellos haben Street Art-Künstler ebenso von der Werbung wie von der Kunst gelernt. Sie scheinen in beiden Bereichen zu Hause, aber immer auch mit einem Bein in der Illegalität. Während die Kunstwelt heute für die Werke des britischen Streetart Künstlers Banksy, der sich in seinem Film »Banksy – Exit through the Giftshop« weltweit feiern lässt, schon mal sechsstellige Summen zahlt, wurde kürzlich der Hamburger Graffiti-Star Oz wegen Sachbeschädigung zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt.

 

Wem gehört der öffentliche Raum? Vermutlich spielt beides eine Rolle, das gewachsene Selbstbewusstsein der Öffentlichkeit wie der Künstler, wenn Street Art in Form eines durchorganisierten Festivals in die Stadt geholt wird. Während CityLeaks arbeiten die über dreißig internationale Künstlerinnen und Künstler – jedenfalls im offiziellen Teil – auf »legalen«, von den Eigentümern zur Verfügung gestellten Fassaden. Dabei unterscheiden sich die Murals, großformatige Wandmalereien, von den wandschonenden, weil wieder abziehbaren Paste-ups, bei denen sich das Bild auf einem Papierträger befindet. Die Veranstalter Artrmx und Colorrevolution mit ihrer Kuratorin Anne Scherer haben einen Schwerpunkt auf Länder gelegt, in denen die Murals eine lange, in der Volkskunst verwurzelte Tradition haben. Vor allem aus Brasilien und Chile stammt eine Gruppe südamerikanischer Künstler, die teilweise in der lokalen und globalen Szene große Bekanntheit haben und jetzt während CityLeaks zur Verwandlung des Kölner Stadtbilds beitragen. Die Hintergründe der südamerikanischen Street Art dokumentiert Pablo Aravenas Film »Next. A Primer in Urban Painting«, der am 14.9. in der KHM gezeigt wird.

 

Die Cityleaks-Auswahl an Künstlern und Arbeiten zeigt: Street Art, die sich selber heute lieber einfach urban art nennt, beschränkt sich längst nicht mehr auf Graffiti. Es wird mit allen möglichen Techniken und Materialien experimentiert, um durch Eingriffe in die Anonymität der Öffentlichkeit eine persönliche Beziehung zu diesem Raum herzustellen. International unterwegs ist auch der Berliner Jan Vormann, der seit 2007 mit bunten Lego- oder Duplosteinen arbeitet: Seine sogenannten »Dispatchworks« sind Ausbesserungen von schadhaften Stellen in Mauern oder Straßenbelägen. Durch den spielerischen Umgang mit Wiedererkennungswert sollen die Betrachter – und das ist im öffentlichen Raum immer auch ein Zufallspublikum – anhand eigener Erfahrungen einen emotionalen Zugang finden.

 

Ebenfalls aus Berlin stammt Jim Avignon, der inzwischen in New York lebt: Mit seiner schnell gemalten, dem hochtourigen Lebensgefühl der Rave-Partys entsprechenden Comic- und Plakatkunst hat er sich schon Mitte der 90er Jahre einen Namen gemacht. Erst vor kurzem war unter dem Titel »me & the establishment« eine große Ausstellung seiner Arbeiten im Berliner Haus am Lützowplatz zu sehen. Trotz der kapitalismuskritischen Intention zierten in den 90ern Jim-Avignon-Figuren Swatch-Uhren und andere Luxusartikel. Er gehört nicht zu den klassischen Street Artists, die einzelgängerisch und unbeobachtet agieren, sondern hat publikumswirksame Auftritte in Clubs. Seit Jahren arbeitet er unter dem Namen Neoangin auch als Musiker, mischt Musikperformance mit Lifepainting. Während CityLeaks zeigt er eine Einzelausstellung in der Herz-Jesu-Kirche und steuert einen Auftritt mit dem Briten Jon Burgerman zur Aftershowparty des Vernissage-Abends bei.

 

Möglicherweise wird es dann auch ein Lifepainting geben. Einen Rest Spontaneität will man sich doch noch offen halten, denn irgendwie wäre Street Art nicht mehr was sie sein will, wenn sie sich ganz in ein Festivalschema pressen ließe: eine lebendige, selbstermächtigte Besetzung städtischen Raums.