»Stil ist Stillstand«

Das Bild einer Bühne ist häufig das einzige, was von einem Theaterabend bleibt. Und doch verschwindet der Bühnenbildner meist im Schatten der Regie. Jens Kilian aber hat sich einen Namen gemacht: Er arbeitet als Bühnenbildner an vielen großen Häusern – und seit 1990 in Köln. Nicole Strecker hat ihn getroffen und mit ihm über Handwerk, Moden und die Farbe Grün gesprochen. Ein Porträt.

Höhepunkt einer Opernstory: Hamlet rennt gegen eine riesige Bretterwand, und mit einem Krachen kippt die Wand nach hinten. Ein weiter schwarzer Raum öffnet sich: Abgrund und All zugleich, ein Raum wie eine Bedrohung für die Akteure, die am Ende allesamt niedergemetzelt sein werden und nichts als feinen Staubregen in das Dunkel wirbeln. »The Players« heißt die Oper von Juraj Bene<caron>s, mit wunderbar filigran komponierter Neuer Musik, aber einem biederen Libretto. Dass es wenigstens einen Moment in der Geschichte gibt, in dem das Publikum den Atem anhalten darf, verdankt die Inszenierung dem Bühnenbildner Jens Kilian: Kühn lässt er diese abgenutzten »Bretter, die die Welt bedeuten« einstürzen, damit von nun an mehr Raum für surreale Bilder ist.
Drei Tage vor der Uraufführung der Oper hat der Bühnenbildner eigentlich gar keine Muße für lange Interviews. Zum Gespräch kommt er deshalb, als wolle er nur kurz etwas vorbei bringen, ein wenig atemlos und zerstreut. Er sei halt immer auf’s Neue nervös vor einer Premiere, bekennt er. So vertieft ist er in seine derzeitige Arbeit, dass es eine Weile dauert, bis ihm klar wird, dass es in unserem Gespräch wirklich um ihn gehen soll und nicht um eine kurze Einführung zur Oper. Seit 1990 ist der international gefragte Bühnenbildner in Köln fest angestellt.

Stilisierung, Gigantomanie oder Kälte

Auf dem Weg durch das Kölner Opernhaus zu den Aufbauarbeiten an seinem »Players«-Bühnenbild gibt es viel Händeschütteln, flüchtiges Lächeln und Kurzkommentare wie »Hey,
siehst gut aus« – und Jens Kilian schnoddert berlinerisch zurück. Jederzeit ansprechbar, bescheiden und bodenständig wirkt er, so dass man in seiner Gegenwart kaum mehr jene Räume vor sich sieht, die in ihrer Stilisierung, Gigantomanie oder Kälte nicht selten den bleibendsten Eindruck eines Theaterabends hinterlassen.
»Am besten ist ein Bühnenbild, wenn man es gar nicht mitkriegt«, behauptet Kilian – eine Maxime, mit der er wohl bei jeder Produktion scheitert: Wie sollte man ein riesiges rosarotes Barbyhaus für Thirza Brunckens »Ladykillers« vergessen? Eine hermetisch beängstigende Gefängniszelle für Lars Norens »Schattenjungs«, die das Publikum mit den Gewaltverbrechern in einen Raum zusammenpfercht? Oder, wie jüngst in Joachim Schlömers »Fit for Life«: Ein spielfeldgroßes Trampolin, das irgendwann wie eine monströse Fliegenklatsche nach oben klappt und sich in eine gleißend helle Scheinwerferwand verwandelt.
»Ich denke, dass die Magie des Theaters immer noch einen speziellen Ort erfordert, einen Ort, der so nirgends existiert«, antwortet Jens Kilian auf die Frage nach seinem Umgang mit Symbolen. »Es gibt immer Gegenstände, die Symbolcharakter haben, in ›Aias‹ etwa das übermenschlich große Schwert, das im Bühnenboden steckt. Aber Symbole müssen aus dem Stück heraus kommen. Sie müssen die Oberfläche durchbrechen. Alles, was mir nicht eine Möglichkeit schafft, tiefer in das Stück, in die Seele der Figuren oder in Zustände Einblick zu geben oder rationaler und präziser zu denken, lasse ich lieber weg.« Seine Bühnenbilder sind immer mehr als bloße Illustration und Umrahmung des Geschehens. Sie sind ebenso sinnliches Erlebnis wie bedeutungsvolle Abstraktion. Für seine kraftvolle Bildsprache ist von Vorteil, dass er selbst, wie er erzählt, ein schrecklich ungeduldiger Zuschauer ist und allzu kompliziertes, anspruchsvolles Theater eher scheut: »Ich denke nicht, dass man mit Theater die Leute verändern kann. Man kann nur Anregungen geben, die Augen öffnen, die Sensibilität schärfen.«

Warmes Grün

Eigentlich war es der Film, der Jens Kilian lockte. Sein Großvater war bei der UFA, sein Vater bei der DEFA, und sein älterer Bruder wurde Produktionsleiter. »Ich wollte immer ‘nen Oscar haben und mal sagen: Danke Mama, danke Papa und so.« Also studiert der in Dresden geborene und in Berlin aufgewachsene Kilian an der Kunsthochschule »Szenografie für Bühne, Film und Fernsehen«. Als seine Diplomarbeit vom Regime verboten wird, zieht es ihn 1984 in den Westen. Sein Bruder war bereits geflohen, eine Heirat machte Kilian den Umzug nach Westberlin möglich.
»War okay«, sagt Kilian gerne – über sein sofortiges Engagement an der Deutschen Oper Berlin etwa oder über seine Festanstellung in Köln unter Günter Krämer. »Okay« ist für ihn auch, statt Film nun Theater, Tanz und Oper zu machen. In dieser Spielzeit stattete er sowohl die beiden Schlömer-Tanztheaterprojekte »Fit for Life« und »Senza fine« als auch Schauspielproduktionen wie Krämers »Richard III«, Brunckens »Aias«, Fischers »Blaupause« und eben Schullers »Players« aus. Er wird auch nach dem Intendantenwechsel in Köln bleiben und zum Beispiel für Marc Günther das Bühnenbild zu Italo Svevos Komödie »Ein Mann wird jünger« gestalten.
Regeln, Alltag und Stil sind Begriffe, mit denen Kilian überhaupt nichts anfangen kann: »Stil ist für mich Stillstand.« Jede Produktion muss ein neues Abenteuer bleiben. Kilian liest das Stück, hört die Musik und kommt dann vom Inhalt auf die Form und von der Form schließlich auf die Farbe. Dem Regisseur bietet er in Konzeptionsgesprächen Skizzen und Modelle zu den Szenen an. Grundvoraussetzung bei einer Zusammenarbeit ist: »Man muss die gleiche Sicht auf die Welt haben. Einmal habe ich mit einem Regisseur über Grün gesprochen: Seins war giftig, kalt und künstlich, meins war warm und naturverbunden. Das hört sich albern an, aber bei solch unterschiedlichen Sichtweisen kommt man schlecht miteinander klar.«

Nicht Künstler, sondern Handwerker

Selten kann sich Kilian im Gespräch zu solch kritischen Tönen durchringen. Es ist fast schon irritierend, wie sehr der 44jährige seine Person und Kreativität der Sache selbst unterordnet. Es ist ihm egal, dass heute stets die Regisseure mit einer Inszenierung identifiziert und Bühnen- und Kostümbildner eher als deren Erfüllungsgehilfen wahrgenommen werden. Dass das Kölner Schauspiel in der Kritik als mittelmäßig eingestuft wird, interessiert ihn nicht, solange – wie er sagt – seine Produktionen gut sind. Nach jeder Premiere macht er tabula rasa im heimischen Chaos, um Platz für Neues zu schaffen. Eine Kilian-Ausstellung mit Skizzen, Modellen und Fotos, wie man sie von anderen Bühnenbildnern schon gesehen hat, wird es also nie geben.
Nicht als Künstler, sondern als Handwerker präsentiert sich Jens Kilian, mit einem hohen Anspruch und einer Begeisterung für Perfektion und Professionalität. Er scheint ein ewig Suchender, den nichts mehr langweilt als das Selbstzitat und der deshalb gegen Bühnenmoden und fremde Einflüsse nichts einzuwenden hat: Video und die schnellen Schnitt-Techniken der MTV-Generation etwa wollte auch er einmal benutzen und hat sie in Fischers »Blaupause« ausprobiert. Schlecht sind solche Modeerscheinungen nach Kilians Meinung nur, wenn die Nutzung inhaltlich nicht gerechtfertigt ist. »Immer offen sein«, lautet sein Rat an den Nachwuchs, »sich nicht verbohren, damit das ganze Leben Einfluss auf uns haben kann. Und all diese Einflüsse kommen dann durch den Filter des Menschen wieder auf die Bühne.« Bewusst geklaut habe er trotzdem noch nie, sagt Kilian.
Nach anderthalb Stunden Gespräch wird er aber doch ungeduldig und intoniert jede Antwort als sei es seine letzte – unten läuft schließlich die Probe zu »The Players«. Aber eine Frage noch, Herr Kilian: Ist es ein schwieriger Beruf? »Klar ist der schwierig und schön und so«, antwortet Kilian knapp, und murmelt dann, als sei es zuviel Pathos: »Ist ja mein Leben.«
»The Players« von Juraj Bene<caron>s nach Shakespeares »Hamlet«, R: Christian Schuller, ML: Johannes Stert, B: Jens Kilian, Opernhaus Köln, 4., 7., 12.7., 19.30 Uhr.
»Richard III.« von William Shakespeare, R: Günter Krämer, B: Jens Kilian, Schauspielhaus Köln, 4., 12., 13.7., 19.30 Uhr.