Auf der Suche nach dem Sound – mit Umweg über 23 Instrumentalisten: Andi Thoma (links), Jan St. Werner, Foto: Jörn Neumann

»Das ist ein knallharter One-Night-Stand«

Am 14. September feiert die Kölner Philharmonie ihren 25. Geburtstag. Die Festkonzerte beginnen schon ein paar Tage früher – und direkt mit einem Paukenschlag. Am 10. führen die Elektroniker Mouse on Mars mit der musikFabrik ihr Orchesterwerk »Paeanumnion« auf. Heiko Behr unterhielt sich mit dem Duo über die Annäherung von Orchesterwelt und dem Purismus digitaler Sounds.

»Junge Leute setzen sich kaum noch hin und hören einfach guter Musik zu. Nur noch unterwegs zur Arbeit oder wenn die Leute feiern gehen, wird Musik gehört, und das finde ich sehr schade.«

 

Ein schauderhaftes, großväterliches Zitat. Eine Haltung, die den klaffenden Graben zwischen den Generationen kaum verhehlt. Mutti, bist du’s? Günter Grass? Der, äh, Papst? Tatsächlich stammen diese Sätze von Paul van Dyk, einem der bekanntesten DJs weltweit. Er äußerte sie anlässlich eines Projekts mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, für das in der Frankfurter Jahrhunderthalle eine Orchestersuite neu interpretiert wurde. Eine Demutshaltung des Popmusikers angesichts der intellektuellen Übermacht der E-Musik. Gleichzeitig auch ein streberhaftes Jubeln angesichts des Pöbels, der sich immer noch mit dieser lachhaft flatterhaften Unterhaltungsmusik beschäftigt.

 

Es ist ein Phänomen, das sich seit ein paar Jahren beobachten lässt: Produzenten und DJs elektronischer Musik nehmen sich der E-Musik an. Eine Auswahl: Jeff Mills, Matthew Herbert, Moritz von Oswald, Jimi Tenor, Ricardo Villalobos. Mal öffnet die ehrwürdige Deutsche Grammophon ihre Archive, mal lädt das Münchner Jazz-Label ECM zum akustischen Rundgang. So unterschiedlich die Künstler, die Ansätze, das Ausgangsmaterial, stets schwingt in den Produktionen der DJs eine gehörige Portion Respekt mit.

 

Das Duo Mouse on Mars hat einen anderen Weg eingeschlagen. Jahrelang galten Jan St. Werner und Andi Thomas als Köln-Düsseldorfer Vorzeige-Act, mittlerweile sind sie nach Berlin gezogen. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Kölner Philharmonie wird es zur Aufführung ihrer Auftragskomposition »Paeanumnion« kommen. Eingeschüchtert ob des komplexen Apparates – immerhin kooperieren sie mit 23 Musikern des renommierten Avantgarde-Ensembles musikFabrik – zeigen sie sich im Gespräch nicht. Sie befinden sich noch mitten im Prozess, der Abend der Premiere ist zu diesem Zeitpunkt noch fast zwei Monate entfernt.

 


Jan St. Werner: Wir haben vor zwei Jahren angefangen, elektronische Skizzen zu machen und uns am Rechner zu verausgaben. Die Ebene der Notation wächst langsamer als wir dachten. Man muss auf jedes Detail achten. Theoretisch muss das jedes Orchester spielen können. In der Spielweise eines Instrumentalisten sind so viele Feinheiten, die wir als Elektroniker so gar nicht bedenken.

 

StadtRevue: In wieweit musstet ihr euch umstellen?

 

Werner: Wir arrangieren unsere Musik frei. Frei von pop-orientierteren Ideen, frei aber auch von tradierten E-Musik-Formen. Das ist in der Neuen Musik ja völlig offen – und wir sind insofern ganz nah dran. Wir spielen aber immer wieder mit poppigen Momenten, die so in der Ernsten und Neuen Musik nicht vorkommen. Das wird uns erst jetzt im Arbeitsprozess bewusst. Es gibt erprobte Abläufe, auf die wir uns einstellen müssen. Was uns komplett erschüttert. Es erzwingt ein Umdenken in Mikrostrukturen. Ein Beispiel: Es gibt Teile, die sind vom Ensemble freier ausführbar, andere sind sehr streng notiert. Es ist schwierig, mit den Musikern den Weg zu finden, was sie im freien Gestus handhaben wollen und wo sie die Führung suchen. Jeder Charakter ist unterschiedlich. Manche Musiker wollen nur einen Klang ergänzen, andere denken eher solistisch. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir sind davon ausgegangen, dass jedes Instrument ein Sound ist. Instrumente vermitteln Geschichte, Traditionen, Techniken – das interessiert uns eigentlich gar nicht. Wir denken immer, das ist doch alles zweitrangig, für uns sind das bloß Töne, die wir im Raum zueinander setzen. Die ergeben dann eine Architektur, um die es uns geht. Wir verlieren die Vision für die Klänge, wenn wir uns mit den Musikern auseinandersetzen müssen. Weil es dabei ums Spielen geht. Aber uns geht’s nur ums Hören!

 

Ihr habt den Vermittler André de Ridder mit im Boot, der schon mit dem britischen Popmusiker Damon Albarn in Projekten gearbeitet hat. Er ist mit beiden musikalischen Sphären vertraut. Wie sieht seine Rolle aus?

 

Andi Thoma: Er dirigiert und hilft uns bei der Umsetzung. Er kennt die Maschinerie des Orchesters.

 

Werner: André kommt nicht von der Philharmonie oder von der musikFabrik, er kommt von uns. Er behält Zeit und Struktur im Auge. Im Gegensatz zu uns ist er nicht so ein detailbesessener Kamikazetyp. Er schreibt sich alles auf. Das machen wir nicht, wir nehmen auf.

 

Thoma: Er probt zum Beispiel einen Teil des Stücks mit einer Gruppe von Musikern und behält immer im Auge, wo das im Gesamtkonzept wieder reingehört.


Die Tradition des Hörens klassischer Musik könnte an ein Ende kommen. In wieweit seht ihr euch da als ein Teil des Phänomens, dem Einhalt zu gebieten?

 

Werner: Ich verstehe, dass es momentan eine Art Rausch gibt. Dass viele Unterhaltungskünstler in die Festsäle dürfen und da Programm machen: Techno goes Klassik. Und natürlich profitieren wir auch davon, vor zehn Jahren hätte man uns das noch nicht machen lassen. Aber da wird ja nicht nur die Popmusik beschenkt. Es ist die Krise dieser Häuser, die sie nach neuen Leuten suchen lässt. Aber Krisen oder die Angst vor dem Ende machen auch kreativ. Es gibt eine neue Transparenz der digitalen Demokratie, die sich auch in der Hochkultur verwirklicht.

 

Auch im Popkontext wird ja gern veredelt und ein dicker Streichersound aufgefahren. Da geht es dann schnell um Überwältigung, um das Imposante des Sounds.

 

Werner: Wir wollten nie einfach nur unsere bestehende Musik orchestral umsetzen. Für uns sind unsere Stücke schon Orchesterstücke! Wir wollten unabhängig vom elektronischen Material, das wir intuitiv beherrschen, einfach schauen, ob es funktioniert. Mit Tiefe und Intensität und Vielschichtigkeit – aber eben mit Orchester. Das ist das Experiment. Wir wollten ja nicht mit Pop-Leuten zusammenarbeiten, wo du weißt, der spielt so die Gitarre, der so das Schlagzeug, also Individuen. Wir wollten mit einem Orchester arbeiten, wo kühl umgesetzt wird. Emotional, aber streng. Wie eine Choreografie.

 

Drastisch gesagt: Ihr wollt den menschlichen Faktor eliminieren?

 

Werner: Das Blöde ist, dass die Musiker Menschen sind (lacht). Wir haben den Fehler gemacht, zu denken, der Instrumentalist sei Sound. Natürlich macht der erst den Sound. Und du musst mit denen vorher reden. Aber eigentlich wollen wir nur die Sounds. Das sagen wir auch ganz ehrlich den Musikern. Das ist ein knallharter One-Night-Stand. Wir wollen nur den Klang, in diesem Moment. Kurz vor dem Trivialen abzubremsen und gegenzusteuern in eine abstrakte Komplexität. Das ist unser Ziel.

 

Thoma: Die Veröffentlichung auf LP und CD wird kein Konzertmitschnitt sein. Das wird eine Verarbeitung des Materials, das wir schon bei den Proben aufnehmen. Processed Klassik. Das ist es ja, was wir im Studio machen. Man hat diese vielen Geräte, die sehr viel Presets, Vorprogrammiertes, anbieten, und wir versuchen, das zu umgehen. So ist das mit dem Orchester auch, wir versuchen die Presets der Musiker zu knacken.