Ahnung von Verlust

Anfang und mögliches Ende einer Liebe: Blue Valentine von Derek Cianfrance

In der ersten Morgendämmerung ruft ein kleines Mädchen nach ihrem Hund. Ihr Vater kommt dazu, versucht sie zu beruhigen und schaut doch sorgenvoll auf die viel befahrene Straße, die an ihrem Haus vorüberführt. Anschließend rütteln sie gemeinsam die Mutter aus dem Schlaf, was diese noch am Frühstückstisch mit vorwurfsvollen Blicken quittiert. »Ich habe keine Lust mehr, zwei Kinder zu erziehen«, sagt sie, und die Müdigkeit in ihrem Blick rührt nicht nur vom verfrüh­ten Aufstehen her.

 

Derek Cianfrance beginnt sein Liebesdrama »Blue Valentine« mit der Ahnung, ein geliebtes Wesen verloren zu haben, und macht dieses beklemmende Gefühl zum Hauptmotiv des Films. Nach und nach merkt man, dass es mit der jungen Ehe alles andere als zum Besten steht: Cindy wollte eigentlich Medizin studieren und arbeitet jetzt als Sprechstundenhilfe, Dean verdient als Anstreicher etwas dazu. Finanziell kommen sie gerade so über die Runden, was ihm genügt, ihr aber nicht. Es ist der beinahe klassische Fall einer Ehekrise, nur dass uns Cianfrance immer wieder zeigt, was die beiden einmal verband. Regelmäßig blendet er in die Zeit zurück, in der sie sich zum ersten Mal begegneten, ineinander verliebten und schließlich ein Paar wurden. Oft sind Damals und Heute spiegelbildlich montiert, was die Gegensätze noch schmerzlicher erscheinen lässt.

 

Das Konzept von »Blue Valentine« ist zugleich hoch romantisch und zutiefst melodramatisch, weil es uns nur Anfang und (mögliches) Ende der Liebe zeigt und die Jahre dazwischen absichtsvoll verschweigt. Was Cian­france dadurch an intensiven Gefühlen gewinnt, geht seinen Figuren beinahe zwangsläufig an Plausibilität verloren. Auch die Liebe besteht nicht nur aus Hoch- und Tiefpunkten, und weil Cianfrance das weiß, legt er vielleicht sogar zu viele Fährten, um das Auseinanderbrechen der einst so innigen Beziehung zu erklären.

 

Dass die Idee von »Blue Valen­tine« die Figuren trotzdem trägt, liegt vor allem an den beiden Haupt­darstellern. Ohne Michelle Williams – der ungekrönten Königin des US-Independentkinos – und Ryan Gosling wäre der Film wohl nie entstanden, und die beiden spielen tatsächlich so, als gin­ge es um ihr Leben. Auch Cianfrance hat die ästhetischen Herausforderungen des zeitlichen und emotionalen Hin und Her vollkommen im Griff, weshalb man jede Sekunde dieses Films durchaus bewundern kann. Ob man von ihm im gleichen Maß ergriffen wird, sagt das allerdings nicht.

 

Blue Valentine (dto) USA 2010, R: Derek Cianfrance, D: Michelle Williams, Ryan Gosling, Faith Wladyka, 112 Min.