Slapstick mit Bambusflöte

Umsonst, draußen – und ohne Blockbustergetöse: Die 27. Internationalen Stummfilmtage Bonn widmen Japan einen Schwerpunkt

Nachdem die drohenden Kürzungen städtischer Zuschüsse abgewendet werden konnten, wartet das feinste Freiluftkino der Region mit einer schönen Neuerung auf. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Unterzeichnung des Preussisch-Japanischen Freundschafts- und Handelsvertrags ist ein Programmschwerpunkt dem Stummfilmschaffen Japans gewidmet. Nicht nur selten gespielte frühe Meis­terwerke gibt es zu entdecken, begleitend wird auch ein prominent besetztes Sympo­sium zu den Deutsch-Japani­schen Filmbeziehungen bis 1945 stattfinden.

 

Ein Schwerpunkt der zweitägigen Veranstaltung ist der Kunst des Filmerzählers gewidmet. Oft wird so getan, als sei diese Form der Filmbegleitung spezifisch für Japan. In Wirklichkeit gab es sie überall, nur wurde diese nirgends sonst zu einem so zentralen Element des Kinoerlebnisses. Während im Westen Filmerzähler nur bis 1905 während der Vorführung die Handlung kommentierten oder zusammenfassten, Dialoge sprachen und Zwischentitel vorlasen, entwickelte sich in Japan bis in die 30er Jahre hinein eine komple­xe Symbiose zwischen dem Film auf der Leinwand und dem mitreisenden Erzähler, Erklärer und Musikanten. Für viele japanischen Filmfans jener Jahre waren die Filmerzähler (jap.: Benshi) oft wichtiger als die Werke, denen sie mit ihren Stimmen, ihrem Ausdruck eine ganz singuläre Kraft verliehen.

 

Bis heute wird die Tradition der Benshis in Japan gepflegt, wovon man sich bei der Vorführung des einzig über­lieferten Fragments von Man­saku Itamis »Kokushi muso – Der unvergleichli­che Patriot« (1932) überzeugen kann, den Ichiro Kataoka begleitet. Nach der Vorführung wird er mit Fumiko Tsuneishi vom Filmarchiv Austria über diese sehr spezielle Kunstform am Schnittpunkt von Kino und Theater diskutieren.

 

Nachmittag und Abend des ersten Symposiumstages sind der dunklen Zeit Deutsch-Japani­scher Freundschaft gewidmet. Im Mittelpunkt steht Arnold Fancks 1937 auf Einladung des japanischen Kul­tusministeriums entstandener »Die Tochter des Samurai«. Es war die erste Kinoproduktion eines westlichen Regisseurs in Japan. Die Hälfte des Budgets stammte aus Joseph Goebbels’ Propagandaministerium. Der Filmhistoriker Matthias Fanck wird über die Erlebnisse und die Arbeit seines Großvaters in Japan sprechen, Festivalleiter Stefan Drößler über die Unterschiede zwischen Fancks Film und der parallel von Mansaku Itami realisierten japanischen Version referieren.

 

Der zweite Tag geht zurück zu den Vorformen des Kinos. Präsentiert werden japanische Laterna-magica-Bilder. Machiko Kusahara berichtet, wie sich dort ein ganz anderer Umgang mit der Laterna magica als in Europa entwickelte: Die Projektoren selbst wurden bewegt und konnten auf der Leinwand auch komplexere Geschichten darstellen. Fumio Yamagata hat diese Tradition wiederbelebt und wird einige praktische Beispiele vorführen.

 

Am Nachmittag geht es um das Verhältnis von expressionistischem Film und Kabuki-Theater, der traditionellen japanischen Kunst aus Gesang, Pantomime und Tanz. Karlheinz Martins Film »Von morgens bis mitternachts« (1920) etwa lief seinerzeit nur in Japan im Kino. Abgerundet wird die Veranstaltung durch eine Filmvorführung mit einleitendem Vortrag über das Schaffen des sehr jung verstorbenen Avantgardisten Koichi Kishi, dessen »Kagami – Spiegel« (1933) in Deutschland als Ufa-Kulturfilm umgearbeitet wurde und nur noch in dieser Form existiert.

 

Avantgarde ist auch das Stichwort für die japanischen Filme, die außerhalb des Symposiums bei den Stummfilmtagen gezeigt werden. Hiroshi Shimizus »Mina­to no nihon musume – Japanische Mädchen am Hafen« (1933), Keisuke Sasakis und Torajiro Saitos »Bakudan hanayome – Dynamitbraut« (1932/35) und Kiyohiko Ushiharas »Shingun – Vorwärts!«, die alle drei in den Kamata-Studios der Filmgesellschaft Shochiku entstanden. Ein Produktionskontext, der außerhalb Japans erst in den letzten Jahren seiner Bedeutung gemäß betrachtet wird:

 

Für das Kamata-Kino typisch ist eine sehr steile Mischung aus Komödie und Drama, schallen­dem Gelächter und hemmungslos fließenden Tränen, manchmal getrennt von nur einem Schnitt. Ähnlich verwegen ist die Ästhetik der Filme: Elemente aus den von allen Regisseuren des Studios verehrten und eingehend studierten Hollywoodmeisterwerken der Zeit treffen auf inszenatorische Lösungen und Montagefolgen, auf die nur Japaner kommen. Auffallend sind die oft brillanten Sprünge zwischen reiner Stilisierung und einem überraschenden Naturalismus. Das Kamata-Kino war unfassbar frei, es schien sich permanent selbst neu zu erfinden. Regelmäßige Besucher der Internationalen Stummfilmtage konnten die einzigartige Schönheit dieser Filme schon öfter erleben. Wie Yasujiro Ozu schuf dort auch Mikio Naruse seine ersten Meisterwerke, die in den letzten Jahren regelmäßig in Bonn präsentiert wurden.

 

Der beste der drei oben genannten Filme ist »Minato no nihon musume«. Ein Melodram ohne Morgen: Zwei Schwestern sind einem Dandy verfallen, es kommt zu Eifersucht, Mord, Pros­titution. Die Inszenierung ist ein einziger visueller Furor, getragen von starkem Rhythmusbewusstsein und Sinn für Ellipsen. Wenn man sich nur ein Programm bei den Stummfilmtagen ansehen will, dann dieses. Auch wegen des Vorfilms: »Bakudan hana­yo­me« ist eine Slapstick-Farce über die Her­stellung von Bambusflöten. Da­rauf muss man erst einmal kommen.