Rheinfähre »Krokodil«, Foto: Jörn Neumann

Mit der Straßenbahn in den Sommer

Bernd Wilberg ist mit der Linie 7 zwischen Porz und Frechen gependelt

Der Tag kommt angekrochen, und ich bin in Zündorf. Das ist Teil des Auftrags. Müde stapfe ich vom Marktplatz zum Zündorfbad, einem modernen Schwimmbad mit allen Schikanen. Ein paar Bahnen ziehen, das ist besser als sich hier auf die vergebliche Suche nach einem anständigen Kaffee zu machen. Danach die Auenlandschaft an der Groov, noch sind kaum Spaziergänger hier. Der Rhein plätschert gleichgültig, und die Sonne sitzt fett und warm in den Baumkronen. Die Groov ist ein einstiger Rheinarm, heute ein See, landschaftsarchitektonische Beschaulichkeit. Ausflugslokale, altes Fachwerk, Minigolfplatz und ein kleiner Yachthafen haben sich wie Schaulustige davor gruppiert. Ich könnte zur Rheinfähre Krokodil gehen, übersetzen nach Weiß, ab elf Uhr schippert das Ding alle zwanzig Minuten über den Rhein. Aber ich habe einen Auftrag: Mit der Straßenbahn von Zündorf nach Frechen, von Endstation zu Endstation. Frechen sei das, was Porz einmal hätte werden können, hat mir jemand gesagt. Ein großer Sonntag­nachmittag, auch werktags.

 

Von Zündorf geht es in nur vier Minuten nach »Porz-Markt«. Mich empfängt ein zum Shopping-Center umgebautes Parkhaus. Ein paar Meter zurück ist der Eingang der Fußgängerzone: »Ziel vieler netter Leute« steht auf dem schmutzig glitzernden Schriftzug. Am Ende der Fußgängerzone liegt das Friedrich-Ebert-Ufer. Im Café Rheinblick bestelle ich schwarzen Kaffee, nippe und gieße Milch hinein. Draußen macht sich der Sommervormittag breit. Ein Weg führt hinab zur Rheinpro­me­nade. Ich stütze mich auf das Aluminiumgeländer an der Schiffsanlegestelle. Im Süden Zündorf, im Norden kann man hinter Westhoven den Kölner Dom sehen. Ich setze mich auf eine Bank unter den grotesk ge­stutzten Bäumen, schaue auf den Rhein, dessen sanfte Wellen wie Faltenwürfe wirken. Mir beginnt mein Auftrag zu gefallen.

 

Zurück zur Haltestelle. Die Tauben, die Schulschwänzer, die Alten. Zwei Stationen bis »Ensen Klos­ter«. Links eine psychiatrische Anstalt in alten Klostergemäuern, gegenüber döst träge ein Monster des Industriezeitalters: der gigantische Rangierbahnhof Gremberg, erbaut 1917. Rund 160 Kilometer Gleise sind hier verlegt. Ich schlendere rechts die Straßenkurve hinunter, um in die schier endlosen Unterführungen zu blicken. Es hallt dort ganz enorm: die Echos veralteter Moderne.

 

Wieder in die Bahn, weiter bis »Poll  Salmstraße«. Durch die engen Dorfgassen wieder hinunter an den Rhein: die Poller Wiesen. Eine Wiese, ein Fluss, der Sommer. Ach, aber ich muss weiter. Doch bevor ich wieder in die Bahn steige, setz ich mich an der Haltestelle ins Restaurant Meta, hinter der hässlichen falben Fassade tischt man ordentliche Küche auf.

 

Die Bahn knickt nach rechts, rumpelt  über die Siegburger Straße. Reste von Dorf, dann Supermärkte, ein Schrottplatz, Bürokomplexe, schließlich der Deutzer Hafen mit der Ellmühle, einem imposanten, fast fenster­loser Klotz aus Beton. Weiter über die Deutzer Brücke in die Innen­stadt: Heumarkt, Neumarkt, Rudolfplatz – das Getöse, das Gewimmel, rein und raus und rein. Den Aachener Weiher lass ich links liegen, vorbei am Friedhof Melaten. Am Gürtel biegt die Bahn nach links, zwei Stationen später steige ich am Stadtwald aus. Ich setze mich auf eine der Bänke, eine Fontäne speit mitten im Weiher. Die Studenten, die hier liegen, ahnen ja nicht, dass es ihnen am Porzer und Poller Rheinufer besser gefiele. Wieder in der Bahn, steige ich an der Haltestelle »Stüttgenhof« noch mal aus. Hier ist der Stadtwald am schönsten: Rechts runter geht’s zum Adenauer Weiher mit dem Astoria-Biergarten, wo man Prosecco für mondän hält. Links herunter, gegen die Fahrtrichtung, gelangt man zum Haus am See, wo die Plastikdecken so tun als wären sie gehäkelt. Eine alte Frau erzählt, dass sie den Tod nicht fürchte. Als ich mich umdrehe, steht ein Weizenbier vor ihr, das ihren Kopf überragt. Teen­ager spielen nebenan gelangweilt Minigolf. Zurück zur Station »Stüttgenhof«: das Knirschen unter den Schuhsohlen, das Rauschen der Blätter in den Ästen – ein Kaninchen hoppelt ins Feld, auf dem Weg liegen Mirabellen in der Nachmittagssonne.

 

Meine Bahn erreicht endlich Frechen und drosselt das Tempo, drängelt sich durch die Fußgängerzone. Es ist tatsächlich das, was Porz hätte sein können: Menschen vor Eiscafés, gepflegte öffentliche Plätze, Einkaufsbummeln als Freizeitgestaltung, ein endloser Sonntag. Die Bahn hält an der Endstation »Frechen Benzelrath«, ich bin am Ziel. Unweit liegt der Rosmarpark, eine Idylle mit Ausblick. Ich sitze auf der Bank unter der Linde. Ich schaue nach Köln, das sich am flirrenden Horizont mit Dom und Fernsehturm zeigt.

 

Als ich zurück zur Endstation gehe, sitzen unter einer hölzernen Schutzhütte zwei Jugendliche, die sich als Gangsta-Rapper verkleidet haben und Chips knabbern. Ich steige an der Station »Frechen Rathaus« aus. An der Kneipe »City-Treff« versuchen  Trinker an Stehtischen, lebensklug zu gaffen. »The Next Generation« steht über dem Eingang. Mein Ziel aber ist das Fresh Open. Der Name ist eine Zumutung, aber das gerade sanierte Schwimmbad eine  Attraktion in Frechen. Die andere heißt Keramion, und auch sie ist Teil meines Auftrags, das hätte ich fast vergessen. Also zurück zur Station »Frechen Rathaus«, in der City-Schänke sitzen die alten Trinker vor neuen Bieren. »Frechen Kirche« steige ich wieder aus, mache mich auf den Weg zum Keramikmuseum. Es sieht aus wie ein Ufo, das mitten im Frechener Gewerbegebiet am Kreisverkehr notlanden musste. Eine Lehrerin lässt ihre Schüler kostbare Vasen bewundern, der Boden ist gekachelt, durch die großen Fensterfronten scheint die Sonne so stark hinein, dass ich die Hand vor Augen halten muss, so sehr blendet all das Weiß. Die Frau an der Kasse freut über meinen Besuch, aus Dankbarkeit beschließe ich, mich etwas für Keramik zu interessieren. Es ist gar nicht so schwer. Die Atmosphäre ist beruhigend, es gibt Erfrischungsgetränke umsonst.

 

Auf meinem Weg zurück entlang der Kölner Straße sehe ich, dass jemand »süße deutsche Erdbeeren« vor einem abgehalfterten Fuhrpark verkauft, aber er ist ein­geschla­fen, während die Lkw vorbeirauschen. Zurück an der Station »Frechen Kirche«. Ein paar Meter neben der Kirche St. Audomar entdecke ich einen Swingerclub, jemand steht davor, wirkt deplatziert, trinkt Bier aus der Flasche. Frechen, das habe ich verstanden, ist durchaus abwechslungsreich.

 

Auf meiner Rückfahrt steige ich spontan an der Station »Haus Vorst« aus. Klingt pitto­resk, doch wenn man dem einzigen Weg folgt, geht es links an einem Parkhaus samt Campingplatz vorbei – und dann rechts ins triste Marsdorf oder links hoch auf die Autobahnbrücke, darunter die Linie 7. Ein glatter Schnitt durch die Landschaft bis zum Horizont, wo man den Kölner Dom erkennen kann. Ich denke zurück an die Bank unter der Linde im Rosmarpark. Ich denke auch an das Rheinufer in Porz. Und als ich später im Gewimmel der Kölner Innenstadt aussteige, versuche ich all das so wahrzunehmen, als sei ich hier nur Gast, der einen Auftrag hat und später nach Frechen oder Porz zurückkehrt.