Naturfreibad Vingst, Foto: Jörn Neumann

Mit der Straßenbahn in den Sommer

Christian Steigels ist mit der Linie 9 von Sülz bis nach Königsforst gefahren

Isady Mohsen ist nicht zu überhören. »Ohne Chemikalien. Ohne Atomkraft«, ruft er unentwegt. Doch Mohsen ist kein Demonstrant, er verkauft griechische Lebensmittel auf dem Markt am Hermeskeiler Platz. Seinem Charme kann sich kaum jemand entziehen. Auch ich nicht: ein bisschen Auberginen­paste, ein paar Oliven, Peperoni und Brot.

 

Mohsen ist die Ausnahme auf dem Wochenmarkt. Ruhe bestimmt die Atmosphäre in diesem Teil von Sülz, an der Endhaltestelle der Linie 9. Auch im zwei Minuten entfernten Beethovenpark. Am Anfang des Weges höre ich noch das Ploppen der Tennisbälle vom KHCT Blau-Weiß. Und dann wieder: Stille. Wer es gerne voll und laut mag, geht an den Aachener Weiher. Wer endlich mal David Foster Wallaces »Infinite Jest« durcharbeiten möchte oder Platz zum Fußballspielen braucht, kommt hierher.

 

Ein Park für alle Fälle: Schatten spendende Bäume gibt es hier ebenso wie große freie Flächen, Blumenanlagen, Spiel­plätze und Aussichtspunkte. Die ersten Planungen für den Volkspark Sülz, wie er zur Eröffnung 1927 hieß, stammten vom damaligen Kölner Gartenbaudirektor Fritz Encke, der in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden wäre. Encke, der unter anderem auch den Friedenspark und den Klettenbergpark plante, war ein Pionier des »sozialen Grüns« in der Großstadt.

 

Eine halbe Stunde später fährt die ­Linie 9 im Schneckentempo die Zülpicher Stra­ße entlang. Als ich eingestiegen bin, war ich der einzige im Wagen. Nun wird es zusehends voller. Direkt hinter mir unterhalten sich zwei junge Frauen auf Spanisch. Muttersprachlerin scheint keine zu sein. Nächster Halt: »Universität«.

 

Ich steige am Neumarkt aus, um den zweithöchsten Punkt meines Tagesausflugs zu erklimmen: die Dächer von Köln. Die Parkhausdächer, genauer gesagt. Meine erste Anlaufstelle ist das Kaufhof-Parkdeck. Bis ins Siebengebirge kann ich blicken, und auch in der Nähe gibt es Lohnenswertes: Das P&C-Gebäude von Renzo Piano sieht von keinem anderen Punkt der Stadt so schick aus. Beim nächsten Mal bringe ich einen Klappstuhl mit, denke ich mir, und ein Bier vom Büdchen.

 

Denn das Sky Beach, das mir Freunde empfohlen hatten, ist nicht zu sehen. Der ist doch schon lange auf dem Deck an der Aral-Tankstelle, klären mich zwei Kaufhof-Mitarbeiterinnen auf, die zum Rauchen hochgekommen sind. Tatsächlich. Ein paar Minuten später sitze ich im »Sky Beach« inmitten einer grotesken Land­schaft aus Germanwings-Sonnenliegen und John-Player-Special-Strandkörben. »I’m gonna flood you like a love river« singt Jack Johnson dazu. Zügig trinke ich mein Bier aus, um mich vor weiteren Ankündigungen des Hawaiianers in Sicherheit zu bringen.

 

Die Bahn ist rappelvoll, als wir den Heumarkt verlassen. Wo vor nicht allzu langer Zeit noch freie Wahl herrschte, bin ich nun froh über einen Stehplatz. Nächster Stopp: »Vingst«. Vorbei am Lady’s Beauty Salon und dem Kleingärtnerverein kommen wir zu dem Sommer-Höhepunkt in HöVi-Land, wie die Einheimischen in Höhenberg und Vingst sagen – dem Natur­freibad Vingst. Gleich nach dem Einlass erfasst mich die Erinnerung an Jugendtage im Freibad Giesenkirchen. An Pommes mit warmer Mayo, an Betontischtennisplatten, an Zigaretten, und an das Jucken des Grases am Abend.

 

Pommes gibt’s auch hier, logisch. Und nicht nur das. Die demografische Realität der Großstadt zeigt sich auf der Speisekarte, die Geflügelfrikadelle und Putenschnitzel führt. »Das geht gut weg«, sagt Mehmet Sahin, der hier seit vier Jahren arbeitet. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er gerade die Außenfassade des Kiosks mit Palmen verschönert. Der Oberbürgermeister kommt bald zum Grillen hierhin, da muss alles schick sein, ­erklärt er.

 

Ob Roters mit der Bahn anreist? Wohl eher nicht, dabei verpasst er echt etwas. Auch hinter Vingst: Ab der Haltestelle »Autobahn« wird es zunehmend ländlicher. Den Höhepunkt erreicht diese Entwicklung am »Steinweg«. Drumherum: nichts als grün. Neben der Haltestelle wachsen Erbsen, ein Stück weiter Senfpflanzen. Ich wandere den von Brombeeren und Heckenrosen gesäumten »Steinweg« entlang. Die Hauptattraktion liegt jenseits des Maschendrahtzauns: der Neubrücker Baggersee. Ein Biotop, mit Wasservögeln, Eidechsen und Wasserlilien. Im Kontrast dazu ragen die Kies-Fördergeräte bedrohlich-idyllisch über den See. Ein Hauch von Melt-Festival im Rechtsrheinischen.

 

Indes: Baden darf man hier nicht. Man darf noch nicht mal auf das in Privatbesitz befindliche Gelände. Eigentlich. Denn an Sommertagen wie diesen bevölkern Familien, FKK-Anhänger und Angler den See. Und nach dem Willen der Eigentümer soll das bald auch legal sein. Ende des Jahres läuft der Vertrag mit dem Unternehmen aus, das seit Jahrzehnten Kies aus dem See herausbaggert. 2013 soll hier ein Bade- und Wassersportsee entstehen, mit Wasserski-Anlage und Wellness-Landschaft. SPD und CDU in der Kalker Bezirksregierung sind dafür, Naturschützer sind skeptisch. Vor allem wegen der Wasserski-Anlage.

 

Letzter Halt »Königsforst«. Beim »Schwalbennest« gleich an der Station stehen heute »Schweine Nierschen« auf der Karte, es läuft »Barbara Ann« von den Beach Boys. Doch ich habe keine Zeit für Inne­reien. Der höchste Punkt Kölns ruft: der Monte Troo­de­löh. 118 Meter über dem Meeresspiegel. Die offi­zielle Erstbesteigung fand vor nicht einmal zwölf ­Jahren statt, und die drei »Entdecker« schafften aus den ers­ten Silben ihrer Nachnamen das Kunstwort Troo­delöh.

 

Über den Waldlehrpfad, vorbei an der Blitzeiche, mit kurzem Ausflug nach Bergisch Gladbach, erreiche ich nach rund eineinhalb Stunden wandernd das Dach der Stadt, das durch einen ziemlich unspektakulären Findling markiert wird. Was soll’s! Ich bin am Ende meiner Reise angelangt. Das muss irgendwie gefeiert werden. Sekt gibt’s keinen, aber ein kleines Picknick. Ein bisschen Auberginenpaste, ein paar Oliven, Peperoni und Brot. Ohne Chemikalien, ohne Atomkraft.