Forstbotanischer Garten, Foto: Jörn Neumann

Mit der Straßenbahn in den Sommer

Nava Ebrahimi ist mit der Linie 16 von Niehl nach Bad Godesberg gefahren

 

Die Endhaltestelle Niehl-Sebastianstraße im Kölner Norden ist anders als andere Endhaltestellen. Die Stadt endet an dieser Stelle nicht, und so ist es hier weder trist noch grün. Das Gleisbett hört einfach dort auf, wo es auf die Niehler Straße stößt. So, als hätten die Straßenbahnbauer keine Lust mehr gehabt. Genau genommen ist es für mich auch keine Endhaltestelle, denn ich beginne hier meine Tour mit der Linie 16. Letzter Halt: Bad Godesberg Stadthalle. An der übernächsten Station, »Amsterdamer Straße/Gürtel«, steige ich das erste Mal aus. Mich interessiert der Nordpark; eine kaum bekannte Grünfläche, die morgens um neun Uhr noch komplett leer ist, lediglich ein Kaninchen saust mal um die Ecke. Von Oberbürgermeister Jürgen Roters, der in diesem Park morgens joggen soll, keine Spur. Der steht bestimmt früher auf. Also weiter. Die Bahn taucht in den Untergrund ab. Wir fah­ren unter der City hindurch, am Hauptbahnhof steigen geschniegelte Menschen ein, die noch frisch riechen. Am Barbarossaplatz leert sich die 16.

 

Als die Bahn dann am Ubierring Richtung Rodenkirchen abbiegt und am Rhein ent­lang schnurrt, macht sich an diesem Werktag um kurz vor zehn tatsächlich so etwas wie Urlaubsgefühl breit. Allein das glitzernde Wasser im Sonnenlicht vermag das. Anders als an Wochenenden ist das Ufer nahezu menschenleer. An der Station »Siegstraße« verlasse ich die Bahn und gelange nach einem kurzen Fußmarsch zum Forstbotanischen Garten. Da ich von Süden aus komme, durchquere ich vorher den Friedenswald, eine Art Bonus zum Forstbotanischen Garten. Im Herzen des Friedenswaldes liegt eine hügelige Wiese, die an einen Golfplatz erinnert. Der großangelegte Abenteuerspielplatz ist an diesem Morgen verwaist. Auf gut gepflegten Kieswegen sind ältere Damen mit Nordic-Walking-Stöcken unterwegs.

 

Der eigentliche Forstbotanische Garten aus den frühen 60er Jahren ist eingezäunt und an heißen Tagen der angenehmere Ort. Allerlei Baumsorten beschatten die schmalen Pfade: Japanischer Ahorn, Großblättrige Magnolien (mit tatsächlich riesigen Blättern!), Coloradotannen. Hier kann man sich eine Weile treiben lassen, je nach Jahreszeit Azaleen, Rhododendren oder Pfingstrosen blühen sehen und auf einer der Bänke ausruhen. Meine einzige Begegnung an diesem Vormittag ist die mit einem Pfau.

 

Kurze Zeit später sitze ich wieder in der 16. Als wir in Sürth einrollen, fällt mir ein, dass ich kürzlich darüber abgestimmt habe, ob der Godorfer Hafen ausgebaut werden soll. Ich entschied mich gegen den Ausbau und damit für das Naturschutzgebiet Sür­ther Aue – das ich allerdings noch nie gesehen habe. Also steige ich aus. Auf dem Weg runter zum Rhein liegt die Gutsanlage Falderhof, eine der ältesten in Köln. Heute residieren dort ein Hotel und ein Restaurant gehobenerer Preisklasse. Ein paar Meter weiter bestelle ich in der Eisdiele Marano an der Sürther Hauptstraße ein Spaghetti-Eis und lausche dem Gespräch am Nachbartisch, wo sich zwei jüngere Rentner über die »korrupte Oberschicht« unterhalten, während sie in der FAZ blättern. Ich erkundige mich nach der Sürther Aue. »Die sollten Sie sich auf jeden Fall ansehen«, empfiehlt einer der beiden, »solange es noch geht«.

 

Je mehr ich mich dem Rhein nähere, desto lauter höre ich die Pappeln, die am Ufer stehen, im Wind rauschen. In der kleinen Bucht am Wasser kommen noch die Schreie der Möwen hinzu. Rhein­abwärts ist der Dom schon nicht mehr zu sehen; auch mal angenehm. Rheinaufwärts beginnt die Auenlandschaft. Viel sei nicht übrig geblieben, hatten die Rentner in der Eisdiele gesagt, aber sollte der Haufenausbau platzen, könne man die Aue noch retten.

 

Bis Wesseling rolle ich durch den Kölner Stadtteil Godorf, von dem ich nichts anderes zu sehen bekomme als riesige, menschenleere Industrieanlagen: Die Raffinerie Rheinland von Shell ist immerhin die größte Deutschlands. Dafür wird es ab Wesseling-Süd mit einem Schlag ländlich. Einfamilienhäuser, Äcker, alte Bahn­hofsgebäude, in denen Gaststätten mit Namen wie »Texas« XXL-Schnitzel anbieten.

 

Weiter nach Bonn. Meine nächste Station ist »Heuss­­allee/Museumsmeile«. Ziel: der Internationale Vogel­flug­­hafen auf dem Dach der Bundeskunsthalle. Mehr als zwanzig Wild­vogel­arten, etwa der Hausrotschwanz, sol­len den Ornithoport bereits nutzen. Für günstige Bedin­gungen sorgen An- und Abflugkonstruktionen und elek­trische Airport-Signale. Viel Vogelverkehr ist nicht. Der Ort, so der Kurator, soll aber ohnehin eher zum Nachdenken darüber anregen, wie wir mit der Natur umgehen. Das tue ich und schlendere durch den Liebermann-Garten auf dem Museumsdach. Die Rekonstruktion des Berliner Gartens ist ein guter Ort für innere Einkehr. 

 

Die letzte Etappe führt die Godesberger Allee entlang, zu Bonner-Republik-Zeiten auch »Diplomatenrenn­bahn« genannt, bis es schließlich heißt: »Bitte alle aussteigen!« Man kommt im Kurpark nach oben und fühlt sich ein paar Jahrzehnte, in die Zeit von Vollbeschäftigung und Polaroidkameras, zurückversetzt. »Bad Godesberg Stadthalle« ist vermutlich die historisch auf­ge­laden­ste Endhaltestelle im KVB-Universum. In der Stadthalle am Kurpark verabschiedete die SPD 1959 ihr Godesberger Programm. 1949 nutzte die Alliierte Hohe Kommission die Godesberger Redoute als Club. Ein paar Jahre zuvor noch hielt Adolf Hitler sich regelmäßig in dem mondänen Kurort auf. Die Stadt lässt die ­Redoute am Rande des Kurparks gerade restaurieren, ab Mitte Juli soll sie wieder für Veranstaltungen offen stehen.

 

Seit dem Regierungsumzug wird Bad Godesberg häu­­figer in einem Atemzug mit »sozialen Problemen« genannt, oft ist dann von »zwei Welten« die Rede. Davon kann man sich in der Fußgängerzone ein Bild machen, wo die Bewohner des Villenviertels, etwa pensionierte Diplomaten, auf die der Problemviertel, vor allem arabische Migranten, treffen. Ich laufe an den Kammerspielen Bad Godesberg vorbei, dem größten und noch im­mer ambitionierten Haus der städtischen Bonner Bühnen.

 

Durch das Godesberger Villenviertel spaziere ich zum Panoramabad Rüngsdorf, das direkt am Rhein liegt. Ich drehe auf der Fünfzig-Meter-Bahn meine Runden, Petersberg und Drachenfels stets im Blick. Der Tag endet, ebenfalls geschichtsträchtig, im Biergarten des Rheinhotel Dreesen, fünf Gehminuten flussabwärts vom Freibad entfernt. Von Eisen­hower über Gorba­tschow bis hin zu Kissinger war jeder schon einmal hier, und Hitler gleich mehrfach. Heute sitzt die Godesberger Schickeria an den Biertischen, nippt an Weinschorlen und genießt den Rheinblick.