Mit offenem ­Visier

Die neuen Kunststipendiaten der Stadt Köln

Evamaria Schaller und Marcel Hiller stellen im BBK aus

 

Das Leben ist eine Baustelle, und immer gibt es irgendwo irgendwas zu tun. Weil hierbei auch überall Gefahren lauern, sollte man sich dem Weltgestöber nicht ohne Helmschutz aussetzen. Die Kunst allerdings, vielleicht nur sie, beharrt demgegenüber weiterhin auf einem Agieren ohne doppelten Boden und Rückversicherung. Wenn Marcel Hiller sich dennoch mit einer anachronistisch anmutenden Helmzier ablichten lässt, ist dies nicht allein dem Gefahrenpotenzial der Kunst geschuldet, sondern dient zur Anonymisierung der eigenen Person.

 

Der 1982 in Potsdam-Babelsberg geborene Künstler, dem kürzlich das Friedrich-Vordemberge-Stipendium der Stadt Köln zugesprochen wurde, bevorzugt die improvisierende Arbeit im kreativen Verbund. 2008 gründete er gegen Ende seines Studiums an der Kunstakademie Münster den Projektraum CLUB69, um gemeinsam mit Künstlerkollegen eine Reihe skulpturaler Raumbesetzungen anzuzetteln. Zur Zeit bespielt die von Hiller initiierte »Magicgruppe Kulturobjekt«, ein lose wechselndes Konglomerat befreundeter oder geschätzter Künstler, einen Galerieraum in Amsterdam. Unter Hillers Regie vereinen sich die ansonsten eigenständigen Künstlerindividuen aus Wien, Düsseldorf, Berlin, München, Aachen und Amsterdam zum Kollektiv. Laut Hiller »ist die Magicgruppe weniger eine Künstlergruppe als viel mehr ein Arbeitsbegriff, der eine weiche Vorstellung von Objekt, Gemachtem und Gefundenen versucht«.

 

Hiller nutzt seine konstrukti­ven Talente, wobei er bewusst auch Fehlerhaftes und Unvorhersehba­res mit einschließt. Es sind nicht die finalen Setzungen, die ihn interessieren, vielmehr erinnern seine Arbeiten an Architekturen auf Zeit. Seine Haltung ist geprägt von der verhaltenen Si­cher­heit der vagabundierenden Spieler, Poeten, Baumeister und »Bastler«, die den Alltag gleichermaßen als Materiallieferanten wie als Baustelle benutzen, ihn als gegeben und infiltrierbar vorstellen.

 

Im Ergebnis entstehen glücklich verwandelte und neu lesbare Orte, die Relationen aufzeigen, Energien und Utopien verhandeln. Gleich im Anschluss an Ams­ter­dam steht dem Kölner Sta­­pel­haus, dem Ausstellungsraum in­mitten der Altstadt, eine solche Verwandlung bevor. Auch hier läuft es auf erneute Kooperation hinaus: Hiller wird die Ausstellung zusammen mit Evamaria Schaller bestreiten, der Preis­­trägerin des Chargesheimer-Stipendiums im Bereich Medienkunst. Im Vorfeld haben sich beide bereits verständigt, dass sie nur zu gerne mit ihren Konzeptionen auf­einander Bezug nehmen möch­ten.

 

Denn auch für die 1982 in Graz geborene Absolventin der Kölner Kunsthochschule für Medien steht die Beschäftigung mit den Zwischenräumen im Fokus ihrer künstlerischen Grundlagenforschung. Evamaria Schaller, so formulierte die Jury in ihrer Begründung, hilft uns »neue Räume für den kritischen Diskurs im Bereich der Medienkunst zu finden. Sie kreiert spezialisierte ›architektonische Eigendetaillierung‹ als einen Ort der Performance«. Mit ihren performativen und filmi­schen Arbeiten nähert sich Schaller dem eigentlich relevanten Raum an – dem Beziehungs- und Resonanzraum zwischen den Menschen.

 

Beim Ausloten der Schnittstellen von Kunst und Gefühl, Freiheit und Angst, Schönheit und Schmerz kann sie getrost auf einen Helm verzichten: »Man muss sehr, sehr offen sein, darf sich nicht schützen«, bemerkt sie augenzwinkernd. So ließ sie sich für ihre beeindruckende Diplomarbeit vom Jagdfieber packen und stellte einer Frau nach, die vor knapp zwanzig Jahren in den Bergregionen ihrer österreichi­schen Heimat als »Wil­derin vom Montafon« mediale Berühmtheit erlangte, nachdem sie fast zehn Jahre lang diese mythisch behaftete, illegale Männerdomäne ausgeübt hatte. Schallers filmische Annäherung, die unlängst in der Moltkerei zu sehen war, zeugt von einer Intimität der Wahr­neh­mung, die das rein dis­tan­zierende und registrierende Be­obachten aufgibt.

 

Den körperlichen Energien kommt hierbei eine nicht gering zu achtende transformierende Bedeutung zu. Der so charmant wie akribisch erzeugte Kreislauf des Lebens erscheint in all seinen ereignishaften Segmenten als ein unablässiger Prozess, in dem das Wissen um die existenzielle Vielfalt der Welt und lustvolle Heiterkeit verschmelzen.

 

Die Dringlichkeit ihres Anliegens prägt beide Stipendiaten: Auf die Anschmiegung an Vorhandenes und Bekanntes folgt die präzise Bildformung, deren Spiel mit der Wirklichkeit weder einfache Wiederholung noch eindeutiger Kommentar ist. Stattdessen gilt es, Irritationen und Störungen für das Überleben produktiv nutzbar zu machen.