Revue der Wutbürger

Autos anzünden kann schließlich jeder. Aber mit Kind und Kegel, Opa und Oma im bürgerlichen Stuttgart gegen ein megalomanes Bahnprojekt Front machen, dabei aus der Mitte der Gesellschaft heraus schreien, pöbeln und lästern, das hat viele überrascht. Plötzlich schien der gesellschaftliche, auf Mitte gepolte Konsens in Gefahr. Genervt erfand der Spiegel 2010 die Bezeichnung vom »Wutbürger«, die es prompt zum Wort des Jahres schaffte.

 

Jetzt nimmt sich in Köln die freie Szene des Wutbürgers an. Der Verein Drama Köln um den Theatermacher Oliver Krietzsch-Matzura hat sich mit anderen Künstlern zusammengetan, um das Phänomen zu erforschen. »Ich bin schon Wutbürger, seit ich denken kann«, sagt Krietzsch-Matzura trocken im Blick auf die aktuelle Konjunktur des Begriffs. Um der neuen Spezies zivilen Ungehorsams auf den Grund zu gehen, habe man vom Wutperformer über den Wutclown bis zur Wutparty möglichst viele unterschiedliche Formate und Künstler in die Recherche einbezogen.

 

Im September konnte man bereits beim Projekt »We watch you watch« die unausgesprochenen Gedanken des Wutbürgers auf dem Chlodwigplatz verfolgen. Jetzt gibt es als zweiten Teil eine interaktive »Wutparty«. Natürlich spielen Bands (u.a. Komplizen der Spielregeln, Los Chupacabras), und DJs wie Shawn Okay und Sirius Lee Wilde legen auf. Doch es wird auch darum gehen, den Zuschauer in einen Wutzustand zu versetzen, der anschließend ausgetobt werden soll. Die Kuratoren Claudia Kattanek und Andreas Maier haben dafür ein Konzept entworfen, das von Kinderspielen wie Hau-den-Lukas über Wutkaraoke bis zu choreographierten Wutäußerungen durch Performer reicht.

 

Beim dritten Abend unter dem Titel »Kowatsch«, gibt der Berliner Autor, Regisseur und Schauspieler Jens Schäfer den brodelnden Publikumsbeschimpfer, der die Ausdauer der Zuschauer testet. Wie viel Anmache erträgt der Mensch? Das Publikum soll mit soviel Wut überhäuft werden, sagt Drama Köln-Leiter Oliver Krietzsch-Matzura, dass es irgendwann zu einer Reaktion kommt. Fortsetzungen mit Wutclown, Wutlesungen, Wutfestival dann im neuen Jahr.