Mit fremden Augen sehen

Staffan Valdemar Holm, der neue schwedische Intendant des Düsseldorfer Schauspiels, über seine Theaterpläne

StadtRevue: Herr Holm, sind Sie schon in Düsseldorf angekommen?

 

Staffan Valdemar Holm: Dieses Gefühl habe ich nie gehabt. Ich bin nicht der Typ, der irgendwo ankommt. Ich lerne im Augenblick viel über Düsseldorf. Ich spaziere hier sehr gerne herum. Ich nehme mir die Zeit.

 

Wie arbeitet man, wenn man das Theater einer Stadt leitet, die man noch nicht so gut kennt?

 

Ein Theater ist nicht die Blaupause der Stadt, in der es steht. Man versteht etwas durch Auseinandersetzungen und durch Fragen. Wir stellen Fragen. Eine urbane Konzentration wie Düsseldorf braucht auch fremde Augen. Unsere Regisseure kommen aus anderen Teilen von Deutschland oder aus Österreich, aus der Schweiz, aus Chile, aus Australien zum Beispiel. Wir werden unsere Position hier finden, zusammen mit der Stadt. Aber wir sind gekommen, um interessantes Theater zu machen. Das ist unsere erste Tugend.

 

Sie haben gesagt, dass Sie in Düsseldorf ein internationales Theater etablieren wollen. Was bedeutet das genau? Viele Theater wollen das, auch das Kölner Schauspiel zum Beispiel.

 

Internationalität ist für mich kein Motto, das ist eine Notwendigkeit. Unsere Gesellschaft hat sich globalisiert, und wir müssen das reflektieren. Es geht nicht darum, dass ich einen ausländischen Regisseur anrufe und ihn frage, ob er oder sie bei uns etwas inszenieren kann. Wir müssen etwas lernen. Die Verabredungen sollten kontinuierlich sein und zu Begegnungen führen zwischen den Künstlern und vielleicht auch mit dem Publikum. Auf diese Weise müssen wir etwas entwickeln.

 

Was genau kann das sein?

 

Wir machen hoffentlich ein Projekt in der Atacama-Wüste in Chile. Es gibt dort Geisterstädte, mit Resten von urbanen Strukturen. Unser Projekt findet gemeinsam mit zehn europäischen Theatern statt, die alle dort hingehen. Wir bevölkern eine dieser Wüstenstädte, schaffen dort 72 Stunden Theater. Es wird Livestreamings davon in Deutschland und Südamerika geben, auf Computern und auf Großbildleinwänden. Ein anderes Projekt liegt in den Händen des chi­lenischen Regisseurs Guillermo Calderón. Ich habe ihn gefragt, ob er das »Erdbeben von Chilli« von Kleist kenne. Denn er hat die Erfahrung eines konkreten und politischen Erdbebens 2010 in Chile gemacht. Er wird darüber ein Stück schreiben und es in Düsseldorf inszenieren. In diesem Sinne wollen wir integriert arbeiten. Nicht indem wir »kaufen«.

 

Ihre zweite Leitidee lautet, generationenübergreifend zu arbeiten.

 

Ja, Barbara Kantel, die neue Leiterin des Jungen Schauspielhauses, und ich haben gesagt: Wenn wir die Generationenmauer abbauen wollen, dann können unsere Ensembles nicht nur aus Jugend- oder Erwachsenenspezialisten bestehen. Dann muss zum Beispiel ich auch im Jungen Schauspielhaus inszenieren und unsere Schauspieler dort in Stücken spielen. In der Disposition ist das allerdings ein Albtraum. Aber wir werden es versuchen.

 

Á propos junges Publikum: Welchen Sinn hat Theater heute für Sie?

 

So viele Wörter, Informationen, beinahe die gesamte Kultur werden digital vermittelt. Es gibt aber auch viele Anzeichen dafür, dass es richtig ist, auf Berührung, auf Taktilität zu bestehen. Vor fünfzehn Jahren hat man gesagt, es wird eine große Theaterkrise kommen, weil es so viele Computer gibt. Ich habe gesagt, das Bedürfnis, etwas zusammen mit anderen Menschen zu erleben, wird wachsen. Heute kann man feststellen, dass dieses Bedürfnis nicht zurückgegangen ist. Allerdings müssen die Theater sich öffnen und mehr Vielfalt zulassen.

 

Die ganz großen Namen der deutschsprachigen Regieszene fehlen bei Ihnen eher. Wie haben sie ausgewählt?

 

Was Sie sagen, gilt aber nicht für Andrea Breth, Entschuldigung!

 

Da haben Sie Recht. Aber sonst?

 

Falk Richter ist ein sehr angesehener und erfolgreicher Regisseur seiner Generation. Ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland überall dieselben Namen sehen. Es ist ein bisschen so, und das meine ich nicht qualitativ: same names, different shit (lacht). Dazu kommt, dass ich bei meiner Vertragsunterzeichnung wusste, dass die Kalender von so großartigen Regisseuren wie Michael Thalheimer, Andreas Kriegenburg, Sebastian Nübling oder Dimiter Gotscheff voll sind. Also wollte ich die Stars von morgen haben. Junge Talente. Nurkan Erpulat oder Nora Schlocker sind sehr gefragt. Regisseure wie Sarantos Zervoulakos oder Felix Rothenhäusler sind ebenfalls jung. In Düsseldorf fehlt es an 30- bis 40-Jährigen im Publikum. Deshalb haben wir Regisseure eingeladen, die Erfahrungen mit dieser Generation teilen.

 

Sie haben erklärt, dass der Schauspieler für Sie im Theater essentiell sei. Was denken Sie über Spielformen, etwa im Dokutheater, die dieses Erkenntnis-Modell verabschieden?

 

It comes and goes (lacht). Ich glaube wirklich, dass wir immer Konventionen kreieren. Wenn es ein Buch gibt, das »Postdramatisches Theater« heißt, dann ist auch dieses Theater schon wieder alt. Ohne Text, ohne die Präsenz von Schauspielern und Zuschauern geht es irgendwie nicht.