Die Behörde ermittelt gegen sich selbst

Detlef Hartmann ist Rechtsanwalt in Köln.

Er vertritt ein Familienmitglied im Fall des Todes von Stephan Neisius. Die StadtRevue sprach mit ihm über die Ermittlungen und die Hintergründe der polizeilichen Misshandlungen

StadtRevue: Wie verlaufen die Ermittlungen, wie ist die Aktenlage?
Detlef Hartmann: Das erste in der Akte sind die Strafanzeige und Strafanträge gegen das Opfer – von Beamten, die an dem Vorfall beteiligt waren. Als sich die beiden Polizisten melden, die die Misshandlung beobachtet hatten, werden sie als erste förmlich vernommen. Aber nicht als Zeugen mit der üblichen Belehrung, sondern als Beschuldigte! Und das ausgerechnet wegen Körperverletzung und Strafvereitelung im Amte. Die Hinweise auf das eigene deliktische Verhalten müssen offenbar so massiv gewesen sein, dass einer der beiden Aussagewilligen sofort einen Anwalt eingeschaltet hat.
Die beiden hauptsächlich beteiligten Polizisten, gegen die am 24.5. Haftbefehl erging, wurden vom Haftrichter wieder auf freien Fuß gesetzt. Es war allerdings bekannt, dass sie versucht hatten, Beweismittel (blutverschmierte Uniformteile) zu beseitigen. Ist so ein Verfahren üblich?
Nein. Normalerweise wäre erfahrungsgemäß in einem solchen Fall die Haft wegen Verdunkelungsgefahr vollzogen worden.
Inzwischen ist bekannt geworden, dass es seit 1999 324 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte gab – über 90 Prozent wurden eingestellt. Welche Rolle hat die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung solcher Vorfälle?
Was bei der Staatsanwaltschaft ankommt, ist von der Polizei bearbeitet und geprägt. Die Staatsanwaltschaft übernimmt oft erst in einem späten Stadium, oder gar, wenn die Polizei ausermittelt hat. Polizisten sind ja Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, und so kann es nicht verwundern, wenn sie in solchen Fällen zur Schonung neigt. Auch im vorliegenden Fall ist der Staatsanwalt erst später informiert worden. Er hat Ermittlungen innerhalb der Behörde nicht beanstandet.
Das heißt, der Staatsanwalt hat abgesegnet, dass die Polizeibehörde gegen sich selbst ermittelt?
Ja.
Warum wurde kein unabhängiges Ermittlungsgremium gebildet? Ist das gesetzlich nicht möglich?
Doch. Es wäre jedoch politisch schwer durchzusetzen. Polizeipräsidenten haben große politische Macht, auch gegenüber ihren vorgesetzten Behörden. Es müssten Vorschriften entwickelt werden, dass in solchen Fällen nicht die eigene Behörde ermittelt, und es müsste ein außerpolizeiliches Gremium geben, das in solchen Fällen zu Ermittlungen befugt ist.
Jenseits der individuellen Brutalität der Beamten deutet der Vorfall doch auch auf Strukturen hin, die so etwas begünstigen.
Die Strukturen, die so etwas begünstigen, bestehen vor allem in der Mitleidlosigkeit der Ordnungskräfte gegenüber Hilflosen und an den Rand gedrängten Menschen. Die Bereitschaft, solchen Menschen nicht zu helfen, sondern sie beiseite zu räumen, hat ganz massiv zugenommen. Das ist Ausdruck des generellen robusten politisch-ökonomischen Managements des derzeitigen gesellschaftlichen Umbruchs. Bei Stephan Neisius war schon in der Wohnung offensichtlich, dass seine Hilfsbedürftigkeit psychische Ursachen hatte und die entsprechende Betreuung und Fürsorge geboten war. Aufgrund der derzeitigen Sachlage waren Maßnahmen nach dem Polizeigesetz von Anfang an nicht statthaft, sondern nach dem PsychKG (Gesetz über Hilfe und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten, Anm. d. Red.). Stattdessen hat man ihn auf die Wache gebracht – und dort misshandelt.
Wird es jetzt eine grundsätzliche Aufklärung derartiger Misshandlungen durch Polizeibeamte geben?
Nein. Ich denke, dass dieses Verhalten kompatibel ist mit der zunehmenden Mitleidslosigkeit. Wahrscheinlich wird die Polizeibehörde jetzt vorsichtiger, sie nimmt den Vorfall sehr ernst. Aber im Prinzip wird diese Aggressivität gebraucht und inszeniert, um die Politik des Beiseiteräumens durchzusetzen. Der Polizeiapparat ist ja auch nur eine gesellschaftliche Institution neben anderen.