Blick zurück nach vorn

Regisseure am Scheideweg? Die neuen Werke von Lars von Trier, Gus Van Sant und Pedro Almodóvar sind so faszinierend wie frustrierend

Drei Regisseure, die das Arthousekino des letzten Vierteljahrhunderts geprägt haben. Drei Regisseure, die sich mit Mitte fünfzig bzw. Anfang sechzig offenbar in einer Phase der Unsicherheit oder Suche befinden. Drei Regisseure, die ihren Blick zurück nach vorn richten.

 

Im September kommen die neuen Filme von Lars von Trier, Gus Van Sant und Pedro Almodóvar in die deutschen Kinos. So unterschiedlich, ja völlig gegensätzlich »Melancholia«, »Restless« und »Die Haut, in der ich wohne« sind, so sehr ähneln sie sich darin, wie sie die Erwartungen, die mit den Regisseuren verknüpft sind, zugleich erfüllen und frustrieren.

 

Lars von Trier mag »Melancholia« nicht: »Ich wäre bereit, diesen Film wie ein falsch transplantiertes Organ abzustoßen«, schreibt er im eigenen Presseheft. Diese Mischung aus Ironie, Provokation und Selbstvermarktung kennt man vom 55-Jährigen. Aber es steckt auch ein Kern Wahrheit in seiner zur Schau gestellten Selbstdemontage. Wie schon sein Vorläufer »Antichrist« wirkt sein zwölfter Langfilm widersprüchlich: zugleich streng strukturiert und formal unzusammenhängend, überästhetisiert und unterentwickelt. Bei einem Regisseur, dessen Werk sich leicht in Gruppen aufteilen lässt – die Europa-Trilogie, die Melodramen, die Amerika-Filme usw. –, ist diese Orientierungslosigkeit ungewohnt. Er selbst wäre der erste, der dies mit seiner offensiv in die Öffentlichkeit getragenen – mittlerweile aber angeblich überwundenen – Depression erklären würde.

 

»Melancholia« besteht aus drei Kapiteln, denen man jeweils eine Phase aus Lars von Triers bisherigem Werk als Vorbild zuordnen kann. In einem achtminütigen Vorspiel entwirft er zunächst eine Serie alptraumhafter Tableaus von bizarrer Schönheit, in der die Bewegung fast eingefroren ist. Dieser furiose Vorausblick auf den Weltuntergang erinnert in seiner visuellen Kraft an die ersten Filme von Triers. Es folgt die amüsante Demontage einer Hochzeitsfeier: Die Braut (Kirs­ten Dunst) ist depressiv, ihre Mutter (Charlotte Rampling) wird ausfällig und der Hochzeitsplaner (Udo Kier) bekommt einen Nervenzusammenbruch. Die Handkamera-Bilder wecken unweigerlich Erinnerungen an von Triers Dogma-Phase und an Thomas Vinterbergs »Das Fest«. Das letzte Kapitel, in dem die Depression der Braut und das Verhältnis zu ihrer Schwester (Charlotte Gainsbourg) im Mittelpunkt steht, knüpft dagegen an seine Filme über Frauen-Martyrien an. Es wirkt, als suche er in der eigenen Vergangenheit nach einem Weg für die Zukunft.

 

Gus Van Sants neuer Film ist das genaue Gegenteil von »Melancholia«: bescheiden, stringent und voller Lebensbejahung – trotz der Faszination seiner jungen Protagonisten für den Tod. In »Restless« wird die sinnstiftende Kraft der Liebe beschworen, statt wie bei von Trier im Nihilismus gebadet. Annabel (Mia Wasikowska) und Enoch (Dennis Hoppers Sohn Henry in seiner ersten großen Rolle) lernen sich auf einer Beerdigung kennen. Zu suchen hat er dort eigentlich nichts. Seit seine Eltern bei einem Autounfall starben, bei dem auch er beinahe sein Leben verloren hätte, schleicht Enoch sich aber immer wieder bei Trauerfeiern ein. Die beiden verlieben sich ineinander, doch das Glück kann nicht von Dauer sein.

 

Nach seinem mit zwei Oscars ausgezeichneten Erfolg »Milk« hat Van Sant wieder einen »kleinen« Film gedreht. Doch »Restless« knüpft nicht an seine bescheiden budgetierten, experimentierfreudigen Werke an, die er zwischen 2002 und 2007 gedreht hat, wie »Elephant« oder »Last Days«. Vielmehr erinnert der romantisierende Blick auf jugendliche Außenseiter an die frühen Filme des 59-Jährigen (»Drugstore Cowboy«, »My Private Idaho«), während die allzu gefällige Erzählweise seine Mainstream-Versuche Mitte der 90er Jahre (»Good Will Hunting«, »Finding Forrester«) unangenehm ins Gedächtnis ruft. Ähnlich wie bei von Trier ließ sich das Werk des Amerikaners bislang gut in verschiedene Phasen einteilen. Momentan ist aber schwer einzuschätzen, wohin seine Reise geht. Erst einmal hat er sich vom Kino verabschiedet: Im Herbst läuft in den USA seine erste Fernsehserie an.

 

Direkt sichtbar knüpft Pedro Almodóvar an sein eigenes Frühwerk an, um einen Weg in die Zukunft zu finden: Hauptdarsteller von »Die Haut, in der ich wohne« ist Antonio Banderas, den der Regisseur zu Beginn der 80er Jahre entdeckt hat und der bis in die frühen 90er das prominenteste Gesicht seiner Filme war. Das ist aber nicht der einzige Rückgriff, einzelne Szenen scheinen Werke des 62-Jährigen wie »Matador«, »Kika« und »Fessle mich!« direkt zu zitieren.

 

Dass Almodóvar mit seinem achtzehnten Film Schwierigkeiten hatte, verriet er in einem Interview mit dem britischen Filmmagazin Sight and Sound. Zehn Jahre brauchte er für das Drehbuch, die Adaption eines Krimis von Thierry Jonquet. Erst wollte er einen Stummfilm nach dem Vorbild Murnaus oder Langs drehen, verwarf die Idee aber wieder, um am Ende »während der Arbeit zu improvisieren«. Herausgekommen ist sein vielleicht verstörendstes Werk, in dessen Mittelpunkt ein brillanter Chirurg (Banderas) steht, der auf grausamste Art Rache am Vergewaltiger seiner Tochter nimmt. Genauer auf die Geschichte einzugehen, würde zu viel verraten.

 

Nur so viel: Almodóvar treibt seine beliebte »Normalisierung des Bizarren«, wie es der britische Filmjournalist Tony Rayns formulierte, auf einen neuen Höhepunkt  – ohne dabei noch irgendwie auf psychologische Plausibilität Rück­sicht zu nehmen. Dennoch hat von allen drei Schwergewichten des Arthousekinos der Spanier den Rückgriff in die eigene Vergangenheit am stringentesten genutzt, um sich selbst eine Frischzellenkur zu verpassen.