»Ich versuche immer, mich mit einem Film reinzuwaschen«

Käufliche Liebe von Thailand bis Mexiko: Michael Glawogger über seinen Dokumentarfilm Whore’s Glory, Prostitution im Film und die Vorzüge der katholischen Kirche

StadtRevue: Sie haben sich vor Drehbeginn viele Filme zum Thema Pros­titution angesehen. Wie wichtig war das als Vorarbeit?

 

Michael Glawogger: Ich mache das, weil ich dadurch auf Dinge komme, die mir für meinen eigenen Film interessant scheinen. So wurde mir vor »Workingman’s Death« klar, dass alle Filme über Arbeit gar nicht wirklich über Arbeit sind, sondern sie lediglich thematisieren, um irgendeine gesellschaftliche Botschaft zu vermitteln. Das hat mich auf die Idee gebracht, den Akt der Arbeit selber zu zelebrieren. Bei den Dokumentarfilmen über Prostitution, weniger bei den Spielfilmen, die ich vorher gesehen habe, gefiel mir nicht, dass immer zugleich eine unglaubliche Anziehungskraft der Rotlichtmilieus vorhanden war und eine wahnsinnige Angst davor. Nichts ist für Huren fürchterlicher als diese Gafferkunden, die in einen Puff gehen und eigentlich nicht ficken wollen. So kommen mir aber die meis­ten Filme über Prostitution vor. Also dachte ich mir: Behandle den Puff als den normalsten Ort der Welt.

 

Welche Spielfilme haben es besser gemacht?

 

Ich kann mich heute noch über Buñuels »Belle de jour – Schöne des Tages« totlachen. Auch Godard, der ja nach eigenen Angaben selber in Bordelle geht, hat großartige Filme aus der Kundenperspektive gemacht – weil er Prostitution gleichzeitig intellektualisiert und alles hineinprojiziert, was er da sehen will. Das ist ja hochinteressant: Männer sind in ihrem Denken wirklich so gestrickt, dass sie beim Puffbesuch glauben, sie seien der eine, für den es anders ist. Und das ist auch das, worauf jeder Spielfilmregisseur reinfällt. Ich find das ja schön, weil das eine klare, authentische Haltung ist, die etwa ein Reporter nicht hat. Der will alles skandalös machen.

 

Ursprünglich sollte »Whore’s Glory« statt in drei in fünf Episoden aufgeteilt sein, darunter eine, die in Wien spielt. Fehlt Ihnen der Heimatas­pekt?

 

Nein. Wenn wir davon ausgehen, dass die Welt näher zusammengerückt ist, wird der Heimataspekt obsolet: Bangkok ist heute Erste Welt, so wie Wien auch. Dieser Aspekt ist auch durch mich selbst – oder wie Kritiker vielleicht sagen würden: durch meinen westlichen Blick – sowieso mit drin. Was mich mehr interessiert, sind die Verbindungen zwischen Kulturkreisen, Klassen und Religionen. »Whore’s Glory« ist mehr ein Film über Sexualität und das Verhältnis zwischen Mann und Frau in bestimmten Kulturen als ein Film über Huren.

 

Wenn Bangkok Erste Welt ist, bebildert dann die Mexiko-Episode die Hölle der Dritten Welt?

 

Vor Kurzem war ich in Mexiko, um den Prostituierten den Film zu zeigen. Die haben sich zu meiner Überraschung nicht nur ihre Episode angesehen, sondern den ganzen Film. Und eine sagte: »Thailand ist die Hölle! Denn da sitzen die Frauen hinter Glas.« Genauso ist für mich die Langeweile eines Mittelklasse-Vororts viel mehr die Hölle als die »Zona della tolerancia« in Mexiko, in der die Huren arbeiten. Ich kann es nicht anders sehen, aber für viele ist das natürlich ein höllischer Ort, weil er mit allem zu tun hat, was verboten oder tabuisiert ist: Drogen, Krankheit, Sterben. Das sind trotzdem auch Dinge des Lebens, dort ist kein Stillstand. Ein Bordell ist ja auch deshalb ein interessanter Ort, weil jeder ihn mit einem Verlangen betritt.

 

Ist Verlangen eine Triebfeder für Ihre Filme?

 

Ganz stark. Ich versuche immer, mich innerlich mit einem Film von dem reinzuwaschen, was mir zuvor an verstellenden Informationen geliefert wurde. Obwohl ich recherchiere, bin ich letztlich der Meinung: Nur ja nichts wissen! Nur ja nicht reingehen und die erste Frage ist: »’tschuldigung, wie viele Aidskranke gibt’s hier?« Dann wirst du bloß zum filmischen Statistiker. Das Wort »Aids« kommt in meinem Film ein einziges Mal vor. Und zwar als ein Kunde durch die »Zona« fährt und sagt: »Diese Scheißhuren wollen nicht ohne Kondom blasen!« Dann fährt er ein bisschen weiter und hängt dran: »Scheiß Aids!« In der ganzen Welt ist ja Sex seither mit einer großen Furcht verbunden: Man hat im Grund überall Angst vorm Ficken, dabei wollen aber doch alle ficken. Das scheint mir viel inter­essanter als die Frage: Wie viel Prozent?

 

Heutzutage boomen Escort-Services. Zeigen Sie eine veraltete Form der Prostitution?

 

Ich weiß nicht, was ich bei einem Escort-Service filmen sollte. Viel­leicht nur mehr fickende Leute. Was will man sonst zeigen? Es fällt ja die rituelle Anbahnung weg – das ist wie eine Katalogauswahl per Telefon oder übers Internet. Es gibt Dinge, die kann man filmen und andere nicht. Vielleicht macht das meinen Film altmodisch. Andererseits: In Fragen von Liebe und Prostitution gibt es kein altmodisch, neumodisch ist nur die erwähnte Angst vorm Sex. Aber die hat es im Katholizismus auch gegeben. Die Katholen haben das ja genial gemacht: Sie haben die größte Freude am Sex, weil das die meiste Schuld generiert.

 

Sie sind doch ein katholischer Filmemacher vor dem Herrn. Warum reden Sie mit solcher Distanz darüber?

 

Wie soll ich das erklären? Was die katholische Kirche irrsinnig gut kann, ist Feste auszurichten und für alles die passende Geste zu haben. Um das verinner­licht zu haben, muss ich ja noch nicht an Gott glauben. Ich bin vielleicht das, was man einen katholischen Agnostiker nennen könnte. Wenn ich eine protes­tantische Kirche betrete, weiß ich nicht einmal, was zelebriert wird. Sorry, da kann ich auch in ein Büro gehen. Ich ver­stehe das nicht: »Gott in seiner Herrlichkeit.« Wo denn, bitte?