Foto: Manfred Wegener

Operation ­Kampagne

Im Vorfeld ihres diesjährigen Gewerkschaftstages veranstaltet die IG Metall unter dem Motto »Laut und stark« am 1. Oktober einen Jugend-Aktionstag in Köln. Lautstark soll für die »Operation Übernahme« geworben werden, also dafür, dass Betriebe ihre Azubis nach der Ausbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernehmen. Malte Meyer, selbst Mitglied der Gewerkschaft, beantwortet die Frage, was der Aktionstag mit dem Schlagwort »Campaigning« zu tun hat.

Manche behaupten ja noch immer, Gewerkschafter könnten nur Bratwürste grillen und sozial gerechte Reden halten. Dabei beweisen die sich schon seit längerem als geübte Eventmanager, deren Großveranstaltungen traditionelle Maikundgebun­gen locker in den Schatten stellen. Vor Bundestagswahlen organisieren sie regelmäßig Aktionstage, die auf die politischen Forderungen der Gewerkschaf­ten aufmerksam machen sollen. So versammelte sich die Gewerkschaftsjugend 2002 schon einmal in Köln, damals noch am Müngers­dorfer Stadion, und zwischen 1998 und 2006 jeweils am 1. Mai in Schwerin zur Job Parade, einer Adaption der Love Parade.

 

Mit herkömmlichen Latschdemos haben solche Events kaum mehr etwas gemein. Statt langer Reden gibt es laute Musik, und statt der immer gleichen Parolen wird Öffent­lichkeit mit mehr oder weniger kreativen Ak­tio­nen hergestellt. Weil es auf Außenwirkung min­destens ebenso sehr ankommt wie auf Bin­­nen­integration, dürfen weder auflagenstar­ke T-Shirts im Aktionstag-Design noch spektakuläre, fernsehtaugliche Bilder fehlen: Je mehr Sender positiv oder zumindest neutral berichten, desto erfolgreicher ist ein solcher Aktions­tag in den Augen der Veranstalter gelaufen. Und wenn dann in der Tagesschau noch ein heißer Kandidat für den künftigen IG Metall-Vorsitz ins Bild gerückt wird – umso besser.

 

Doch mittlerweile reicht ein Tagesschau-Bericht allein nicht mehr aus. Das hat sich natürlich auch in den Gewerkschaften herumgesprochen: Die zuständigen Abteilungen arbeiten hart daran, bei der Weiterentwicklung der Medienöffentlichkeit nicht ins Hintertreffen zu geraten. Der DGB-Vorstand ist bei Facebook (knapp 1200 Freunde), ver.di betreibt auf streik.tv ein gar nicht mal so uninteressantes Internetfernsehen rund ums Thema Arbeit und die IG Metall lässt sich bei der Entwicklung und Durchführung ihrer Kampagnen off- und online von Werbeagenturen wie Wegewerk oder KP Works beraten. Allgemein werden Medienstrategien von den Gewerkschaften als notwendig erachtet, um in Zeiten rückläufiger Mitgliederzahlen und nachlassender Anerkennung als unverzichtbare Sozialpartner eine dritte potentielle Machtressource als unverzichtbaren Sozialpartner nicht außen vor zu lassen: kommunikative Macht. Wie Hans-Jürgen Arlt, Kommunikationsexperte und ehemaliger Pressesprecher beim DGB, beobachtet hat, fasziniert Gewerkschaften insbesondere die Form der Kampagne: »Eine läuft immer, mindestens eine sogenannte.«

 

Ähnlich wie Anzeigen- oder Wahlkampagnen haben auch gewerkschaftliche Kampagnen eine Hauptbotschaft, für die mit möglichst geeigneten Mitteln nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Zustimmung erzeugt werden soll. So liest sich die Auswahl zentraler Kampagnenslogans der IG Metall aus den vergangenen Jahren wie eine Variation zum Thema »Gute Lohnarbeit statt böser Turbokapitalismus«: »Her mit dem schönen Leben!«, »Wer nicht ausbildet, muss zahlen«, »Besser statt billiger«, »Arbeit – sicher und fair«, »Macht Politik für die Mehrheit der Menschen!«, »Gleiche Arbeit? Gleiches Geld! Leiharbeit fair gestalten« oder auch schlicht »Gemeinsam für ein gutes Leben«.

 

Welche Botschaft soll nun am kommenden 1. Oktober zwischen Hans-Böckler-Platz und Deutzer Freiheit kommuniziert und unter erwartete 20.000 Demonstranten gebracht werden? »Operation Übernahme« klingt zwar ein bisschen nach Übernahme des Betriebs durch die Belegschaft, zielt aber auf etwas weitaus Bescheideneres ab: Die unbefristete Übernahme der (Azubi-)Belegschaft durch den Ausbildungsbetrieb. Leider gerät selbst die bescheidene Forderung in Konflikt mit Unternehmerinteressen: Für Unternehmen ist es vielfach güns­tiger, aus dem immer größer werdenden Pool gut ausgebildeter, aber ebenso gut kündbarer Leiharbeiter zu schöpfen, als unbefristete Arbeitsverträge zu unterzeichnen. Selbst in Zeiten voller Auftragsbücher und angeblichen Fachkräftemangels wollen sich Firmen möglichst viele Optionen offen halten und wehren sich gegen eine Verpflichtung zur Übernahme ihrer Auszubildenden. Vielfach sind Unsicherheiten und eher prekäre Erwerbsperspektiven auf Seiten der ausgebildeten Fachkräfte eine Folge, gegen die die IG-Metall-­Jugend etwas zu unternehmen verspricht.

 

Dass die »Operation Über­nahme der Auszubildenden« sich aufgrund überwältigenden Zuspruchs unter den Arbeitern in näherer oder fernerer Zukunft noch zur »Operation Übernahme der Betriebe« ausweiten könnte, ist mehr als unwahrscheinlich. Das liegt zunächst einmal daran, dass die Kam­pagne Spaltungslinien innerhalb der nachwach­senden Arbeitergeneration eher tradiert als aufhebt. Für viele der 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29, die gar keine Ausbildung und häufig noch nicht einmal einen Schulabschluss haben, ist die »Operation Übernahme« vermutlich ähnlich uninteressant wie die Gewerkschaft überhaupt. Im Gegensatz zu den ausgebildeten Fachkräften haben sie nämlich, so zumindest der unüberhörbare Tenor der Kampagne, auch nur einen nachgeordneten Anspruch auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Gemeinsamkeiten zwischen den Prekarisierungserfahrungen verschiedener Arbeiterschichten können so schwerlich sichtbar werden. Aber so weit haben die Macher der Kampagne ja auch gar nicht gedacht: Unbefristete Lohnarbeitsverhältnisse scheinen das einzige zu sein, was ihnen als Antwort auf die systemische Krise der kapitalistischen Produktionsweise einfällt.

 

Diese offensichtliche soziale Zurückhaltung wiederum hängt mit der enormen Hilfe zusammen, die die deutschen Gewerkschaften seit Ende der 1990er Jahre geleistet haben, um die Konkurrenzfähigkeit der hiesigen Exportindustrie zu restaurieren. Während die Löhne in anderen europäischen Ländern kräftig stiegen, müssen viele Arbeiterinnen und Angestellte in Deutschland aufgrund »beschäftigungssichernder« Tarifabschlüsse inflations­bereinigt etwa mit dem auskommen, was ­ihnen auch schon vor zehn Jahren zur Ver­fügung stand. Der durch Gewerkschafter wie Peter Hartz (VW-Manager) und Walter Riester (Minister) vorangetriebene Ausbau von prekärer und niedrig entlohnter Beschäf­tigung tat ein Übriges, um Stammbelegschaf­ten einzuschüchtern und von allzu weitgeh­enden Lohnforderungen abzuhalten. Überspitzt formuliert: Lohndumping und Arbeitshetze in Deutschland ermöglichen der hiesigen Industrie Exportoffensiven von solcher Wucht, dass durch sie Arbeitsplätze in anderen Ländern schlicht plattgemacht werden. Faktisch hat sich insbesondere die IG Metall in diesem Prozess der Standortkonkurrenz vom linken auf den rechten Flügel des gewerkschaftlichen Spektrums bewegt.

 

»Mitmachaktionen«, wie sie auch für den Aktionstag der IG Metall-Jugend in Köln fest eingeplant sind, werden an dieser politischen Grundsatzentscheidung nicht rütteln, so beteiligungsorientiert, kreativ und »frech« sie auch immer sein mögen. In der zentralistischen Struktur der Metallgewerkschaft wird weiterhin mit Vorliebe von oben nach unten kommuniziert, die Rollen von Regisseuren, Hauptdarstellern und Statisten verteilt der Vorstand in der Frankfurter Wilhelm-Leuschner-Straße. Neu ist allenfalls das Ausmaß, in dem sich Werbedesigner und Kommunikationsberater des innergewerkschaftlichen Willensbildungsprozesses bemächtigt haben. Es gibt, so hört man, auch unter jungen IG Metall-Mitgliedern genügend Leute, denen diese Entwicklung so gegen den Strich geht, dass sie für den 1. Oktober lieber unabhängig vom Apparat »beteiligungsorientierte« Aktionen ersinnen. Sage noch einer, Gewerkschafter könnten nur Bratwürste grillen und sozial gerechte Reden halten.