Chronik der Ereignisse

Samstag, 11.5. gegen 21.50 Uhr: Alarmiert von einer Nachbarin trifft eine Polizeistreife bei Familie Neisius ein. Frau Neisius und ihr Sohn Stephan sollen sich lautstark gestritten haben. Trotz Aufforderung weigert sich Stephan, die Tür zu öffnen. Die Beamten rufen Verstärkung. Die Wohnungstür wird eingetreten. In der Wohnung finden die Polizisten folgende Situation vor: Die Mutter sitzt vor dem Fernseher, Stephan hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Auf die Frage, was sie hier wollen, fordern die Beamten die Mutter auf, sich ruhig zu verhalten, »sonst müsse sie mitkommen«. Stephan weigert sich, sein Zimmer zu verlassen und wirft einen »Hurley«-Schläger (verkürzter Hockeyschläger) durch die Scheibe seiner Zimmertür. Ein Beamter erleidet leichte Schnittverletzungen. Die Beamten treten auch diese Tür ein und setzen Stephan mit Pfefferspray außer Gefecht. Mittlerweile neun Beamte (darunter zwei Frauen) versuchen den sich wehrenden Stephan ruhig zu stellen und fesseln ihn an Händen und Füssen, begleitet von Schlägen und Tritten. Beim Abtransport durch das Treppenhaus fällt aus noch ungeklärten Gründen das Treppenlicht aus. Stephan Neisius »gleitet den Beamten mehrfach aus den Händen«, so geben sie später an: Er fällt jedenfalls die Treppen runter, gefesselt. Auf der Straße angekommen, wird die Situation unklar: Rettungssanitäter sind gekommen und verarzten die Schnittwunden eines Beamten, schauen sich Stephan jedoch nicht an, sagen aber später aus, Stephan hätte »randaliert« und »wirres Zeug von sich gegeben«. Passanten jedoch bezeugen, der Verhaftete sei völlig regungs- und bewusstlos, »wie ein Paket« sehr »rabiat« seitlich in den Polizeibus »geworfen« und weiter verprügelt worden. Statt zur nächstgelegenen Wache in der Bismarckstraße oder in ein Krankenhaus zu fahren, wird Stephan Neisius zur Wache am Eigelstein gebracht. Dort diensthabende Beamte sagen später aus, über Funk sei ein »Empfangskommando« bestellt worden. Bereits im Foyer der Wache wird der immer noch gefesselte Mann weiter mit Schlägen und Tritten von sechs Beamten drangsaliert, dann an den Füßen in eine Zelle geschleift und dort weiter von drei oder vier Polizisten geschlagen und getreten, bis ein Rettungswagen eintrifft. Zur Blutprobenentnahme wird er ins Marienhospital gebracht, wo er kollabiert und ins Koma fällt.
So, 12.5.: Ein Beamter und eine Beamtin, die beide auf der Eigelsteinwache in der Nacht zuvor Dienst hatten, haben die Misshandlungen beobachtet und sagen gegen ihre Kollegen aus. Gegen sechs beteiligte Polizisten werden jetzt Ermittlungen aufgenommen.
Mo, 13.5.: Die sechs Polizisten werden suspendiert.
Di, 14.5.: Zwei der Beamten, die versuchen blutige Dienstkleidung beiseite zu schaffen, fallen auf. Es stellt sich heraus, dass einer der beiden bereits zwölfmal wegen Körperverletzung und anderer Delikte angezeigt worden war.
Mi, 15.5.: Ein medizinisches Gutachten der Uni-Klinik attestiert Stephan Neisius ein Hirnödem. Außerdem werden Hämatome am ganzen Körper und ein Schuhsohlenabdruck am Kopf festgestellt.
Do, 23.5.: In Absprache mit Polizeipräsident Steffenhagen lässt sich Jürgen Sengespeik, Chef der Polizeiinspektion 1, zu der auch die Eigelsteinwache gehört, nach Nippes versetzen.
Fr, 24.5.: Stephan Neisius stirbt. Eine Obduktion bestätigt als Todesursache das Hirnödem.
Gegen zwei der sechs Beamten wird Haftbefehl wegen des Verdachts auf »schwere Körperverletzung im Amt« erlassen. Sie werden zwar dem Haftrichter vorgeführt, sofort danach aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Es heißt, es habe keine Verdunkelungsgefahr bestanden. Und das, obwohl bekannt ist, dass »die beiden Beamten zuvor Verdunklungsverhandlungen unternommen hatten, indem sie Uniformteile verschwinden lassen wollten« (Zitat aus dem Polizeibericht vom 24.5.).
Sa, 25.5.: Demonstration vor der Eigelsteinwache.
Mo, 27.5.: Sengespeik zieht sein Einverständnis zur Versetzung zurück, wird daraufhin von Steffenhagen nach Nippes strafversetzt.
Mi, 5.6.: Als weiterer Zeuge meldet sich der Beamte zu Wort, der bei dem Einsatz in der Wohnung verletzt wurde. Die Kollegen sollen ihm später gesagt haben, er sei »gerächt« worden.
Do, 6.6.: Unter Anteilnahme von rund 200 FreundInnen und Angehörigen wird Stephan Neisius beigesetzt.
Do, 20.6.: Die Misshandlungen auf der Eigelsteinwache sind Thema des Innenausschusses des NRW-Landtages. Aus dem Bericht geht u.a. hervor, dass gegen fünf der sechst beteiligten Polizisten bereits ein oder mehrere Verfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden waren. Die Verfahren sind noch anhängig oder wurden fallengelassen.