Hauptrollen bitte nur in Stücken über Migration: Anja Herden und Murali Perumal in »Schattenstimmen«, Foto: Sandra Then

Die Quoten-Masche

Von Karin Beiers multinationalem Ensemble ist nicht mehr viel übrig. Vor allem die Darsteller mit sichtbaren migrantischen Wurzeln haben dem Kölner Schauspiel den Rücken gekehrt. Warum eigentlich, fragen Maryam Aras und Alexander Haas

Murali Perumal war einer der rund 250 Schauspieler, die 2007 an dem Vorsprechen teilnahmen, zu dem Karin Beier vor allem Darsteller mit Migrationshintergrund eingeladen hatte. Zwei Mal sprach der »Bonner Inder«, wie er sich selbst nennt, vor und gehörte schließlich zum Startensemble der neuen Intendantin. Doch im Rückblick erzählt er: »Die Dramaturgen am Haus haben sich nicht bemüht, Schauspieler wie mich zu besetzen.«

 

Perumals Einstieg war trotzdem gut. In Karin Beiers Eröffnungsinszenierung von  Hebbels »Die Nibelungen«, spielte er neben Carlo Ljubek, Pa­try­cia Ziolkowska, Omar El-Saeidi und Patrick Gusset. Zwar stellte er nur den Geiger Werbel dar, aber neben einem Gisel­her mit ägyptischen (El-Saeidi) und einem Gernot mit jamaikanischen Wurzeln (Gusset) fragte schnell keiner mehr nach dem Grund dieser Besetzung. Karin Beier wollte »eine Selbstverständlichkeit« herstellen, »so dass nicht jede Besetzung eine dramaturgische Bedeutung hat, sobald ein Darsteller eine andere Hautfarbe hat, als die gewohnte«, erklärte sie Anfang 2008 ihr Ensemblekonzept. »Das ausschlaggebende Kriterium ist die Qua­lität ihrer Schauspielkunst.«

 

Beiers multinationales Ensemble brach mit Stadttheaterkonventionen

 

Dass sich die ethnische Vielfalt einer Stadt wie Köln auch auf den Theaterbühnen widerspiegeln müsse, hatte Kulturdezernent Georg Quander als Arbeitsvoraussetzung der neuen Schauspiel-Intendanz formuliert – ein Konzept, das sich Karin Beier zu eigen machte, und mit dem sie ihr neues Haus öffentlichkeitswirksam in der Theaterlandschaft positionierte. Sie änderte Seh- und Repertoiregewohnheiten in drei Hinsichten: Sie band zahlreiche internationale Regisseure, Gruppen oder Gäste ans Haus. Und sie spielte anfangs Stücke, die Migration zum Thema hatten. Doch es war das multinationale Ensemble, das den stärksten Eingriff in herrschende Stadttheaterkonventionen darstellte. Beier hatte so konsequent gecastet, dass das Haus von einer Quote sprach. 30 Prozent des Ensembles stammten aus Familien mit außerdeutschen Wurzeln. Das entspricht etwa dem Anteil von Migranten und Postmigranten in Köln.

 

Sehgewohnheiten funktionieren im Theater anders als zum Beispiel im Film, weil das Theater in viel höherem Maße bildungsbürgerlich definiert ist. Wenn man diese Prägung anpassen möchte an die gesellschaftliche Wirklichkeit, muss man sichtbare Zeichen setzen. Deshalb war die Quote ein mutiger Schritt. Insbesondere was die Besetzung der Spieler angeht, denen ihr migrantischer Hintergrund deutlich anzusehen ist, Darsteller also, die zum Beispiel afrikanische, karibische, arabi­sche, tür­kische oder asiatische Wurzeln haben.

 

Darsteller mit sichtbarem Migrationshintergrund verschwanden

 

Doch die Hebbel-Inszenierung blieb ein früher Höhepunkt in Sachen Multinationales Ensemble, vor allem wenn man auf die Besetzung größerer Rollen blickt. Darsteller mit sichtbarem Migrationshintergrund waren danach kaum als Protagonisten zu sehen. Ilknur Bahidir, deren Vertrag als festes Ensemblemit­glied 2010 nicht verlängert wurde, spielte anfangs Hauptfigu­ren, zum Beispiel in der »Kölner Affäre« (2007). Lucia Peraza Rios wurde 2008 von dem italienischen Regisseur Antonio Latella in seiner »Trilogie der Sommerfrische« für eine Hauptrolle besetzt – und im Sommer 2009 genau wie Omar El-Saeidi gekündigt.

 

Während Patrycia Ziolkowska und Carlo ­Ljubek bald die ersten weißen Stars unter den Migranten in Beiers Ensemble waren und in großen Inszenierungen wie »Das goldene Vlies« (2008), »Faust« (2008) oder »Die Kontrakte des Kaufmanns« (2009) Hauptrollen spielten, kamen Spieler mit sichtbarem Migrationshintergrund wie Perumal, El-Saedi, Gusset, Anja Herden oder Ilknur Bahadir dafür nicht in Betracht. Es sei denn in Stücken wie »Schattenstimmen« oder »Stunde Null«, die Migration zum Thema haben. Sie blieben in der zweiten oder dritten Reihe stecken. Eine Ausnahme bildet vielleicht noch der in Rumänien geborene Albert Kitzl. Doch insgesamt gab das Haus das Ziel auf, mehr von der ethnischen Wirklichkeit auf der Bühne abzubilden. Inzwischen ist Renato Schuch einer der wenigen festen Darsteller im Ensemble, dem man seinen Migrationhintergrund ansieht und der vereinzelt auch in größeren Rollen zu sehen ist.

 

Terkessidis: »Kulturinstitutionen im Sinne der Migranten verändern«

 

Die Theaterwissenschaftlerin Azadeh Sharifi hat für ihre Dissertation »Theater für alle? Partizipation von Postmigranten am Beispiel der Bühnen der Stadt Köln« viele Interviews mit Beteiligten des Ensembles und der Theaterleitung geführt. Sie lobt die anfängliche Praxis des multiethnischen Ensembles, bemängelt jedoch, dass das Haus keine Theaterschaffenden mit Migrationshintergrund auf der Leitungsebene wie der Dramaturgie zugelassen habe. Natürlich gab es zahlreiche Gastdramaturgen, die mit den internationalen Regisseuren und Gruppen mitreisten und mit ihnen am Haus arbeiteten. Aber Sharifi glaubt, dass es wichtig ist, Migranten und Postmigranten fest ans Theater zu binden.  

 

Auch der Migrationsforscher Mark Terkessidis argumentiert, dass es bei einer interkulturellen Öffnung darum gehe, Kultur­institutionen nachhaltig und strukturell im Sinne der Migranten und Postmigranten zu verändern. In einem Vortrag hat Terkessidis es begrüßt, wenn in zunehmenden Maße Kommunen an Institutionen heranträten »und sagen: Wenn du weiterhin Geld bekommen möchtest, das aus unseren Steuergeldern finanziert ist, dann wird interkulturelle Öffnung oder Diversity Management eine deiner Kernaufgaben, und wir werden das überprüfen.«

 

Frust über das »kollektive Schweigen« der Presse

 

So ließe sich vermeiden, wovon Azadeh Sharifi berichtet: In Interviews hätten ehemalige Kölner Ensemble­mitglieder kritisiert, dass Karin Beier das multiethnische Ensemblekonzept als »Marketing­strategie« und »Alleinstellungsmerkmal in der Theaterszene« verwendet habe. Bei den Schauspielern nistete sich das Gefühl ein, dass sie als Darsteller nicht wirklich gewollt waren. »Die Regisseure, die Karin Beier ans Haus geholt hat«, sagt Murali Perumal, »hatten wenig Interesse, mit uns Farbigen vom festen Ensemble zu arbeiten. Sie haben meist weiße Gastschauspieler von außerhalb geholt.«

 

Einige Schauspieler zeigen sich auch frustriert über das »kollektive Schweigen« der Presse angesichts des steten Zerfalls des multinationalen Ensembles. Andererseits scheuen sie offene Kritik an der Kölner Theaterleitung. Gerade junge Akteure fürchten, nach unbequemen Äußerungen auf dem Arbeitsmarkt im Nachteil zu sein. »Es gibt ja keine Lobby für ausländisch aussehende Schauspieler. Insofern bleibt das Scheitern des multi-ethnischen Ensembles auch folgenlos«, sagt Anja Herden. Die 40-jährige Schauspielerin mit nigerianischen Wurzeln war festes Ensemblemitglied und kündigte in der vergangenen Spielzeitpause. Kontraproduktiv findet sie, dass Karin Beier auf die mangelnde Qualität von Schauspielern mit Migrationshintergrund verweist, wenn es um das Scheitern des multinationalen Ensembles geht. Mit Blick auf diese Darsteller sagte die Intendantin in einem Interview der Berliner Zeitung im April: »Wir würden jeden engagieren, den wir gut finden! Aber es gibt da nicht so viele.«

 

»Beim Fernsehen ist man weiter als auf dem Theater«

 

Auch Murali Perumal kann mit diesem Vorwurf wenig anfangen: »Wie kann man die Qualität eines Darstellers in Frage stellen, wenn er seine Fähigkeiten nie wirklich zeigen durfte? Ich wäre lieber an einer großen Rolle gescheitert.« Das Schauspiel Köln wollte zur Kritik der ehemaligen Ensemblemitglieder auf Nachfrage der StadtRevue keine Stellung nehmen. Stattdessen antwortete Chefdramaturgin Rita Thiele mit einem dreiseitigen »Statement zur interkulturellen Öffnung des Schauspiel Köln«. Einzelne Teile daraus wollte sie allerdings nicht für Zitate freigeben, nur der Komplettabdruck sei möglich*.

 

Beim Fernsehen, sagt Murali Perumal, sei man viel weiter als auf dem Theater. In letzter Zeit habe er in TV-Produktionen Fahnder, Schulpsychologen oder Ärzte gespielt. »Das Theater dagegen bildet eine Gesellschaft von anno dazumal ab.«