Der Katzenbus fährt vorbei

Die Ausstellung Anime! High Art – Pop Culture zeichnet ein ­konsensfähiges Bild japanischer Alltagskultur – und ist trotzdem sehenswert

Es fühlt sich ein bisschen merkwürdig an, wenn man ein Museum betritt und glaubt, bei sich zu Hause zu sein. Man ist umgeben  von Sachen, die man selber hat – oder man besitzt ähnliche Objekte, die genauso gut als Exponate hätten ausgestellt werden können. So ging es zumindest mir beim Besuch der Ausstellung »Anime! High Art – Pop Culture« in der Bonner Bundeskunsthalle.

 

Auf den ersten Blick wirkt es ein wenig kurios, dass sich ausgerechnet eine derart ehrwürdige Institution dieses im besten Sinne vulgären Themas annimmt. Dann aber auch wieder nicht: Manga und Anime sind Japans weltweit bedeutendsten Kulturexporte. Wenn heutzutage Menschen an japani-sche Kultur denken, dann haben sie wahrscheinlich, je nach Alter und Befindlichkeit, Doraemon, Usagi aus »Sailor Moon« oder eine der vielen anderen Ikonen dieser Alltagskunst vor Augen. Das geht so weit, dass zum Beispiel die japanischen Truppen im Irak Bilder von Captain Tsubasa auf einige ihre Fahrzeuge gemalt haben. Das bricht gleich jedes Eis, heißt es aus offiziellen Regierungskreisen, und zeige zudem, dass man niemandem etwas Böses will – und das ist nur eines von vielen Beispielen für die forcierte Image-Diplomatie des Landes.

 

Da hat sich also allerhand gewandelt in der Wahrnehmung! Als in den 70er Jahren Takahata Isaos Anime-Adaptionen von Johanna Spyris »Heidi« (1974) und Edmondo De Amicis’ »Cuore« (1976) im deutschen Fernsehen zu sehen waren, machte man sich noch über die extrem flache und reduzierte Ästhetik lustig – »billig« war das Wort, das am häufigsten fiel. Dahinter steckte natürlich das Klischee von Japan als Billigindustrienation. Das hielt sich bis in die späten 90er Jahre hinein. Als Miyazaki Hayaos Meisterwerk »Mononoke-hime« (1997) damals auf der Berlinale lief, hörte man von vielen nur ein abfälliges »Heidi-Ästhetik«. Wenige Jahre darauf gewann Miyazaki mit »Sen to Chihiro no kamikakushi« (2001) den Goldenen Bären und das Gebrumme war verstummt. Schwer zu sagen, ob man mittlerweile die-se einzigartige Ästhetik in ihrer Flächigkeit und Konzentration, Verweigerung aller westlichen Realismus-Ideen und ihrer emotionalen Sperrigkeit wirklich versteht und liebt – oder sich bloß daran gewöhnt hat. 

 

In Bonn stellt sich außerdem mal wieder die Frage, wie man Pop- und Jugendkultur in eine Ausstellung zwingt. »Anime! High Art – Pop Culture« wirkt stark auf den bundesdeutschen Erfahrungs-horizont hin zugeschnitten: Was man an Beispielen zu sehen bekommt, beschränkt sich weitestgehend auf das, was man hier bereits kennt: viel aus dem inter-national bekannten Studio Ghibli, dieses aus der Welt von Otomo Katsuhiro (»Akira«, 1988) oder jenes aus dem Universum von Oshii Mamoru (»Kokaku kid¯otai«, 1995). Zudem hat man sich offensichtlich um eine gewisse Familienfreundlichkeit bemüht, so wurden die etwas krasseren Anime-Dimensionen stillschweigend »ver-gessen« oder auf ein abgehaktes Pflicherfüllungsminimum reduziert in den in seiner Verklemmtheit arg peinlichen Erotik-Anime-Raum verbannt. Ähnlich bemüht wirkt der Versuch, die Bildende Kunst mit ins Spiel zu bringen – die Gemälde Amano Yoshitakas und die Fotografien von Oliver Sieber bleiben Fremdkörper, so toll sie auch sind.

 

Ein weiteres Problem ist, dass man über die Anime-Kunst, deren Schöpfung und Produktion relativ wenig erfährt. Welche Arbeitsprozesse gibt es? Wer ist wofür verantwortlich? Was sind die Materialien, mit denen gearbeitet wird? Anime werden arbeitsteilig hergestellt, die Kunst verfügt hier über viele individuelle Schichten. Um nur ein Beispiel zu nennen: »Vampire Hunter ›D‹« (1985) mag von Ashida Toyo’¯o inszeniert sein – aber das Besondere, weswegen man diese Version des Stoffes erinnert, ist das Character Design von Amano Yoshitaka. Diese Dinge werden in der Ausstellung allenfalls angeschnitten, wenn es etwa darum geht, warum sich bestimm-te Computeranimationsformen bislang auf dem Markt nicht so recht durchsetzen konnten, vertieft werden sie aber nicht. Ähnliche Fragen stellen sich auch -bezüglich der ausgestellten Merchandise-Produkte: Wer hat die exquisite Figurine von Ashitaka aus »Mononoke-hime«  gemacht? Deren Dynamik und flüssige Gestaltung entstammt ja nicht der Hand von Regisseur Miyazaki.

 

Was diese Ausstellung vermittelt, ist ein bürgerlich-konsensfähiges Bild einer japanischen Alltagskultur, fokussiert auf das, was man hier davon kennt – also eigentlich ein Bild von uns selbst. Das aber mit großer Freude am Thema: Die vielen Originale, die man zu sehen bekommt – darunter eine Zeichnung von Tezuka Osamu, dem Stammvater des Manga wie des Anime –, die Manga, die überall herumliegen, Computerspiele, die zum Mitmachen ein-laden, Filmausschnitte, die einen durch die Räume geleiten, lassen einen gern für Stunden verweilen. Und: Wie viele Ausstellungen gibt es schon, wo sich drei Generationen gegenseitig etwas zu erzählen haben? Da können dann die Kleinen den Großen z.B. erklären, warum der Totor¯o mit dem Katzenbus fahren kann, sie aber nicht.