Paradiesisches Widerstandsnest

Ursprünglich als Lager für Zwangsarbeiter erbaut, hat sich die Humboldt-Siedlung in Köln-Ostheim inzwischen zu einem Idyll für ihre BewohnerInnen entwickelt. In den 70ern wollte die Stadt die Siedlung entmieten und scheiterte am Widerstand. Der formiert sich gerade erneut, weil die Verwaltung die Häuser verkaufen will. Bernd Wilberg hat zwischen Gärten und Kaninchenställen mit den BewohnerInnen Kaffee getrunken.

Karin Winkelmann hat Kaffee gekocht. »Der ist stark, was?«, fragt sie und freut sich, wenn man sagt: »Genau richtig!«. Der Tag ist heiß, aber in dem kleinen Pavillon im Garten der Winkelmanns ist es angenehm. Wir trinken aus Tassen mit dem Aufdruck einer führenden Baumarktkette. »Die Männer haben hier sehr viel gemacht in der Siedlung«, sagt Frau Winkelmann, und Herr Winkelmann zündet seine Pfeife an.
Die Humboldt-Siedlung in Köln-Ostheim umfasst ein Areal von 13.800 Quadratmetern mit 15 Häusern. Genau genommen sind es Aufbauten: Flachdachgebäude mit niedrigen Decken und ohne Unterkellerung. Die rund 230 Quadratmeter Wohnfläche pro Haus, sind meist in drei Wohnungen mit separatem Eingang aufgeteilt. Hinzu kommen noch die großen Gartenflächen mit Baumbestand, die die Siedlung fast ländlich erscheinen lassen. »Das ist ein kleines Paradies hier«, sagen die Winkelmanns. Da stört es auch nicht, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen hier neben Vogelgezwitscher auch den Lärm von der Frankfurter Straße hören.
Norbert Winkelmann, der bald seinen 60. Geburtstag feiert, ist Heizungsinstallateur und ansonsten ein emphatischer Vertreter des Do-it-yourself-Gedankens. »Was ich nicht kann, bring ich mir halt bei oder lass es mir zeigen. Zum Beispiel zu kacheln. Da hab ich einfach mal im Gäste-WC angefangen ...« Er hat in der Wohnung Wände gezogen, die Terrasse gefliest, einen Teich angelegt – und er hat Sinn für Praktisches: In dem kleinen Pavillon gibt es Steckdosen, und mit Hilfe der Jalousien, die an jeder Seite angebracht sind, kann man das Sonnenlicht wunschgemäß dosieren.
Winkelmann redet stets ruhig und überlegt, und so plädiert er auch für gute Nachbarschaft und gegenseitige Hilfe in der Siedlung. Es freut ihn, dass sich auch die anderen BewohnerInnen um das Erscheinungsbild ihrer Wohnungen und Gärten kümmern, denn die Siedlung liegt ihm am Herzen. Nicht von ungefähr ist Winkelmann auch zweiter Vorsitzender des »Vereins zur Erhaltung der Humboldt-Siedlung«.

Erfolgreicher Widerstand

Auch der erste Vorsitzende der Bewohnerschaft ist zum Kaffee gekommen. Peter Schmidt hat es nicht weit. »Ich wohne direkt da hinten, wo der Kaninchenstall ist. Können Sie nachher mal gucken kommen. Aber, Achtung! Die sind sehr gefährlich!«, grinst der 40-jährige Schmidt, dessen Familie zu den jüngeren hier zählt und der gerne einen Witz macht. Anfang der 80er Jahre ist er eingezogen, als er seine Frau kennen gelernt hat, die hier aufgewachsen ist. Zu zweit haben sie dann eine Wohnung gemietet. »Das ist ideal hier mit dem vielen Grün«, sagt der Maschinenschlosser und Vater von zwei kleinen Kindern.
Aber auch finanziell ist das Wohnen hier angenehm. Maximal 2,60 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche zahlen die MieterInnen heutzutage. Allerdings sind sie auch für die »Erhaltung der Mietsache an Dach und Fach« zuständig. Die eigentümlichen Mietverträge, die direkt mit der Stadt abgeschlossen worden sind, resultieren aus einem Konflikt Mitte der 70er Jahre.
1974 kaufte die Stadt Köln das Areal von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD). Prompt erhielten die BewohnerInnen die Mitteilung, dass demnächst mit Kündigung zu rechnen sei, berichtet Winkelmann. Leer stehende Wohnungen wurden von der Stadt nicht mehr vermietet, die Eingänge sogar vernagelt. Erst auf Grund massiver Proteste und Demonstrationen kam es schließlich zu einer Einigung. 1980 wurden die neuen Mietverträge aufgesetzt, laut derer die MieterInnen bei einem auf zehn Jahre festgesetzten Mietzins von 2 DM pro Quadratmeter Sanierung und Renovierung eigenständig durchzuführen hatten. Viele, so schätzt Schmidt, haben mittlerweile bis zu 50.000 Euro investiert. In der Siedlung ist man auf den damals erfolgreichen Widerstand bis heute stolz.

Mißtrauen und Verunsicherung

Jetzt, nach über 20 Jahren, fühlen sich die BewohnerInnen wieder an diese Zeit erinnert: Schon vier Wohnungen stehen leer und werden nicht mehr vermietet, – mittlerweile seit rund zwei Jahren. Der Verein hat den Beschwerdeausschuss des Rats der Stadt Köln angewiesen, zu prüfen, ob die Nichtvermietung durch die Stadt eine »Zweckentfremdung von Sozialwohnungen darstellt«. Ein Ergebnis wird für die nächsten Wochen erwartet. Ein halbes Jahr lang begründete die Stadt den Vermietungsstopp mit dem noch ausstehenden Ergebnis eines Baugutachtens. Nun (kurz nach Redaktionsschluss) scheint es endlich vorzuliegen. Zugegangen ist es den BewohnerInnen aber noch nicht. Stadtkämmerer Peter-Michael Soénius teilt auf Anfrage allerdings mit, dass das Gutachten zu »einem für die Bewohner schlechten Ergebnis« kommt, weil die Standsicherheit der Aufbauten nicht durchweg gegeben sei.
In der Siedlung kann das niemand verstehen. Misstrauisch ist man auch, weil man so lange auf das Ergebnis warten muss. Überhaupt ist man mit der Informationspolitik der Stadt unzufrieden. Die etwa 100 BewohnerInnen sind verunsichert, zumal Ende April ein Schreiben vom Amt für Liegenschaften im Briefkasten lag, in dem mitgeteilt wird, dass die Grundstücke samt Aufbauten verkauft werden sollen.
Zwar ist den MieterInnen mit einem Kaufpreis von 150 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche ein günstiges Angebot unterbreitet worden. Doch auch das bringt Unruhe in die Gemeinschaft. Für Otker Bujard, der mit den BewohnerInnen seit dem Widerstand Ende der 70er Jahre befreundet ist und sich für die Siedlung engagiert, steht fest: »Hier wird versucht, einen Keil in die Gemeinschaft zu treiben. Schon jetzt bilden sich erste Fraktionen.« Auf der einen Seite stehen meist junge Familien, die das günstige Angebot zur Eigentumsbildung nutzen wollen, auf der anderen Seite die älteren Menschen, teilweise über 80 Jahre, die nicht kaufen wollen oder können. Das Problem ist aber, dass nur Häuser komplett verkauft werden sollen, nicht einzelne Wohnungen. Die MieterInnen müssen sich also einig werden.

Etagenloses Idyll

Paul-Heinz Schäfer gehört zu denen, die schon am längsten in der Humboldt-Siedlung wohnen. Der 60-jährige lebt seit 1944 hier. Die Siedlung die ursprünglich als Lager für ausländische Zwangsarbeiter errichtet worden war, wurde damals an ausgebombte KHD-Arbeiter und deren Familien vermietet. »Damals war ich zwei Jahre alt«, erinnert sich Schäfer. »Ich kenne gar nichts anderes als hier zu wohnen«. Schäfer zeigt einige alte Fotos vom Anfang der Siedlung: schmucklose Baracken, unverputztes Gemäuer, keine Wege dazwischen, keine Begrünung. »Die Bewohner haben sich die heutige Idylle selbst geschaffen«, sagt seine Frau Marianne, die auch schon 35 Jahre hier lebt.
Schäfers haben einen ähnlichen Pavillon im Garten wie Winkelmanns. Doch unter dem Tisch hechelt etwas. »Das ist der Hund von unserem Sohn«, lacht Marianne Schäfer. »Der wohnt auch hier nebenan, genau wie unsere Tochter, aber jetzt ist er noch auf der Arbeit«, erklärt Frau Schäfer. Einmal apportiert Schäferhündin Fenja unaufgefordert kleine Zweige als »Stöckchen« an den Gartentisch. Die Schäfers amüsieren sich. »Wir haben hier alles, was wir brauchen«, schwärmt Paul-Heinz Schäfer. »Alles ebenerdig, vor und hinter dem Haus einen Garten. Wenn ich jemanden in einer Etagenwohnung besuche, freue ich mich immer, wenn ich wieder hier bin.«

Widerstand ohne Zaubertrank

»Jeder macht es sich doch so schön wie er kann«, so Marianne Schäfer. Und ihr Mann, der ansonsten stets ruhig und freundlich spricht, ärgert sich: »Die Politiker sollten sich mal angucken, was hier für eine Idylle geschaffen worden ist. Die kennen das doch gar nicht!« Dass Oberbürgermeister Schramma trotz Einladung nicht zum Sommerfest in die Siedlung gekommen ist, hat viele hier enttäuscht. Unterstützung erhoffen sie sich von der Opposition im Rat der Stadt. »Notfalls müssen wir wieder Proteste machen, Transparente malen und zum Rathaus ziehen«. Marianne Schäfer wirkt fest entschlossen, und ihr Mann nickt.
»Nur im Notfall« würden die Eheleute Schäfer auch kaufen, weil sie auf gar keinen Fall hier weg möchten. Doch der »Verein zur Erhaltung der Humboldt-Siedlung« hofft, ein anderes Modell durchsetzen zu können: Die Grundstücke sollen vom Verein in Erbpacht mit ermäßigtem Erbpachtzins übernommen werden. Viele aber befürchten auf Grund ihrer Erfahrungen damals, dass die Stadt sie im Zuge der derzeitigen Vorgänge ganz aus der Siedlung drängen will.
»Das ist so wie bei Asterix«, resümiert Peter Schmidt nur halb ironisch. »Das Römische Reich, das ist die Stadt, und wir sind das kleine gallische Dorf. Wir wehren uns!« Es entsteht eine kleine Pause, dann sagt Karin Winkelmann: »Da brauchen wir aber wohl einen Zaubertrank.« Ihr kräftiger Filterkaffee wäre dafür jedenfalls eine gute Basis. M