Dreck! Dreck! Dreck!

Karin Beier eröffnet die Saison mit Wutbürgerthesen und einer Jelinek-Uraufführung

Ein randalierender Klangkörper testet den Aufstand gegen seinen diktatorischen Dirigenten. Die Szene ist Federico Fellinis Film »Die Orchesterpobe« von 1978 entlehnt. Karin Beier übernimmt sie im ersten Teil ihrer Inszenierung zur Saisoneröffnung, der Collage »Demokratie in Abendstunden«. Sie zielt damit auf den neuerdings global wie lokal wiederbelebten Demokratiebegriff, die Frage nach den Chancen radikaler Demokratie. In Teil zwei folgt die Antwort: Elfriede Jelineks Fukushima-Paraphrase »Kein Licht.« Hier regiert die schiere Machbarkeit und das, was aus ihr resultiert, eine verstrahlte Landschaft mit Krüppeln. 

 

Die Musiker des Orchesters liefern sich in »Demokratie in Abendstunden« einen drastischen verbalen Kampf mit dem Dirigenten. Die Forderung nach Partizipation und gleicher Gemeinschaft steht der Diktatur der Kunst gegenüber. Karin Beier entwickelt daraus eine fulminant choreografierte Kakofonie der Wutbürger und ihren Aufstandparolen. Konsequent und gelungen setzt die Regisseurin auf die musikalisch-rhythmische Durcharbeitung der Szenen (Musik: Jörg Gollasch). Was sie auch muss, schließlich fehlt ihr im ersten Teil des Abends ein durchkomponierter dramatischer Text. 

 

Wohl deshalb stellt sich einem irgendwann die Frage, warum die Regie uns von der Bühne herunter mit Revolutionsthesen aus der Feder von Autoren wie Beuys, Stephane Hessel, dem Unsichtbaren Komitee, Rainald Goetz oder Slavoj Cicek befeuert? Denn die Kampftiraden der Orchestermasse verselbständigen sich zusehends. Den Kulminationspunkt bildet ein virtuoses, aber situativ völlig entrücktes chorisches Finale furioso des hervorragenden Ensembles. »Dreck! Dreck! Dreck!« skandieren die Spieler, Rainald Goetz lässt grüßen. Doch so sehr man diese politische Wut teilen mag – als Bühnenform läuft sie sich tot, wenn sie sich kontextfrei artikuliert. Sie wirkt produziert und wohlfeil. Schließlich sitzen wir im hoch subventionierten Kunstrahmen »Stadttheater«. 

 

Elfriede Jelinek setzt in »Kein Licht.« ihre abgründig böse Technikkritik fort. Es sprechen eine »erste« und »zweite Geige«. Bei Beier entstammen sie dem Orchester aus Teil eins, das jetzt dezimiert ist und nur noch stumm spielen kann. Die Figuren tippeln wie Marionetten oder Automaten durch eine gespenstische, verwüstete Landschaft, sind blind und taub, versehrt.

 

»Kein Licht.« wirkt bei Beier wie ein dunkles, in der Orientierungslosigkeit und clownesken Deformation der Figuren böse-komisches Nachspiel zum lauten ersten Teil. Protest ist machtlos, auch der der Kunst. Jelineks Hohn regiert: »Das hätten wir uns nie träumen lassen, dass wir für die Kunst mal so brennen würden.«