Heinrich auf Speed

Jörg Fürst zeigt im Bauturm einen bestechenden Faust I

Auf angenehme und sehr mutige Weise entzieht sich dieser Abend fast allen großen Erwartungen, die sich mit den Namen »Goethe« und »Faust« verbinden: kein Pathos, kein großes Ensemble, wenig Bühnengestaltung, keinerlei historische Einbettung der Handlung. Und vor allem: Kurz ist die Inszenierung, nach einer Spielfilmlänge von neunzig  Minuten ist alles vorüber, drei Menschen sind tot und ein weiteres Leben zerstört. 

 

Es mag erstaunen, aber es funktioniert tatsächlich, dieses Monumentaldrama derart herunter zu brechen und den verbleibenden Text noch dazu in einer Geschwindigkeit abzuspulen, die das Publikum herausfordert. Denn so gut man das Stück auch kennen mag, dieses Sprechtempo lässt keine Konzentrationsschwäche zu. Wer hier zu lange die Aufmerksamkeit verliert, dem entgeht der eigentliche Reiz der Inszenierung – eben ihr Tempo. 

 

Von nur wenigen, mit Musik gefüllten Pausen unterbrochen, fließt die metrische, elegante Sprache Goethes immer schnell, wird dabei aber nie bedeutungslos, driftet nie ins Lächerliche. Phasenweise verselbständigt sie sich von Mimik, Gestik und Artikulation der fünf Darsteller, denen die Regie ohnehin recht enge Zügel anlegt: Meist agieren sie statisch, wirken fremdgeleitet, nehmen den Rhythmus der Szenen aber gekonnt auf. 

 

Der Eindruck einer Eigenbewegung des Textes, der sich auf diese Weise einstellt, gibt der Handlung eine Fatalität, die sie scheinbar unaufhaltsam zum bösen, tragischen Ende führt. Regisseur Jörg Fürst hat dem Unvermeidli-chen, dem Tragischen des »Faust« nicht nur kräftigen Nachdruck verliehen, er hat es auf Speed gebracht: Es kann nur böse enden, weil keiner auch nur ein Quäntchen Zeit hat, um zur Besinnung zu kommen. 

 

Auch die präzise eingesetzten dramaturgischen Mittel stehen ganz im Dienst dieser Dynamik. Lichtprojektionen bedecken die Körper, Musik übertönt die Stimmen der Darsteller. Das macht sie zu Spielbällen einer getriebenen, triebhaften Suche nach einem unbestimmten Ziel, das nur anfangs den Fragen, Wünschen und Phantasien Fausts (Christof Hemming) entstammt, sich aber rasch selbst zu realisieren scheint. Und zwar über das Chaos der Walpurgisnacht und das – allzu hart geschnittene – Ende hinaus, das keine Antworten gibt und keinen der Beteiligten befriedigt entlässt. 

Das Sinnbild dieser ästhetisch sehr gelungenen Inszenierung sind die auf Faust projizierten Textzeilen, die über ihn hinweg laufen, von den Füßen bis über den Scheitel.