Zehn Gedanken zur interkulturellen Öffnung des Schauspiel Köln im fünften Jahr der Intendanz von Karin Beier

Stellungnahme von Chefdramaturgin Rita Thiele

1. Die interkulturelle Öffnung des Schauspiel Köln basiert nach wie vor auf drei Säulen: der Zusammensetzung seines Ensembles, der Spielpangestaltung und der internationalen Arbeit und Vernetzung des Hauses. Wir verstehen unser interkulturelles Konzept als Recherche, als einen lebendigen Prozess, der Änderungen und Korrekturen miteinschließt.

 

2. Was die Zusammensetzung des Ensembles angeht, gibt es Änderungen. Wir haben uns von einigen SchauspielerInnen getrennt, andere haben uns verlassen, darunter auch Schauspieler mit Migrationshintergründen. Entlassungen und Fortgänge am Theater haben immer künstlerische Gründe. Diese künstlerischen Gründe sagen nicht per se etwas über die Qualität der betreffenden Schauspieler aus, sondern da geht es oft um Besetzungsmöglichkeiten, Rollenwünsche und Erwartungen.

 

3. Bei der Zusammensetzung des Ensembles für die ersten Spielzeiten hatten wir eine Art Quote walten lassen: Über ein Drittel unseres Ensembles kam aus Familien mit  internationalen Wurzeln, was in etwa die Zusammensetzung der Kölner Bevölkerung spiegelt. Für dieses Quotenkonzept sind wir heftig angegriffen worden. Man hat uns umgekehrten „Rassismus“ und Paternalismus vorgeworfen. Neuerdings also Marketing Kalkül, d.h. berechnenden Opportunismus.

 

4. Wir halten nach wie vor daran fest, dass ein möglichst großer Anteil von Schauspielern  mit internationalen Wurzeln in unserem Ensemble wünschenswert ist. Allerdings haben uns die Erfahrungen der vergangenen Jahre für zwei Bedingungen sensibilisiert, die wir anfangs nicht beachtet haben und die zur Beendung einiger Engagements beigetragen haben. Zum einen macht es sehr viel Sinn, Regisseure, die regelmäßig am Haus arbeiten, in die Ensemblebildung mit einzubeziehen, denn tatsächlich spielen sie bei Besetzungen ja eine entscheidende Rolle. Regisseuren, die am Schauspiel Köln und anderen großen Häusern arbeiten, kann man keine Besetzungen diktieren. Deshalb wäre es optimal, Hausregisseure an der Neugründung eines Ensembles zu beteiligen . Zum anderen sind bei einem so exponierten Theater wie Schauspiel Köln Anfänger (alle Anfänger, auch die aus Familien ohne Migrationshintergründe) vor allzu optimistischen Rollenerwartungen zu warnen. Es ist ein Haus, in dem Ausnahmebegabungen, zumeist erfahrene Protagonisten (mit oder ohne internationale Wurzeln), dominieren, und das kann natürlich auch zu Enttäuschungen führen. Wir hatten für die ersten Spielzeiten viele Anfänger mit Migrationshintergründen engagiert. Hier war die Fluktuation dann auch besonders groß.

 

5. Das Ziel, einen deutlichen, möglichst großen Anteil von Kollegen aus internationalen Familien im Schauspielensemble zu beschäftigen, haben wir nicht

 aus dem Auge zu verloren. Der Anteil kann sich aber der künstlerischen Situation des Hauses entsprechend verändern, schwanken. Starre Vorgaben machen wenig Sinn.

 

6. Was die Spielplangestaltung anbelangt, haben wir von Anfang an unser Vorhaben benannt, uns nicht zu eng und zu illustrativ den Themen der Interkultur zu nähern, sondern in unseren Setzungen durch größtmögliche Komplexität zu überraschen. Es geht uns nicht darum, die Lebenswelten von Migranten und Nichtmigranten künstlich zu umzäunen,  womöglich eine Art „Artenschutz“ zu betreiben. Mit unseren Spielplänen haben wir auch auf andere aktuelle politische „Brandherde“ reagiert, letztes Jahr in der Beschäftigung mit Kölner Bauskandalen, Korruption usw., dieses Jahr mit dem Schwerpunkt „Krise der Demokratie und Rebellion“. Trotz verschiedener inhaltlicher Schwerpunktsetzungen gab und gibt es immer wieder Spielplanpositionen, die sich sehr direkt auf das Thema Migration beziehen: diese Spielzeit zum Beispiel „Jede Minute mit einem Illegalen ist besser als Wählen“ von Gintersdorfer/Klaßen.

 

7. Interkultur und Internationalität sind nicht zu verwechseln, aber die deutliche Öffnung des Schauspiel Köln für internationale Kooperationen und Koproduktionen war von Anfang an ein entscheidender Baustein im Rahmen unseres interkulturellen Konzeptes. Hier ist das Schauspiel Köln geradezu „Vorreiter“ für viele Häuser geworden, die mittlerweile ähnliche Konzepte verfolgen.

 

8. Die Welt in Zahlen: Quelle ist das diesjährige Spielzeitjahresheft, das jeder einsehen kann. Von 40 abgebildeten Schauspieler kommen 10 aus internationalen Familien. Der Anteil der Schauspieler mit Migrationshintergründen , die das Schauspiel Köln derzeit „präsentiert“, ist also auf 25% des Ensembles gesunken. Würde man unsere bilingualen Produktionen (in der letzten Spielzeit mit Schauspielern aus Italien und Ungarn, diese Spielzeit mit den Kollegen von der Elfenbeinküste bei Gintersdorfer/Klassen) in diese Statistik einarbeiten, würde der Anteil allerdings wieder höher ausfallen. Den an Statistik Interessierten sei im gleichen Heft das Personalverzeichnis hinten empfohlen: Demnach hat die Assistentin der Intendantin Narjes Gharsallaoui tunesische Wurzeln, Stawrula Panagiotaki, Dramaturgieassistentin, also angehende Dramaturgin, ist Griechin, fünf ausländische Gastdramaturgen (aus Italien, Belgien, Ungarn und Holland) haben an Produktionen des laufenden Repertoires mitgewirkt. Es inszenieren in der laufenden Spielzeit zwei belgische, ein französischer Regisseur und eine englische Regisseurin am Schauspiel Köln. Es werden zwei internationale Koproduktionen zu sehen sein (eine mit dem NT Gent, eine mit der KVS Brüssel), die Zusammenarbeit mit der deutsch-englischen Performance Gruppe Gob Squad wird fortgeführt. Schauen Sie sich gerne auch die Listen der Bühnentechnik und der Werkstätten an. Sie werden sehen: Der Theaterbetrieb ist eine Arbeitsstätte, wo Interkultur täglich praktiziert wird.

 

9. Unsere Versuche zur interkulturellen Öffnung des Hauses sind als erste Schritte zu verstehen, kein abgeschlossenes, fertiges Konzept. Für die Zukunft sind auch andere innovative Überlegungen zu diskutieren, zum Beispiel wie man auf verschiedenen Wege den herkömmlichen kulturellen Kontext, an den das Theater anknüpft, erweitert, den Ausschluss von Menschen, die sich dort nicht repräsentiert fühlen, verhindert, das Theater zu einem Ort der Inklusion, des kulturellen Miteinanders macht. Für die Überlebensfähigkeit der Stadttheater wird das kluge und menschenfreundliche Organisieren verschiedenster Zuschauergemeinden sicherlich entscheidend sein. Und da kann und sollte man über viele Strategien diskutieren. Sogenannte „Diversity“ Beauftragte an den Theatern nach englischem und skandinavischem Vorbild sind nur einer unter vielen möglichen Wegen.

 

10. Das Schlusswort möchte ich Ivo Kuyl einräumen, Mitglied des Leitungskollektiv

KVS (Koninklije Vlaamse Schouwburg) in Brüssel, ein Theater, das im Bereich einer Programmplanung für verschiedenste Zuschauergemeinschaften der Stadt, absolut vorbildlich ist: „In Plattformen wird viel polemisiert, und dies zwischen vielen Parteien und Gruppen. An sich ist das ja nicht verkehrt. Jedoch birgt all dieses Palaver auch Gefahren. Kann es nicht leicht zu einer Überschätzung des Wortes und damit zu einer Ideologisierung führen? Das wäre nicht wünschenswert, denn künstlerische Plattformen sollten sich nicht in erster Linie durch einen bedeutenden gesellschaftlichen Diskurs, sondern vor allem durch bedeutende künstlerische Aktivitäten hervortun. Außerdem besteht die Gefahr von Political Correctness. Kunst kann nur dann einen Beitrag zur Politik leisten, wenn sie sich nicht ohne Weiteres mit den kursierenden politischen Gedanken und Methoden identifiziert, sondern aus einer Perspektive darauf reagiert, die diesen immer mehr oder weniger fremd bleibt“ (Vortrag für die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft 2011).