Mord im Grenzstreifen

Kurz nach der Fußball-WM kommt mit »Joint Security Area« zum ersten Mal ein koreanischer Film synchronisiert in die hiesigen Kinos. Dass er sich mit der so verworrenen wie gewalttätigen Situation im Grenzbereich zwischen Nord und Süd beschäftigt, wird ihm sicherlich auch in Deutschland die nötige Aufmerksamkeit bescheren. Mark Terkessidis hat den Film gesehen

Dass Filme aus Südkorea in den letzten Jahren im Kommen waren, konnte man auf Festivals immer wieder feststellen. Dass aber nun ein südkoreanischer Film, der sich zudem mit den schwer verständlichen Grenzproblemen zwischen den beiden Koreas beschäftigt, hierzulande mit großem Werberummel an den Start geht, ist schon verwunderlich. Der Grund für das Interesse an »Joint Security Area« hat nur wenig damit zu tun, dass der Film 2001 im fernen Seoul in den ersten 15 Tagen bereits eine Million Zuschauer in die Kinos zog. Nein, es geht um das Thema. Zehn Jahre nach der Maueröffnung soll »Joint Security Area« den von der Teilung ja ebenfalls stark gebeutelten Deutschen als ein Stück über die Zeit vor der Wiedervereinigung präsentiert werden. Die Intention allerdings hat in diesem Fall das richtige Ergebnis: So erhalten wir die Gelegenheit, einen der besten Filme des Jahres im Kino zu sehen.

Zwischenfall am 38. Breitengrad

Joint Security Area heißt die international überwachte Sicherheitszone, welche am 38. Breitengrad die Grenze zwischen dem kapitalistischen Südkorea und dem kommunistischen Norden bildet. Die Grenze war das Ergebnis des drei Jahre währenden Koreakrieges, der 1950 begann – ein Krieg, in dem die UN unter Führung der US-Amerikaner mit einer »Polizeiaktion« an der Seite des Südens intervenierte, während China mit Truppen das Regime von Il-Sung Kim unterstützte. Heute ist der 38. Breitengrad die letzte tatsächlich ideologische Demarkationslinie, dessen Bedeutung freilich die jungen Rekruten, die dort Wache schieben, immer weniger verstehen. Der Film beginnt mit einem Zwischenfall an der Grenze.
Zwei nordkoreanische Grenzposten sind ermordet worden; ein Nordkoreaner sowie ein Südkoreaner sind verletzt. Zwischenfälle dieser Art kommen mit schöner Regelmäßigkeit vor, und so beginnt augenblicklich ein ritualisiertes Spiel von gegenseitigen Beschuldigungen und Aufklärungsversuchen. Die Verwaltung der Sicherheitszone untersteht der Aufsichtsbehörde der neutralen Nationen, die sofort aus der Schweiz eine Investigatorin einfliegen lässt. Leutnant Sophie Jean ist selbst koreanischer Herkunft und spricht die Landessprache. Die selbstbewußte Rolle, die von Yeong-Aeh Lee grandios verkörpert wird, ist nicht nur für südkoreanische Verhältnisse eine Sensation.

Grenzenlose Freundschaft

In einer Mischung aus hollywoodesken Actionanleihen und Wahrheitsverwirrung à la »Rashomon« spielt Regisseur Chan-Wook Park zunächst verschiedene Varianten dessen durch, was denn in jenem Grenzposten geschehen sein könnte. Unterbrochen wird dieses Spiel durch die Instruktionen, die der Schweizer Chef der neutralen Nationen pfeiferauchend seiner soeben angereisten Ermittlerin erteilt. Im ersten Moment wirkt diese Szene vor dem Hintergrund der anfänglichen schnellen Schnitte extrem hölzern. Doch gerade in der Steifheit, in der er Jean noch einmal das Prinzip der unbedingten Neutralität einschärft, ist der internationale Bürokrat extrem realistisch dargestellt. Nach dieser Neutralitätsbeschwörung gibt Park jedoch die »neutrale« Beschreibung der Handlung auf und verlagert das Geschehen mehr und mehr in die Gefühlswelt der beiden Hauptpersonen: des südkoreanischen Leutnants Soo-Hyeok Lee und seines nordkoreanischen Gegenübers Kyeong-Pil Oh.
Kunstvoll verwebt Park in der Folge Szenen über die aktuellen Aufklärungsbemühungen der jungen Ermittlerin mit Rückblenden über die vorausliegenden Geschehnisse – um zu zeigen, dass die Eskalation der Gewalt keineswegs das Ergebnis von Feindschaft, sondern von Nähe war. Tatsächlich hatten sich die beiden Soldaten und zwei weitere Kollegen angefreundet und immer häufiger die Grenze überschritten. Man trifft sich in der nordkoreanischen Grenzbaracke, um gemeinsam Spaß zu haben.
Famos sind insbesondere die Szenen, die an der als Touristenattraktion fungierenden Grenzlinie von Süd und Nord spielen. Während die vier Jungs sich scheinbar gefühllos und feindlich mustern, läuft unter der Oberfläche eine geheime Kommunikation. Etwa mit Körpersäften: Während man sich gegenübersteht, spuckt man sich gegenseitig auf die blankpolierten Schuhe.

Illusion einer neutralen Zone

So wird die Grenze zu einem Objekt von Überschreitung und Ironisierung – die ideologische Trennung ist längst unbegreiflich geworden, der manifeste Krieg ist schlicht zerfallen und die Armeen haben sich in individuelle, verspielte Typen aufgelöst. Als die vier jedoch eines Tages von einem ehrgeizigen nordkoreanischen Vorgesetzten erwischt werden, schließt sich die Grenze augenblicklich wieder. In diesem Moment erweisen sich die Transgression und das Spiel mit der Markierungslinie als völlig trügerisch – die Barriere ist keineswegs verschwunden. Die von den vier Individuen geschaffene temporäre »neutrale Zone« läßt sich nicht aufrecht erhalten: Am Ende muß man sich wieder auf »seine« Seite begeben. Während hier die Neutralität zusammengebrochen ist, hält der Film noch längere Zeit die Illusion der Neutralität der Ermittlerin Sophie Jean am Leben. Doch auch sie wird schließlich gnadenlos in die Geschichte hinein gezogen – in die, die sie aufklären soll, sowie auch in jene Koreas insgesamt.
Man kann Regisseur Park eigentlich gar nicht genug loben – für die großartige Umsetzung eines politischen Themas, für die unterhaltsame Erzählung einer höchst komplizierten Geschichte, für den souveränen Umgang mit filmischen Mitteln und Genres. Schließlich auch dafür, dass sein Film ein ernsthafter – und keineswegs auf den koreanischen Fall begrenzter – Beitrag zur Frage der Grenze geworden ist und dass er der Gefahr widerstanden hat, eine Schmonzette über Wiedervereinigung zu drehen.
Joint Security Area (dto), Korea 2001, R: Chan-Wook Park, D: Yeong-Aeh Lee, Byung-Hun Lee, Kang-Ho Song, 110 Min., Start: 4.7.