Der melancholische Widerstand

Seit seiner Entdeckung mag es das »Ich«, gehegt und gepflegt zu werden. Doch die Identifikationsangebote schwinden. »Eine solche Weltunzufriedenheit hat es lange nicht gegeben. Auch nicht, dass Leute bereit sind, sich massiv zu engagieren«, fasst Schorsch Kamerun den Zeitgeist zusammen. Der Punkmusiker (Die Goldenen Zitronen) und Theatermacher bringt am Kölner Schauspiel »Der entkommene Aufstand« heraus, »ein Live-Konzert als begehbare Installation«. 

 

Für das Projekt hat er fünfzig Laien gecastet, die trotz ihrer vielen Identitäten eines eint: Wut. Doch hier proben nicht »Wutbürger« den Aufstand, die sich mit den Ich-Accessoires bankenkritisch behängen. Der Regisseur hat aus den Beteiligten, sich selbst eingeschlossen, ein »Wir« konzipiert, einen »Zustand«, den er im Expo-Loft am Krefelder Wall inszeniert (und damit das Schauspiel erstmals an seine zukünftige Interimsspielstätte führt). 

 

Statt Event-Schischi erwartet den Zuschauer ein Bild der Zerstörung in einem Großraumbüro der Marke »Kreativklasse«. Hier hat gerade der Umsturz stattgefunden. Die Leute müssen sich neu organisieren. Figuren gibt es nicht, die Fünfzig bleiben sie selbst. »Hier sind alle äußerst wütend und unzufrieden. Nicht nur, wer Hartz IV-ler ist, sondern auch, wer bei Suhrkamp oder dem WDR arbeitet.« 

 

Kamerun wagt sich an die Systemfrage: »Es geht nicht mehr nur darum, über nahe Unsäglichkeiten zu klagen wie Studiengebühren oder Atomkraft. Sind wir selbst nicht längst Teil des Problems? Wollen wir die zunehmenden Löcher des Gewinn-maximierungsdiktates immer nur mit dem nächsten Verwaltungspolitiker stopfen oder uns endlich davon befreien?« 

 

Als Referenz an Adornos Verdikt, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, will uns Kamerun durch die Widersprüche des eigenen Anspruchs an ein glückliches Ich führen: »Gegen wen richtet sich der Aufstand? Muss ich den nicht auch gegen mich selbst führen?« Aus Interviews mit den Mitspielenden hat der Regisseur einen Konzerttext destilliert, den er selber singen wird. Wie hört sich das an, Herr Kamerun? »Es hat sich eine zähe Melancholie in die Wut eingeschrieben. Dem kann man sich ruhig hingeben.«